Der Profi in der Provinz
„Irresistible“, die Politsatire des Komikers Jon Stewart, kommt zur richtigen Zeit
Der einfache Mann, das unbekannte Wesen: Politiker umwerben ihn, wollen ihn durchleuchten, sind an ihm aber nicht wirklich interessiert und fürchten ihn letztlich sogar. Aus dieser Beobachtung – von der „einfachen Frau“ist weitaus weniger die Rede – strickt Jon Stewart eine Politsatire, die sich bei klassischen Vorbildern bedient, aber durchaus noch einen interessanten Kniff bereithält. Als gefeierter Moderator der „Daily Show“und Kabarettist hat Stewart das politische Geschehen in den Vereinigten Staaten und die damit verbundene Berichterstattung über lange Zeit begleitet; bezeichnender Weise wurde seine Satireshow als seriöser eingeschätzt als viele „richtige“Nachrichtensendungen.
Angesicht der wachsenden Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft rief Stewart bereits 2010 zu einem „Marsch für die Rückkehr der Vernunft“auf. Der Erfolg hielt sich leider in Grenzen, wie allgemein bekannt, wurde es in den zehn folgenden Jahren noch viel schlimmer. Diese Spaltung der Gesellschaft hat Stewart nun zu seiner zweiten Regiearbeit nach „Rosewater“bewogen. Kenntnisse der US-Politik sind dabei von Vorteil, viele Beobachtungen haben aber auch globale Gültigkeit. Ausgangspunkt ist der unerwartete Sieg Donald Trumps im Jahre 2016, der den Politikberater der demokratischen Partei Gary Zimmer (Steve Carell) in tiefe Verzweiflung stützt. Seitdem treibt ihn die Frage um, wie seine Partei wieder die Wähler im Herzen der USA, dem Mittleren Westen, erreichen kann.
Da präsentiert einer seiner Mitarbeiter eine Videoaufnahme, die sich schnell im Internet verbreitet: Jack Hastings (Chris Cooper) spricht sich bei einer Versammlung seiner kleinen Gemeinde im Bundesstaat Wisconsin
für die Rechte undokumentierter Migranten aus. Das Mitgefühl und die Werte in der Rede elektrisieren Gary – vor allem aber, wer hier spricht: Ein Marine-Veteran, christlich, verwitwet und Milchfarmer. „Er ist ein Demokrat, er weiß es nur noch nicht“beschließt der Politikberater und fliegt ins vom wirtschaftlichen Niedergang gezeichnete Deerlaken. Seine Mission: Hastings soll gegen den republikanischen Amtsinhaber antreten. Tatsächlich verkündet der geradlinige Mann mit Zustimmung seiner Tochter (Mackenzie Davis) die Kandidatur und der Wahlkampf läuft vielversprechend an. Das alarmiert allerdings das Hauptquartier der Republikaner, die nun ihrerseits eine Top-Wahlkampfmanagerin entsenden: Faith Brewster (Rose Byrne), Garys erklärte Nemesis. Und so werden immer aberwitzigere Summen in den Wahlkampf in der Kleinstadt gesteckt, der längst schon nationale Schlagzeilen macht.
Washingtoner Elite trifft auf knorrige Landbewohner: Das ist im Kern natürlich ein gut abgehangenes Klischee, wird hier aber recht amüsant umgesetzt. Carrell gelingt es zudem, seine Figur nicht völlig stereotyp zu interpretieren, bei allem Zynismus könnte man ihm durchaus abnehmen, dass es ihm auch um die Sache geht. Während sich die eigentliche Geschichte
in eher gemächlichem Tempo entwickelt, gibt Stewart dem Ganzen etwas Würze, indem er immer wieder die Berichterstattung über das Geschehen einblendet und deren überhitzte Rituale entlarvt. Auch das technisch hochgerüstete Datenanalysten-Team mit seiner Jagd nach dem gläsernen Bürger bekommt sein Fett weg – und scheitert in Wisconsin zunächst einmal am schwachen Wi-Fi.
Irresistible – Unwiderstehlich. Regie: Jon Stewart. Mit Steve Carell, Rose Byrne, Chris Cooper. USA 2020. 101 Minuten. Keine Altersbeschränkung.