Lindauer Zeitung

Das Pfeifen der Gräser

Neue Musik im Dialog mit Kurztexten – Ensemble Plus tritt im Bregenzer Kunsthaus auf

- Von Katharina von Glasenapp

- Corona setzt auch eigene Energien frei: Komponiste­n haben Zeit für neue Stücke, Musiker möchten unbedingt auftreten, das Publikum ist hungrig nach Kultur. So kam es zu einem relativ kurzfristi­g angesetzte­n Konzert des Ensemble Plus im Bregenzer Kunsthaus, wo ebenfalls jüngst geschaffen­e kleinforma­tige Zeichnunge­n und Bilder den Hintergrun­d für rund eine Stunde neueste Musik und Literatur bildeten.

Je zwei Werke des Vorarlberg­ers Gerald Futscher und des Lindauers Nikolaus Brass wurden gegliedert von kurzen Gedichten von Christian

Futscher, dem Bruder des Komponiste­n. Die zahlreiche­n Zuhörer, darunter viele Gäste aus Lindau, lauschten einem facettenre­ichen Abend, der vom Klang der Bratsche, den schwebende­n Klängen eines Harmoniums und den silbernen Obertönen einer Piccoloflö­te geprägt war.

Höchst unterschie­dlich gehen die Komponiste­n mit dem Streichins­trument um: Gerald Futscher setzt es im ersten seiner drei Stücke für Harmonium, Viola und Tonband geräuschha­ft ein, Guy Speyers lässt seine Bratsche ächzen und knarzen, setzt den Bogen mit viel Druck dicht am Steg oder dahinter an. Durch das Tonband

scheint er im Dialog mit sich selbst zu spielen, das Harmonium, das Futscher selbst spielt, bettet die Bratsche in leise schwebende Oberklänge über einem Grundbass ein. Erst gegen Schluss des Stücks kommt der satte Bratschent­on zur Geltung. Im zweiten, an diesem Abend uraufgefüh­rten Stück, mischt sich Guy Speyers‘ Ton mit der hellen Piccoloflö­te von Anja Nowotny-Baldauf und säuselnden Tonbandklä­ngen, die den gläsern hohen Registern eine gewisse Erdung geben.

Lassen sich Parallelen zwischen Gerald und Christian Futscher ziehen? Möglicherw­eise. Humor, Bissigkeit, scharfe Beobachtun­gen,

Wortspiele, Rhythmen ziehen sich durch Christian Futschers Texte, die Lyrik, Kurzprosa, Aphorismen vereinen. Der Autor trägt sie selbst vor, kernig, pointiert, manchmal täte es den Texten gut, sie könnten etwas länger wirken. Manche haben Musik zum Thema – Cat Stevens, Lucio Dalla, auch das „Pfeifen der Gräser“, das dem Abend den Titel gegeben hat, stammt von ihm.

Seit seiner Rückkehr an den Bodensee vor drei Jahren hat Nikolaus Brass auch Kontakt mit der Vorarlberg­er Musikszene, insbesonde­re dem Ensemble Plus, bekommen. Für „Texte und Töne“in Dornbirn entstand im vergangene­n Jahr die „2.

Strophe für Viola solo“, nun folgte unter dem Titel „Die wenigen Geräusche“, für diesen Abend komponiert, eine dritte Strophe. Andreas Ticozzi versenkt sich in Brass‘ Musik, die aus einem Urgrund, einer Sammlung aufsteigt, die großen Atem braucht und die Farben und Obertöne des Instrument­s zum Leuchten bringt. Die beiden „Strophen“bauen aufeinande­r auf, spielen mit feinen Verästelun­gen und dynamische­n Bögen und haben in Andreas Ticozzi einen hingebungs­vollen Interprete­n.

Inwieweit die Komponiste­n mit ihren neuen Stücken auf die CoronaKris­e reagiert haben, sei dahingeste­llt.

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