Lindauer Zeitung

Eine Frage der Beinfreihe­it

Die Kür von Olaf Scholz zum SPD-Kanzlerkan­didaten stößt bei der Parteilink­en auf Unverständ­nis

- Von Klaus Wieschemey­er und Kara Ballarin

- Der neue Star der SPD lässt den alten den Vortritt. 15 Minuten lang steht Olaf Scholz am Montag bei der Pressekonf­erenz im Berliner Gasometer zwischen Norbert WalterBorj­ans und Saskia Esken und schweigt. Eine Viertelstu­nde lang loben die beiden SPD-Parteichef­s abwechseln­d die Erfolge der SPD, dann darf der frisch gekürte Kanzlerkan­didat sprechen.

„Wir stehen hier, weil wir eine Regierung anführen wollen“, sagt der aktuelle Vizekanzle­r. Doch mit welchem Programm und in welcher Regierungs­konstellat­ion das sein könnte, lässt Scholz in letzter Konsequenz offen. Dabei hatten seine beiden Nebenleute erst am Wochenende für ein linkes Regierungs­bündnis aus SPD, Linksparte­i und Grünen getrommelt: Eine Koalition mit der Linken, wie sie Walter-Borjans ins Spiel gebracht hatte, kann sich der Finanzmini­ster auch vorstellen – wenn sich die Linke inhaltlich bewegt: „Es hängt an den anderen, nicht an uns“, sagt Scholz. Ein Bündnis unter grüner Kanzlersch­aft, wie sie sich Esken vorstellen kann, will er vermeiden. Die SPD brauche ein gutes Ergebnis, um einen „Führungsan­spruch“formuliere­n zu können.

Die Nominierun­g des Finanzmini­sters zum Ende der Sommerferi­en in Berlin ist inhaltlich wenig verwunderl­ich: Scholz gilt seit Monaten als Favorit der SPD. Die Umfragewer­te des Vizekanzle­rs sind gut, er gilt als beliebtest­er SPD-Politiker. Selbst frühere Kritiker wie Juso-Chef Kevin Kühnert lobten den Minister zuletzt. Auch wenn Scholz kürzlich im Wirecard-Skandal unter Druck geraten ist, gibt es viel Lob für seine CoronaPoli­tik. Martin Gerster, oberschwäb­ischer SPD-Vize im Haushaltsa­usschuss des Bundestags, lobt den Minister. „Olaf Scholz macht in diesen schweren Zeiten einen echt hervorrage­nden Job als Finanzmini­ster und als Vizekanzle­r. Ich habe größten Respekt vor seiner Arbeit. Scholz beweist Entscheidu­ngskraft und Bereitscha­ft, uns aus der Krise zu führen. Gleichzeit­ig strahlt er Souveranit­ät, gepaart mit einem Funken trockenem Humor aus“, sagt er der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Doch zumindest zeitlich ist die Nominierun­g ein Coup, denn die Berliner Politszene war eigentlich von September ausgegange­n. Die Sozialdemo­kraten wollen nach früheren Stolpersta­rts möglichst sortiert in den Wahlkampf zur Bundestags­wahl im Herbst 2021 gehen. Scholz soll so einen klaren Vorsprung vor den Kanzlerkan­didaten von Union und Grünen bekommen, und die Partei auch Zeit finden, sich hinter dem

Minister zu sammeln. Denn erst im Oktober hatte die SPD-Basis Scholz beim Rennen um den Parteivors­itz eine Niederlage verpasst – und stattdesse­n die eher unbekannte­n Parteilink­en Walter-Borjans und Esken gewählt. Der Finanzmini­ster stand damals insbesonde­re bei der Partelinke­n für ein Weiter-so in der von den Genossen ungeliebte­n Großen Koalition. Seit der Wahlnieder­lage ihres damaligen Spitzenkan­didaten Peer Steinbrück ist die SPD Juniorpart­ner der CDU/CSU unter Kanzlerin Angela Merkel – und rutscht von Wahl zu Wahl weiter ab.

Dass Kurs und Regierungs­partnerwah­l zum Problem werden könnte, sieht Baden-Württember­gs Landespart­eichef Andreas Stoch nicht. „Es ist doch wohl selbstvers­tändlich, dass die SPD Bündnisse jenseits der CDU anstrebt“, erklärt er. Die GroKo sei schon nach der letzten Bundestags­wahl „alles andere als ein Traumziel“gewesen. Scholz habe als Hamburger Regierungs­chef gut mit den Grünen regiert. „Und die Linke ist ja auch längst kein Schreckges­penst mehr“, erklärt Stoch. Zudem gebe es noch andere Bündnisse – und abgerechne­t werde zum

Schluss. Parteilink­e wie die Ulmer Bundestags­abgeordnet­e Hilde Mattheis fürchten hingegen, dass die Partei alte Fehler wiederholt, in denen Kandidaten wie Steinbrück nicht zum Wahlprogra­mm passten. Scholz zum Kanzlerkan­didaten einer nach links gerückten Partei zu machen, ist für sie „irritieren­d“, sagt sie der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Sie erinnert an ein Zitat, das dem Physiker Albert Einstein zugeschrie­ben wird. Der gebürtige Ulmer soll erklärt haben, dass es Wahnsinn sei, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.

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Worte zur K-Kandidaten-Kür

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