Neue S-Klasse soll zum Rettungswagen in der Krise werden
So will Mercedes mit dem Flaggschiff wieder die Kurve kriegen
In ein paar Wochen mag die neue S-Klasse alle anderen MercedesModelle mit ihrem Glanz überstrahlen und versuchen, auch Audi A8 und BMW Siebener in den Schatten zu stellen. Nicht umsonst hat Designchef Gorden Wagener den Grill noch stolzer und größer gezeichnet und den Scheinwerfern einen noch strengeren Blick mitgegeben. Doch noch ist das kommende Flaggschiff der Sternenflotte vergleichsweise schmucklos unterwegs und trägt statt des feinen Zwirns den Blaumann der PS-Branche.
Denn die repräsentative Front, das stolze Format und das mächtige Heck sind noch mit Tarnfolie kaschiert. Schließlich dauert es noch einen Monat bis zu Weltpremiere der neuen S-Klasse, die – mal wieder – genau zur rechten Zeit kommt. Denn gebeutelt von dramatischen Gewinneinbrüchen und der CoronaKrise steckt Daimler genau wie zum Debüt der letzten S-Klasse tief im Schlamassel. Die neue Luxuslimousine muss zum Rettungswagen werden, der den Karren aus dem Deck zieht. Schließlich ist sie nicht nur weltweit der Leitstern in der Luxusliga und das technologische Flaggschiff des Konzerns, sondern wirft auch mehr Rendite ab als jedes andere Auto.
Der Mann, der diesen Rettungswagen steuert, ist Jürgen Weissinger, Daimler-Urgestein und Chefingenieur der Baureihe W223. Er hat ein paar Wochen vor Produktionsstart noch reichlich zu tun. „Denn mit all ihren Komfort-, Sicherheits- und Assistenz-, Infotainment- und Antriebssystemen ist die S-Klasse mit Abstand das komplexeste Auto in unserem Portfolio.“Dabei war sein Briefing eigentlich ganz einfach: das beste Auto der Welt noch besser zu machen.
Für die Passagiere bedeutet das unter anderem mehr Komfort durch Massagesitze auch im Fond und beheizte Nackenkissen in der ersten Reihe, eine serienmäßige Luftfederung und die optionale Active BodyControl aus dem GLE, die in der SKlasse noch feinfühliger reagiert und noch mehr kann. So hebt sie den Wagen vor einem Crash zum Beispiel um acht Zentimeter an und leitet den Aufprall so in die besonders stabile Unterbodenstruktur. Zusammen mit bis zu 16 Airbags soll das die S-Klasse auch wieder zum sichersten Auto der Welt machen.
Dazu gibt es ein neuartiges Infotainment-System mit einer Weiterentwicklung von MB UX: Das macht unter anderem knapp 30 Schalter und Taster überflüssig. Stattdessen erkennt das Auto viele Funktionen allein durch Blick- und Gestensteuerung und weiß deshalb zum Beispiel von selbst, ob der rechte oder der linke Außenspiegel verstellt werden soll. Außerdem warnt die S-Klasse bereits vor Verkehr von hinten, wenn man nur die Hand in Richtung Türgriff führt.
Während die Zahl der Schalter dramatisch abnimmt, wachsen dagegen die Display-Flächen. So nimmt nun ähnlich wie etwa bei Tesla ein riesiger, senkrechter Bildschirm die gesamte Mittelkonsole ein. Im Fond gibt es für jeden Passagier einen eigenen Touchscreen und ein herausnehmbares Tablet als Fernsteuerung. Und der Fahrer schaut in das erste digitale Cockpit mit 3D-Effekt, in dem Informationen wie Kulissen auf einer Theaterbühne gestaffelt werden. Wo die Augen drei Dimensionen genießen, gibt’s für die Ohren sogar vier: Denn das Soundsystem korreliert nun auch mit den Massagepolstern und lässt einen die Bässe buchstäblich fühlen.
Zwar wird bei der S-Klasse geklotzt und nicht gekleckert. Doch zumindest in einer Disziplin musste auch Weissinger sparen: beim Verbrauch. Obwohl das Auto größer geworden ist und mehr Technik drinsteckt, hat die S-Klasse deshalb wieder ein wenig abgespeckt und auch beim cw-Wert noch einmal einen Sprung gemacht. Außerdem gibt es für die Sechs- und die AchtzylinderMotoren immer Mild-hybrid-Technik. Wer den Sechszylinder-Plug-InHybrid bestellt, kann mit bis zu 100 Kilometern elektrischer Reichweite kalkulieren. Nur eine rein elektrische Variante wird es nicht geben, weil parallel ja gerade der EQS entwickelt wird, der ein halbes Jahr nach der S-Klasse Tesla & Co in die Schranken weisen will. Dafür hat Weissinger noch ein bisschen was für leistungshungrige und statusbewusste Kunden in petto: Natürlich wird es auch wieder einen S 63 von AMG geben und der bereits totgesagte Zwölfzylinder lebt im S 600 weiter.
Apropos Modellplanung: Wie bislang baut Mercedes die S-Klasse in drei Radständen. Die Standardversion mit einem Achsabstand von 3,10 und einer Länge von 5,15 Metern ist vor allem für die Europäer, die um rund zehn Zentimeter gestreckte Langversion für Chinesen und Amerikaner. Später auch wieder eine XXL-Version mit Maybach-Logo. Nur Cabrio und Coupé wird es nach aktuellem Stand künftig nicht mehr geben.