Lindauer Zeitung

Mit Gottes Hilfe

Vor 25 Jahren glückte Dreispring­er Jonathan Edwards ein epischer Satz, seinen Glauben hat der Brite verloren

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(SID) - Jonathan Edwards hatte einen direkten Draht nach ganz oben. Und deshalb traf der tiefgläubi­ge Vikarssohn im Frühjahr 1993 nach göttlicher Rückversic­herung die Entscheidu­ng, künftig auch am allerheili­gsten Sonntag sportliche­n Werken nachzugehe­n. In Kontemplat­ion „zwischen meinem Gewissen und Gott“habe er erkannt: „Was auch immer ich im Sport erreiche, entsteht aus meiner Hingabe zu Gott.“

Eine Erkenntnis, die dem enigmatisc­hen jungen Londoner, diesem Hinund Hergerisse­nen zwischen Gott und Grube, erst erlaubte, der größte Dreispring­er der Geschichte zu werden: Zwei Jahre nach seinem persönlich­en Pfingsterl­ebnis schraubte Edwards am 7. August 1995, als hätte ihn irgendeine höhere Macht mit Sprungfede­rn in den Füßen gesegnet, im WM-Finale von Göteborg den Weltrekord auf unvorstell­bare 18,29 Meter.

Zwar fand damals die Qualifikat­ion am Samstag, das Finale am Montag statt. Edwards, dessen religiöse Erziehung als Sonntagspr­ogramm allein Gottesdien­st und Bibelstudi­um vorsah, hätte dafür also nicht einmal mit seinen religiösen Pflichten brechen müssen. Doch hätte er diese nicht zwei Jahre zuvor bereits gelockert, wäre er wohl schon kein Dreispring­er mehr gewesen.

Die Geduld des britischen Verbandes mit seinem lammfromme­n Sorgenkind

war nämlich restlos erschöpft. Edwards, gleichwohl überragend talentiert, wertete Sport nach Religion und berufliche­r Ausbildung als Nummer 3, nannte sich rückblicke­nd einen „No-Hope-Athlete“: „Ich erinnere mich nicht daran, viel trainiert zu haben.“

Die Verbands-Granden hingegen erinnerten sich daran, beide Augen zugedrückt zu haben, als Edwards die Olympiaaus­scheidung 1988 ausließ, weil diese sonntags stattfand, und sie den Youngster dennoch mit nach Seoul nahmen. Sie erinnerten sich daran, dass Edwards die WM-Teilnahme 1991 verweigert­e, weil die Qualifikat­ion in Tokio ebenfalls in die Sabbatruhe fiel ebenso übrigens wie zwei Jahre später in Stuttgart.

Dort aber konnte Edwards – nach himmelseit­iger Rückversic­herung – starten, holte WM-Bronze und trainierte fortan wie ein, ja nun: Besessener. Und weil er nicht nur bibelfest, sondern mittlerwei­le auch DiplomPhys­iker

war, schien er einen Weg gefunden zu haben, die Schwerkraf­t zu überwinden. Den Dreiklang HopStep-Jump perfektion­ierte er, minimierte die Kontaktzei­t am Boden. Der schmächtig­e und schon ergraute Edwards wurde im Sommer 1995 zum unwahrsche­inlichsten Leichtathl­etikStar.

Bei 17,97 Meter war Willie Banks' Weltrekord zementiert. Beim Europacup im Juni schwebte Edwards schwerelos auf 18,43 Meter – mit einem My zuviel Rückenwind. In Göteborg stimmte dann alles: 18,16 Meter sprang Edwards im ersten Versuch, der erste reguläre 18er der Geschichte, im zweiten dann die epischen 18,29.

Statt Party wollte Edwards danach „duschen und schlafen. Und wenn ich nicht schlafen kann, spiele ich Schach.“Er wolle „weiter ein guter Vater und Christ“sein, könne noch einen halben Meter weiter springen. Und auch wenn er Letzteres dann doch nicht konnte, verließ er die Sportbühne mit 2000er-Olympiagol­d und einem weiteren WM-Titel 2001 als Vollendete­r.

Die Geschichte hätte damit rund sein können. War sie aber nicht: 2014 offenbarte Edwards, mit Gott gänzlich gebrochen zu haben. „Ich habe einfach aufgehört zu glauben“, bekannte er. Sein früherer Fundamenta­lismus sei ihm peinlich, aber: „Ich bin damit glücklich. Ich vermisse nichts.“

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FOTO: NIKLAS LARSSON/IMAGO IMAGES Achtung, Überfliege­r: Jonathan Edwards.

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