Waldbaden am See
Entspannen nahe Radolfzell mit der Kraft der Natur
Leicht zu finden ist der Kraftort nicht. Ein schmaler Trampelpfad führt zum einzigen Badeplatz am Mindelsee. Ein Hinweisschild sucht man vergeblich. Schweigend biegt die Gruppe ab in einen grünen Tunnel aus Büschen und Bäumen. Nichts wird hier gepflegt. Der Mindelsee bei Radolfzell am Bodensee ist ein Naturschutzgebiet höchsten Ranges. Sogar Winfried Kretschmann war schon da.
Doch heute ist alles ganz ruhig. Die Gruppe hat die Anweisung, schweigend zur Lichtung zu gehen und langsam in die Ruhe einzutauchen. „Willkommen auf der Lichtung“, sagt Gerold Gerber schließlich. Der Mann in den schwarzen Pluderhosen steht vor der Gruppe. Eigentlich ist er Diplom-Kaufmann und Soziologe. Jahrelang hat er an der Uni gearbeitet. Doch seit gut 15 Jahren praktiziert Gerold Gerber als Qigong-Lehrer. Unter den Teilnehmern an diesem Morgen ist eine treue Fangemeinde, die auf die chinesische Meditations- und Bewegungsübungen schwört. Krankenschwester Felisa zum Beispiel. Sie hat schon viel versucht, um mit dem Stress in der Klinik und der körperlichen Arbeit zurechtzukommen. Vom Fitnessstudio bis Yoga. Nichts habe ihr so geholfen wie Qigong.
Besonders begeistert von der Kombination aus Waldbaden und Qigong ist eine Wellnessexpertin aus Frankreich. Die Natur als Ressource sei für Franzosen noch völlig neu, schwärmt sie. Wellness, das seien in Frankreich vor allem teure Produkte aus den USA. Aber Thermen, die den Bodensee nach dem Saunieren quasi als natürliches Tauchbecken anbieten, oder Waldbaden mit Qigong, das sei in Frankreich noch völlig unbekannt. „Die Natur als Ressource fasziniert mich“, sagt die Pariserin.
Gerold Gerber hat mit dem Waldbaden eine Idee aus Japan in die Bodenseeregion geholt und mit Qigong oder auch Gehmeditationen kombiniert. Wie beim Qigong gehe es beim Waldbaden darum, in der Natur zur Ruhe zu kommen.
Die positiven Gesundheitseffekte des Shinrin Yoku – wie Waldbaden, also das bewusste Eintauchen in die Waldsphäre, auf Japanisch heißt, wurden dort bereits in den 1980erJahren erforscht. Erste Untersuchungen haben nachgewiesen, dass Waldbaden den Blutdruck senkt, den Herzschlag verlangsamt und die Ausschüttung des Stresshormons Kortisol senkt. Sie beschreiben sogar eine messbare Zunahme von sogenannten körpereigenen Killerzellen, die für die Bekämpfung von Krebszellen zuständig sind. Längst ist Waldbaden auch in Deutschland angekommen. In Husum an der Nordsee wurde Europas erster Heilwald gegründet. Und der Bayerische Heilbäderverband will im Freistaat Heilwälder einrichten.
„Beim Waldbaden tigert man eher durch den Wald“, erklärt Gerber und deutet mit seinen Armen katzenhafte Bewegungen an. Die Gruppe lacht. Katzenhaft läuft am Mindelsee niemand. Die Teilnehmer stoppen unter Obstbäumen oder an der Badebucht und bauen auf dem Weg QigongÜbungen ein. „Versucht ganz in Gedanken zu bleiben und nicht abzuschweifen“, rät Gerber. Pflatsch. Ein Schwimmer springt vom Steg. Im Hintergrund klopft ein Specht nach
Sommerzeit
Futter. Die Gedanken büxen immer wieder aus. Affengeist heißt das, wenn die Gedanken wild im Kopf herumspringen. Achtsamkeit ist gar nicht so einfach.
Doch Gerber macht einfach weiter. Kraftvoll greift er in den Himmel, als ob er schräg über sich einen Baum umarmen wolle. „Den Regenbogen umgreifen“heißt die Übung. „Stellt euch vor, ihr steht bis zur Hüfte im Wasser und zieht dann eure Arme durchs Wasser.“Gerbers Arme schwingen langsam vor und zurück. Die Bewegung tut gut. Hin und wieder knackt ein Gelenk. Die ersten Verspannungen lösen sich. Und langsam gelingt es auch, die Gedanken vom Kopf in die Füße zu bringen. Obwohl es beim Qigong offiziell nichts zu erreichen gibt, ein Erfolgserlebnis.
„Das Schöne an Qigong: Man braucht wirklich nichts“, sagt Gerber. Die Teilnehmerinnen sind nach zwei Stunden zufrieden mit ihrem Waldbad am See. Viele sind überrascht, wie gut Qigong in Kombination mit dem Waldbaden bei ihnen wirkt. Das einhellige Urteil: Nicht so anstrengend wie Yoga, nicht so langweilig wie Traumreisen oder autogenes Training und nicht so schwierig wie meditieren.
Gerold Gerber bietet auf Spendenbasis einmal im Monat am Mindelsee Waldbaden mit Qigong an. Jeweils donnerstags von 18 bis 20 Uhr. Weitere Infos:
www.gela-waldbaden-qigong.de Öffentliche Qigong-Workouts finden das ganze Jahr über am Radolfzeller Bodenseeufer statt. Weitere Infos gibt es beim Stadtmarketing unter Telefonnummer
07732/81500 oder unter
www.radolfzell-tourismus.de
Peter Rieger/Drazenka Horg: „E-Bike-Touren am Bodensee. Verlag Bruckmann. 144 Seiten, 19,95 Euro.