Lindauer Zeitung

Die schwere letzte Suche nach dem Herrchen

Die Gruppe „Pink Ladies“gibt tote Katzen und Hunde an ihre Besitzer zurück

- Von Frederick Mersi

(dpa) - Mehrfach am Tag erhält Christiane Schrade auf ihrem Smartphone Fotos toter und entstellte­r Haustiere, vor allem überfahren­er Katzen. Ist Schrade in der Nähe des Fundorts, fährt sie sofort los: „Bei toten Tieren muss es schnell gehen.“413 solcher Meldungen gingen im vergangene­n Jahr bei Schrade und ihren Mitstreite­rinnen ein. Ihre Mission: die Tiere ihren Besitzern zurückbrin­gen.

Die 17 Allgäuer Frauen gehören mittlerwei­le zu der ehrenamtli­chen Gruppe, die sich „Pink Ladies“nennt – erkennbar sind sie an den gleichfarb­igen Warnwesten. „Wir sind alle Tierliebha­ber, teilweise schon Freaks“, sagt Schrade, Gründerin der Gruppe und als Sucherin im Ostallgäu unterwegs.

In 178 Fällen konnten die Frauen 2019 die Besitzer ausfindig machen – und die toten Tiere ein letztes Mal zurück nach Hause bringen. Einfach ist das für sie nicht.

Überfahren­e Haustiere seien oft völlig entstellt, sagt Schrade und zeigt Bilder auf ihrem Smartphone. „Manchmal gibt es die Katzen nur noch stückweise.“Mithilfe eines Chip-Lesegeräts können die „Pink Ladies“in Haustier-Datenbanke­n zwar nach den Besitzern suchen. Allerdings sind deutschlan­dweit mehr als die Hälfte aller Katzen und Hunde nicht in einem entspreche­nden Register vermerkt, wie eine Umfrage im Auftrag des Deutschen Tierschutz­bundes 2018 ergab.

Den Tieren werde zwar seit 2011 ein Chip zur Kennzeichn­ung eingesetzt, sagt Astrid Behr vom Bundesverb­and Praktizier­ender Tierärzte. Das Registrier­en in einer Datenbank würden die Besitzer aber oft vergessen: „Trifft das auf das Tier zu, das tot aufgefunde­n wird, ist die Identifizi­erung meistens nicht möglich.“Eine bundesweit­e Kennzeichn­ungspflich­t für Haustiere gebe es nicht, nur einen „Flickentep­pich“aus regionalen Regelungen.

Für Christiane Schrade und ihre Mitstreite­rinnen beginnt bei Tieren ohne implantier­ten Chip oder Registrier­ung eine aufwendige und langwierig­e Recherche. War ein Tier zum Beispiel vor 2011 beim Tierarzt in Behandlung, besteht die Chance, es anhand einer entspreche­nden Tätowierun­g zu identifizi­eren. „Nach welchem System tätowiert wird, ist aber oft unterschie­dlich“, sagt Christiane Schrade. „Deshalb haben wir 130 Tierärzte im Allgäu angerufen und gefragt, wie sie das machen.“

Meist sind für die Entsorgung überfahren­er Haustiere städtische Bauhöfe oder Straßenmei­stereien zuständig. Oft werde dabei aber kein Wert darauf gelegt, tote Haustiere ihren Besitzern zuzuordnen, sagt Schrade. Deshalb sei bei einer Meldung Eile geboten: „Die Tiere verschwind­en sonst für immer.“

Einige Behörden seien dankbar für die ehrenamtli­che Hilfe der „Pink Ladies“, sagt Schrade. Mit anderen sei eine Zusammenar­beit schwierig. Ihre Meldungen erhalten die Sucherinne­n meist über Messengerd­ienste oder über regionale Facebook-Gruppen.

Gruppen, die tote Haustiere identifizi­eren, sind aber nicht nur im Allgäu aktiv. Die 2011 gegründete Initiative „Tierhilfe Team & TotFundHun­d“zum Beispiel hat rund 190 Helfer in ganz Deutschlan­d. „Jeder setzt sich ein, wie er oder sie es gerade kann“, sagt Leiterin Nancy Solitair. „Wenn es nicht anders geht, fragen wir bei Meldungen auch Vereine oder Bauhöfe.“

Für ihr Engagement haben die Helferinne­n oft persönlich­e Gründe. „Pink Lady“Petra Zech zum Beispiel erzählt von ihrem Kater Franz, der lange auf ihre Katze Sissi wartete, als sie verschwund­en war. Gründerin Christiane Schrade vermisst seit 2015 ebenfalls zwei Katzen. „Wir wissen alle, wie sich das anfühlt“, sagt die 50-Jährige. „Wenn wir Tiere vermissen, sind das für uns Familienmi­tglieder.“

Deswegen gehören zur Ausrüstung der „Pink Ladies“nicht nur Einmalhand­schuhe, Feuchttüch­er und ein Chip-Lesegerät, sondern auch Plastikblu­men – für einen Abschied in Würde. „Die meisten Besitzer wollen das Tier beerdigen“, sagt Christiane Schrade. „Die brauchen das zum Verarbeite­n.“Als Beispiele nennt sie Eltern, die ihren Kindern nun erklären könnten, was mit ihrer Katze geschehen sei. Oder ein älteres Ehepaar, deren Haustier nach dem Auszug der Kinder noch für Leben im eigenen Heim gesorgt hatte. „Du weinst dann mit diesen Menschen mit“, erklärt Schrade.

Ein „Scheißjob“sei das schon manchmal, sagt die 50-Jährige. Wenn man dann noch am Straßenran­d als „Leichenfle­dderer“beschimpft werde, mache es das noch mal schwierige­r. Es gebe aber auch Erfolgserl­ebnisse: So konnten die „Pink Ladies“einen Kater, der seit Ende Januar vermisst war, nach einem knappen halben Jahr zu seinem Besitzer zurückbrin­gen – lebendig.

Auch wenn solche Fälle eher die Ausnahme sind: Gewissheit für die trauernden Besitzer der Haustiere ist für die „Pink Ladies“Motivation genug.

„Die meisten Besitzer wollen das Tier beerdigen. Die brauchen das zum Verarbeite­n.“

Christiane Schrade, Gründerin der Gruppe „Pink Ladies“

 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Die „Pink Ladies“Erika Uhrig, Susi Bauer, Christiane Schrade und Petra Zech (v. li.) präsentier­en gemeinsam ein Chip-Lesegerät. Mit ihm können implantier­te Chips bei Haustieren ausgelesen werden.
FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Die „Pink Ladies“Erika Uhrig, Susi Bauer, Christiane Schrade und Petra Zech (v. li.) präsentier­en gemeinsam ein Chip-Lesegerät. Mit ihm können implantier­te Chips bei Haustieren ausgelesen werden.

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