Das Pfeifen der Gräser
Neue Musik im Dialog mit Kurztexten – Ensemble Plus tritt im Bregenzer Kunsthaus auf
- Corona setzt auch eigene Energien frei: Komponisten haben Zeit für neue Stücke, Musiker möchten unbedingt auftreten, das Publikum ist hungrig nach Kultur. So kam es zu einem relativ kurzfristig angesetzten Konzert des Ensemble Plus im Bregenzer Kunsthaus, wo ebenfalls jüngst geschaffene kleinformatige Zeichnungen und Bilder den Hintergrund für rund eine Stunde neueste Musik und Literatur bildeten.
Je zwei Werke des Vorarlbergers Gerald Futscher und des Lindauers Nikolaus Brass wurden gegliedert von kurzen Gedichten von Christian
Futscher, dem Bruder des Komponisten. Die zahlreichen Zuhörer, darunter viele Gäste aus Lindau, lauschten einem facettenreichen Abend, der vom Klang der Bratsche, den schwebenden Klängen eines Harmoniums und den silbernen Obertönen einer Piccoloflöte geprägt war.
Höchst unterschiedlich gehen die Komponisten mit dem Streichinstrument um: Gerald Futscher setzt es im ersten seiner drei Stücke für Harmonium, Viola und Tonband geräuschhaft ein, Guy Speyers lässt seine Bratsche ächzen und knarzen, setzt den Bogen mit viel Druck dicht am Steg oder dahinter an. Durch das Tonband
scheint er im Dialog mit sich selbst zu spielen, das Harmonium, das Futscher selbst spielt, bettet die Bratsche in leise schwebende Oberklänge über einem Grundbass ein. Erst gegen Schluss des Stücks kommt der satte Bratschenton zur Geltung. Im zweiten, an diesem Abend uraufgeführten Stück, mischt sich Guy Speyers‘ Ton mit der hellen Piccoloflöte von Anja Nowotny-Baldauf und säuselnden Tonbandklängen, die den gläsern hohen Registern eine gewisse Erdung geben.
Lassen sich Parallelen zwischen Gerald und Christian Futscher ziehen? Möglicherweise. Humor, Bissigkeit, scharfe Beobachtungen,
Wortspiele, Rhythmen ziehen sich durch Christian Futschers Texte, die Lyrik, Kurzprosa, Aphorismen vereinen. Der Autor trägt sie selbst vor, kernig, pointiert, manchmal täte es den Texten gut, sie könnten etwas länger wirken. Manche haben Musik zum Thema – Cat Stevens, Lucio Dalla, auch das „Pfeifen der Gräser“, das dem Abend den Titel gegeben hat, stammt von ihm.
Seit seiner Rückkehr an den Bodensee vor drei Jahren hat Nikolaus Brass auch Kontakt mit der Vorarlberger Musikszene, insbesondere dem Ensemble Plus, bekommen. Für „Texte und Töne“in Dornbirn entstand im vergangenen Jahr die „2.
Strophe für Viola solo“, nun folgte unter dem Titel „Die wenigen Geräusche“, für diesen Abend komponiert, eine dritte Strophe. Andreas Ticozzi versenkt sich in Brass‘ Musik, die aus einem Urgrund, einer Sammlung aufsteigt, die großen Atem braucht und die Farben und Obertöne des Instruments zum Leuchten bringt. Die beiden „Strophen“bauen aufeinander auf, spielen mit feinen Verästelungen und dynamischen Bögen und haben in Andreas Ticozzi einen hingebungsvollen Interpreten.
Inwieweit die Komponisten mit ihren neuen Stücken auf die CoronaKrise reagiert haben, sei dahingestellt.