Die schwere letzte Suche nach dem Herrchen
Die Gruppe „Pink Ladies“gibt tote Katzen und Hunde an ihre Besitzer zurück
(dpa) - Mehrfach am Tag erhält Christiane Schrade auf ihrem Smartphone Fotos toter und entstellter Haustiere, vor allem überfahrener Katzen. Ist Schrade in der Nähe des Fundorts, fährt sie sofort los: „Bei toten Tieren muss es schnell gehen.“413 solcher Meldungen gingen im vergangenen Jahr bei Schrade und ihren Mitstreiterinnen ein. Ihre Mission: die Tiere ihren Besitzern zurückbringen.
Die 17 Allgäuer Frauen gehören mittlerweile zu der ehrenamtlichen Gruppe, die sich „Pink Ladies“nennt – erkennbar sind sie an den gleichfarbigen Warnwesten. „Wir sind alle Tierliebhaber, teilweise schon Freaks“, sagt Schrade, Gründerin der Gruppe und als Sucherin im Ostallgäu unterwegs.
In 178 Fällen konnten die Frauen 2019 die Besitzer ausfindig machen – und die toten Tiere ein letztes Mal zurück nach Hause bringen. Einfach ist das für sie nicht.
Überfahrene Haustiere seien oft völlig entstellt, sagt Schrade und zeigt Bilder auf ihrem Smartphone. „Manchmal gibt es die Katzen nur noch stückweise.“Mithilfe eines Chip-Lesegeräts können die „Pink Ladies“in Haustier-Datenbanken zwar nach den Besitzern suchen. Allerdings sind deutschlandweit mehr als die Hälfte aller Katzen und Hunde nicht in einem entsprechenden Register vermerkt, wie eine Umfrage im Auftrag des Deutschen Tierschutzbundes 2018 ergab.
Den Tieren werde zwar seit 2011 ein Chip zur Kennzeichnung eingesetzt, sagt Astrid Behr vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte. Das Registrieren in einer Datenbank würden die Besitzer aber oft vergessen: „Trifft das auf das Tier zu, das tot aufgefunden wird, ist die Identifizierung meistens nicht möglich.“Eine bundesweite Kennzeichnungspflicht für Haustiere gebe es nicht, nur einen „Flickenteppich“aus regionalen Regelungen.
Für Christiane Schrade und ihre Mitstreiterinnen beginnt bei Tieren ohne implantierten Chip oder Registrierung eine aufwendige und langwierige Recherche. War ein Tier zum Beispiel vor 2011 beim Tierarzt in Behandlung, besteht die Chance, es anhand einer entsprechenden Tätowierung zu identifizieren. „Nach welchem System tätowiert wird, ist aber oft unterschiedlich“, sagt Christiane Schrade. „Deshalb haben wir 130 Tierärzte im Allgäu angerufen und gefragt, wie sie das machen.“
Meist sind für die Entsorgung überfahrener Haustiere städtische Bauhöfe oder Straßenmeistereien zuständig. Oft werde dabei aber kein Wert darauf gelegt, tote Haustiere ihren Besitzern zuzuordnen, sagt Schrade. Deshalb sei bei einer Meldung Eile geboten: „Die Tiere verschwinden sonst für immer.“
Einige Behörden seien dankbar für die ehrenamtliche Hilfe der „Pink Ladies“, sagt Schrade. Mit anderen sei eine Zusammenarbeit schwierig. Ihre Meldungen erhalten die Sucherinnen meist über Messengerdienste oder über regionale Facebook-Gruppen.
Gruppen, die tote Haustiere identifizieren, sind aber nicht nur im Allgäu aktiv. Die 2011 gegründete Initiative „Tierhilfe Team & TotFundHund“zum Beispiel hat rund 190 Helfer in ganz Deutschland. „Jeder setzt sich ein, wie er oder sie es gerade kann“, sagt Leiterin Nancy Solitair. „Wenn es nicht anders geht, fragen wir bei Meldungen auch Vereine oder Bauhöfe.“
Für ihr Engagement haben die Helferinnen oft persönliche Gründe. „Pink Lady“Petra Zech zum Beispiel erzählt von ihrem Kater Franz, der lange auf ihre Katze Sissi wartete, als sie verschwunden war. Gründerin Christiane Schrade vermisst seit 2015 ebenfalls zwei Katzen. „Wir wissen alle, wie sich das anfühlt“, sagt die 50-Jährige. „Wenn wir Tiere vermissen, sind das für uns Familienmitglieder.“
Deswegen gehören zur Ausrüstung der „Pink Ladies“nicht nur Einmalhandschuhe, Feuchttücher und ein Chip-Lesegerät, sondern auch Plastikblumen – für einen Abschied in Würde. „Die meisten Besitzer wollen das Tier beerdigen“, sagt Christiane Schrade. „Die brauchen das zum Verarbeiten.“Als Beispiele nennt sie Eltern, die ihren Kindern nun erklären könnten, was mit ihrer Katze geschehen sei. Oder ein älteres Ehepaar, deren Haustier nach dem Auszug der Kinder noch für Leben im eigenen Heim gesorgt hatte. „Du weinst dann mit diesen Menschen mit“, erklärt Schrade.
Ein „Scheißjob“sei das schon manchmal, sagt die 50-Jährige. Wenn man dann noch am Straßenrand als „Leichenfledderer“beschimpft werde, mache es das noch mal schwieriger. Es gebe aber auch Erfolgserlebnisse: So konnten die „Pink Ladies“einen Kater, der seit Ende Januar vermisst war, nach einem knappen halben Jahr zu seinem Besitzer zurückbringen – lebendig.
Auch wenn solche Fälle eher die Ausnahme sind: Gewissheit für die trauernden Besitzer der Haustiere ist für die „Pink Ladies“Motivation genug.
„Die meisten Besitzer wollen das Tier beerdigen. Die brauchen das zum Verarbeiten.“
Christiane Schrade, Gründerin der Gruppe „Pink Ladies“