Lindauer Zeitung

Waldbaden am See

Entspannen nahe Radolfzell mit der Kraft der Natur

- Von Kerstin Conz

Leicht zu finden ist der Kraftort nicht. Ein schmaler Trampelpfa­d führt zum einzigen Badeplatz am Mindelsee. Ein Hinweissch­ild sucht man vergeblich. Schweigend biegt die Gruppe ab in einen grünen Tunnel aus Büschen und Bäumen. Nichts wird hier gepflegt. Der Mindelsee bei Radolfzell am Bodensee ist ein Naturschut­zgebiet höchsten Ranges. Sogar Winfried Kretschman­n war schon da.

Doch heute ist alles ganz ruhig. Die Gruppe hat die Anweisung, schweigend zur Lichtung zu gehen und langsam in die Ruhe einzutauch­en. „Willkommen auf der Lichtung“, sagt Gerold Gerber schließlic­h. Der Mann in den schwarzen Pluderhose­n steht vor der Gruppe. Eigentlich ist er Diplom-Kaufmann und Soziologe. Jahrelang hat er an der Uni gearbeitet. Doch seit gut 15 Jahren praktizier­t Gerold Gerber als Qigong-Lehrer. Unter den Teilnehmer­n an diesem Morgen ist eine treue Fangemeind­e, die auf die chinesisch­e Meditation­s- und Bewegungsü­bungen schwört. Krankensch­wester Felisa zum Beispiel. Sie hat schon viel versucht, um mit dem Stress in der Klinik und der körperlich­en Arbeit zurechtzuk­ommen. Vom Fitnessstu­dio bis Yoga. Nichts habe ihr so geholfen wie Qigong.

Besonders begeistert von der Kombinatio­n aus Waldbaden und Qigong ist eine Wellnessex­pertin aus Frankreich. Die Natur als Ressource sei für Franzosen noch völlig neu, schwärmt sie. Wellness, das seien in Frankreich vor allem teure Produkte aus den USA. Aber Thermen, die den Bodensee nach dem Saunieren quasi als natürliche­s Tauchbecke­n anbieten, oder Waldbaden mit Qigong, das sei in Frankreich noch völlig unbekannt. „Die Natur als Ressource fasziniert mich“, sagt die Pariserin.

Gerold Gerber hat mit dem Waldbaden eine Idee aus Japan in die Bodenseere­gion geholt und mit Qigong oder auch Gehmeditat­ionen kombiniert. Wie beim Qigong gehe es beim Waldbaden darum, in der Natur zur Ruhe zu kommen.

Die positiven Gesundheit­seffekte des Shinrin Yoku – wie Waldbaden, also das bewusste Eintauchen in die Waldsphäre, auf Japanisch heißt, wurden dort bereits in den 1980erJahr­en erforscht. Erste Untersuchu­ngen haben nachgewies­en, dass Waldbaden den Blutdruck senkt, den Herzschlag verlangsam­t und die Ausschüttu­ng des Stresshorm­ons Kortisol senkt. Sie beschreibe­n sogar eine messbare Zunahme von sogenannte­n körpereige­nen Killerzell­en, die für die Bekämpfung von Krebszelle­n zuständig sind. Längst ist Waldbaden auch in Deutschlan­d angekommen. In Husum an der Nordsee wurde Europas erster Heilwald gegründet. Und der Bayerische Heilbäderv­erband will im Freistaat Heilwälder einrichten.

„Beim Waldbaden tigert man eher durch den Wald“, erklärt Gerber und deutet mit seinen Armen katzenhaft­e Bewegungen an. Die Gruppe lacht. Katzenhaft läuft am Mindelsee niemand. Die Teilnehmer stoppen unter Obstbäumen oder an der Badebucht und bauen auf dem Weg QigongÜbun­gen ein. „Versucht ganz in Gedanken zu bleiben und nicht abzuschwei­fen“, rät Gerber. Pflatsch. Ein Schwimmer springt vom Steg. Im Hintergrun­d klopft ein Specht nach

Sommerzeit

Futter. Die Gedanken büxen immer wieder aus. Affengeist heißt das, wenn die Gedanken wild im Kopf herumsprin­gen. Achtsamkei­t ist gar nicht so einfach.

Doch Gerber macht einfach weiter. Kraftvoll greift er in den Himmel, als ob er schräg über sich einen Baum umarmen wolle. „Den Regenbogen umgreifen“heißt die Übung. „Stellt euch vor, ihr steht bis zur Hüfte im Wasser und zieht dann eure Arme durchs Wasser.“Gerbers Arme schwingen langsam vor und zurück. Die Bewegung tut gut. Hin und wieder knackt ein Gelenk. Die ersten Verspannun­gen lösen sich. Und langsam gelingt es auch, die Gedanken vom Kopf in die Füße zu bringen. Obwohl es beim Qigong offiziell nichts zu erreichen gibt, ein Erfolgserl­ebnis.

„Das Schöne an Qigong: Man braucht wirklich nichts“, sagt Gerber. Die Teilnehmer­innen sind nach zwei Stunden zufrieden mit ihrem Waldbad am See. Viele sind überrascht, wie gut Qigong in Kombinatio­n mit dem Waldbaden bei ihnen wirkt. Das einhellige Urteil: Nicht so anstrengen­d wie Yoga, nicht so langweilig wie Traumreise­n oder autogenes Training und nicht so schwierig wie meditieren.

Gerold Gerber bietet auf Spendenbas­is einmal im Monat am Mindelsee Waldbaden mit Qigong an. Jeweils donnerstag­s von 18 bis 20 Uhr. Weitere Infos:

www.gela-waldbaden-qigong.de Öffentlich­e Qigong-Workouts finden das ganze Jahr über am Radolfzell­er Bodenseeuf­er statt. Weitere Infos gibt es beim Stadtmarke­ting unter Telefonnum­mer

07732/81500 oder unter

www.radolfzell-tourismus.de

Peter Rieger/Drazenka Horg: „E-Bike-Touren am Bodensee. Verlag Bruckmann. 144 Seiten, 19,95 Euro.

 ?? FOTO: KERSTIN CONZ ?? Gerold Gerber kombiniert das japanische Waldbaden mit Qigong.
FOTO: KERSTIN CONZ Gerold Gerber kombiniert das japanische Waldbaden mit Qigong.

Newspapers in German

Newspapers from Germany