Der ungeeignete Präsident
Auch Autokratien versuchen, kreativ zu sein. Am Wahlsonntag wurden die Schlangen vor den Abstimmungslokalen länger und länger, am Ende warteten in Minsk, Brest, auch in Warschau oder Moskau Tausende vergeblich auf die Wahrnehmung ihres Wahlrechts. Mancherorts waren wohl wegen massiver Manipulationen die Stimmzettel knapp geworden, anderswo veranstaltete man offenbar Bummelstreik, um die als oppositionell verschrieenen Spätwähler auszuschalten. Plumper, offener und zynischer kann ein Regime seine Bürger kaum zur Weißglut treiben. Aber Dauerwahlsieger Alexander Lukaschenko gehört zu den Politikern in Eurasien, die sich längst nicht mehr um ihren Ruf scheren. Oder um die Gefühle ihrer Untertanen. Und wieder einmal lässt der „letzte Diktator Europas“Wasserwerfer und prügelnde Polizisten gegen die Weißrussen auffahren, die aus Protest gegen den neuen Wahlbetrug auf die Straße gehen.
Lukaschenko, 65, seit 26 Jahren an der Macht, ist bekannt dafür, dass er selten zwei Sätze ohne Widersprüche aneinanderreiht. Ein Populist aus dem vorigen Jahrhundert, dessen Parolen wohl nur noch die emotionalen Bedürfnisse der über 80-jährigen Weißrussen erreichen. Ein Machtmensch, der nicht begreift, dass sein cholerisches Charisma, seine Pump- und Planwirtschaft, sowie sein gewalttätiger Polizeiapparat völlig ungeeignet sind, um die Probleme im Zeitalter von IT, Covid oder Klimawandel auch nur anzugehen. Einer, der auf die wachsende Abneigung der Gesellschaft mit noch mehr Wut und Polizei reagiert. Wie auch immer die Proteste in Weißrussland enden werden, für die Masse seiner Landsleute dürfte Lukaschenko endgültig unten durch sein.