Sammelsurium der Extraklasse
150 Jahre Rosgartenmuseum Konstanz – Ausstellung spiegelt das Haus und seine Schätze
- Am Anfang war die Raumnot. Weil sich in Apotheke und Wohnhaus des Konstanzers Ludwig Leiner partout kein Platz mehr fand für die Tausende von Objekten des leidenschaftlichen Sammlers, sann er auf Abhilfe. In einem Gebäude mit reicher Geschichte konnte er 1870 eine „Alterthumshalle“einrichten. Damit war der Grundstock gelegt für das heutige Rosgartenmuseum, eine der bedeutendsten kulturhistorischen Einrichtungen im Bodenseeraum – und vor allem selbst eine Art apartes Museumsstück. Der 150. Geburtstag wird nun bis ins nächste Jahr hinein mit einer Ausstellung quer durch das Haus gefeiert: „Schätze des Südens – Kunst aus 1000 Jahren“.
Im Jahr 1454 hat man das Zunfthaus „Zum Rosgarten“der Metzger, Krämer, Apotheker, Hafner und Seiler mit dem Haus „Zum Schwarzen Widder“vereint. Ein solches Altstadtjuwel fällt einem nicht so einfach zu. Aber Ludwig Leiner galt etwas in der Stadt. Der Nachfahre einer alten Patrizierfamilie war blitzgescheit, bienenfleißig, zielstrebig – und vor allem ein Mann, der mit seinem Sammeleifer imponierte. Den hatte er wohl in den Genen. Leiners Großvater nannte 2500 Schmetterlinge sein Eigen, der Vater hatte eine
Zur 150-Jahr-Feier des Rosgartenmuseums hatte sein Chef Tobias Engelsing eine zwar naheliegende, aber durchaus zündende Idee: Er nahm sich die „Biografie“dieses Hauses vor, die über mehr als 100 Jahre hinweg eng verknüpft war mit den Biografien der Familie Leiner. Allesamt standen sie an der Spitze des Hauses: zunächst Ludwig (1830-1901), der noch dem 19. Jahrhundert verhaftete., kritischkonservative Gründer, dann der linksliberale Sohn Otto (1856-1931), nach ihm der Enkel Bruno (18901954), der die problematische Epoche während und nach der NS-Zeit meistern musste, und schließlich die resolute Urenkelin Sigrid (19181994). Was sie einte, war der Hang zum Sammeln und als logische Folge die Verpflichtung zur Wahrung des Familienerbes. Ein teures Unterfangen, denn die Unterstützung durch die Stadt war sehr bescheiEngelsing
Sammlung von 20 000 Pflanzen angelegt, und der 1830 geborene Ludwig trug nun alles zusammen, was ihm für die Nachwelt erhaltenswert erschien: Pflanzen, Mineralien, Versteinerungen, archäologische Funde und Zeugnisse der Konstanzer Vergangenheit wie Tafelbilder, Skulpturen, Handschriften, Möbel, Waffen und vieles andere.
Einerseits kam ihm das Zeitgefühl entgegen. Die Rückbesinnung auf das Erbe der Vorfahren passte zum neu erwachten Nationalbewusstsein Mitte des 19. Jahrhunderts. Andererseits litt Leiner unter der rasenden Entwicklung seiner Heimatstadt, die sich vom historischen Stadtbild befreien und hineinwachsen wollte in eine neue Zeit der Industrialisierung und des Fremdenverkehrs. Hier suchte der einflussreiche Stadtrat mit seinem Museum ein Gegengewicht zu setzen, was ihm auch überzeugend gelang. Er rettete, was zu retten war – wenn es sein musste eigenhändig mit dem Leiterwagen. Und seine Nachfahren – wenig verwunderlich bei besagten Genen – hielten über drei weitere Generationen hinweg beisammen, was er angehäuft hatte. Nicht genug damit: Sie mehrten es noch. (Siehe nebenstehenden Text).
Dieser Glücksfall macht den Rundgang durch das altehrwürdige den. Ankäufe und Unterhalt oblagen lange Zeit allein den Leiners. Ein städtisches Gehalt für die Chefin wurde erstmals 1955 bezahlt.
Gemäuer mit stilgerechtem Anbau und lauschigem Innenhof zu einem anregenden Erlebnis. Singulär ist der „Leiner-Saal“im Erdgeschoss, in dem noch die vom Gründer 1870 eigens entworfenen neogotischen Vitrinen stehen. Der Raum ist zwar bei Weitem nicht mehr so überfüllt wie früher, aber die Anhäufung von geologisch-paläontologischen und archäologischen Funden wirkt immer noch imposant genug. Und ein Glanzstück sticht hervor: Als zu Leiners Zeiten eine Art Pfahlbaufieber am See ausgebrochen war und jeder nach Relikten der Urzeit suchte, gelang ihm ein Sensationserwerb. Der Lochstab aus Rentiergeweih mit Rentierzeichnungen aus der Kesslerloch-Höhle bei Schaffhausen ist weltberühmt.
Natürlich hat das Haus – so disparat es auch aufs Erste wirken mag – heute einen didaktischen Zuschnitt. Gespiegelt wird die Konstanzer Geschichte von der Prähistorie bis in die Jetztzeit. Man läuft über ein Stück römischen Fußboden, staunt über ein Modell der mittelalterlichen Stadt, lernt die Protagonisten der badischen Revolution von 1848 kennen, erlebt den Aufbruch in die Moderne und erschrickt schließlich über Konstanz in der NS-Zeit. Dazwischen wird das Konzil von 1414 bis 1418 gewürdigt, mitsamt der Tragödie um hat nun für das nötige Fleisch am Gerippe dieser Fakten gesorgt – durch detailfreudige Recherche, lebendige Schilderung und flüssigen Stil. Herausgekommen ist eine spannende Mischung aus Familiensaga, Sammlungsgeschichte und Kulturchronik einer Stadt von der Kaiserzeit bis heute. Natürlich bringt das opulent bebilderte Buch vor allem einen Erkenntnisgewinn für Konstanzer. Aber darüber hinaus hat es museumspolitisch einen allgemeingültigen-exemplarischen Anstrich. Kultursachwalter anderer Kommunen hatten vergleichbare Probleme mit den Zeitläuften. Und deswegen liest man sich selbst als Nicht-Konstanzer in dem Band fest. (wavo)
Leiners Erben. Biografie eines Museums. Südverlag. 250 Seiten. 24,90 Euro. den als Ketzer verbrannten Jan Hus. Ihren Niederschlag finden außerdem die Wirren der Reformationszeit, als Konstanz wegen der Hinwendung zum neuen Glauben 1548 den Status einer Freien Reichsstadt verlor und von Kaiser Karl V. in ein katholisch-vorderösterreichisches Korsett gezwungen wurde.
Zuvor hatte die Stadt eine Epoche des Wohlstands erlebt, was sich in einem regen Kunstschaffen spiegelte. Vieles ging wohl im Bildersturm verloren, aber dennoch findet sich hier sehr ansehnliche Kunst des Mittelalters aus Stadt und Region. Nur ein Beispiel: die Maria des Meisters von Eriskirch um 1420 mit ihrem trauerumflorten Blick. Auch die Kunst der nachfolgenden Jahrhunderte bis in unsere Zeit kommt in den reizvoll verschachtelten Räumen nicht zu kurz. Erhalten blieb zudem der große Zunftsaal des Mittelalters mit seiner feinen gewölbten Balkendecke. Leiner hatte ihn einst mit Exponaten vollgestopft – nur noch eine „Rumpelkammer“, wie Gegner lästerten. Heute ist er geräumt und eine der guten Stuben der Stadt.
Geschickt eingebaut in den Parcours durch das Haus sind einige für die Jubiläumsausstellung speziell herausgehobene Exponate – etwa besagter Rentierknochen. Und dann ist da noch die Extra-Schau zu den „Schätzen der Kunst aus 1000 Jahren“im 3. Stock. Dort hat man wohl mit Absicht diesen Aspekt des Disparaten aufgenommen, der dem Haus anhaftet – ihm aber überhaupt nicht zum Nachteil gereicht. Die Beinprothese von 1863 findet sich da genauso wie die Armenbibel von 1330, die verblichene Dogenmütze aus Venedig wie das Krötenamulett gegen Kindersterblichkeit, das grandiose gotische Haupt eines Schmerzensmannes wie der Gebärstuhl aus dem 18. Jahrhundert, die protzige Pickelhaube der Bürgerwehr von 1830 wie ein zartes Frauenporträt der bedeutenden Konstanzer Malerin Marie Ellenrieder von 1819. Man sammelte halt in dieser Familie der Leiners mit Inbrunst, Verstand und Geschick.
Wer in Corona-Zeiten einen Hotspot der ganz anderen Art sucht, einen mit viel Flair und kulturhistorischem Anspruch – hier ist er.
Bis 11. April 2021. Schätze des Südens – Kunst aus 1000 Jahren. 150 Jahre Rosgartenmuseum Konstanz.