Die Polizei und das Racial Profiling
Laut Experten sind die offiziellen Zahlen zu Rassismus wenig aussagekräftig
- Hat die Polizei ein Rassismusproblem? Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), Innenminister Thomas Strobl (CDU) und Polizeigewerkschaften sagen: Nein. Doch sie ernten Widerspruch. Denn es fehlen verlässliche Daten zum Thema.
Sylvie Nantcha hat Rassismus selbst erlebt. Sie saß im Zug von Berlin nach Freiburg, als drei Polizeibeamte sie aufforderten, sich auszuweisen – als Einzige im überfüllten Zugabteil. Sie habe die Beamten gefragt, warum gerade sie kontrolliert werde und sie aufgefordert, zumindest eine weitere Person zu kontrollieren – worauf die Polizisten nicht eingegangen seien. „Dann habe ich gesagt, dass ich Stadträtin in Freiburg bin.“Da hätten sich die Polizisten entschuldigt und seien gegangen. Heute lacht sie darüber. „In der Situation fühlt man sich aber wie eine Kriminelle“, sagt sie.
Nantcha, CDU-Politikerin und Vorsitzende des African Network of Germany (TANG), bekommt viele Nachrichten von Menschen, die willkürlich kontrolliert worden seien, wie sie erzählt: „Racial Profiling passiert jeden Tag.“Racial Profiling liegt dann vor, wenn Sicherheitsbehörden eine Person nicht aufgrund ihres Verhaltens, sondern wegen ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Herkunft als verdächtig einschätzen. Solche Kontrollen verstoßen gegen das Grundgesetz.
Immer wieder werden ähnliche Vorfälle bekannt – zuletzt etwa, als Polizeischüler aus dem Südwesten in Whatsapp-Gruppen rassistische Äußerungen austauschen. Streit herrscht jedoch darüber, wie verbreitet dieses in der Polizei ist, ob es gar rechte Netzwerke innerhalb der Organisation gibt oder ob es sich um Einzelfälle handelt. Doch große, externe Studien zum Thema fehlen. Südwest-Innenminister Strobl legt sich dennoch fest: „Unsere Landespolizei hat kein strukturelles Rassismusoder Diskriminierungsproblem.“
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) veröffentlichte im März einen Bericht und kritisierte Deutschland darin scharf. Die Politik tue zu wenig gegen solche verbotenen Kontrollen. „Für ein Land, das gegenwärtig die EU-Ratspräsidentschaft innehat, ist dies ein verheerendes Urteil“, sagt der Bochumer Kriminologe Professor Thomas Feltes. Die ECRI empfahl außerdem eine Studie zum Racial Profiling bei der Polizei. Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU) stoppte entsprechende Pläne. Er begründet seine Entscheidung auch damit, dass Racial Profiling schlicht verboten sei. „Verboten heißt nicht, dass es nicht passiert“, sagt Nantcha.
Die Landesregierung lehnt eine Studie ebenfalls ab. Ministerpräsident Kretschmann sagt, er habe keine Anhaltspunkte für ein Rassismusproblem in der Landespolizei – damit gebe es keinen Anlass für eine externe Untersuchung. Das sieht Armin Bohnert anders. Er ist Vizechef des Vereins PolizeiGrün, in dem sich Polizisten mit politischer Nähe zu den Grünen zusammengeschlossen haben. „Man kann das natürlich so sehen wie der Ministerpräsident. Aber er hat keine schlechten Erfahrungen
mit der Polizei gemacht. Aber das sieht anders aus, wenn man Menschen fragt, die anders aussehen oder am Rande der Gesellschaft stehen. Im Turm zu sitzen und zu sagen, alles sei gut, ist keine Lösung.“Um sich ein Bild zu machen, brauche es solche Untersuchungen, und zwar von Außenstehenden.
Gundram Lottmann, Vize-Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), hält eine Studie dennoch für überflüssig. Lottmann setzt auf Bodycams. Diese Videokameras tragen Polizisten im Land an der Uniform. Sie laufen mit, wenn ein Polizist sie selbst aktiviert. „Die Polizei hat nichts zu verheimlichen. Wir verstehen uns als offen und bürgernah“, so Lottmann. Mit den Aufzeichnungen könne die Polizei zeigen, ob Vorwürfe zutreffen oder nicht.
Bestätigt sehen sich die Gewerkschafter durch Zahlen aus dem Innenministerium. Das hat seine Disziplinarstatistik ausgewertet. Sie verzeichnet die Zahl von Beschwerden gegen Polizisten. Seit dem 1. Januar 2015 gingen 163 Beschwerden über diskriminierendes Verhalten ein. In 136 davon ging es um Rassismus. In rund fünf Prozent der eingereichten Beschwerden habe sich der Verdacht bestätigt, so das Ministerium. Es gebe seither 26 Disziplinarverfahren wegen Diskriminierung – das betreffe nur rund 0,1 Prozent der rund 24 500 Polizisten.
Doch diese Zahlen seien nicht verlässlich, so die Kritiker. Polizist Bohnert erklärt, warum: „Die Auswertung der Disziplinarstatistik reicht bei Weitem nicht aus, um zu beurteilen, ob es tatsächlich ein Rassismusproblem gibt. Gerade Menschen aus Randgruppen oder mit Sprachproblemen beschweren sich erst gar nicht über die Polizei. Sie wissen nicht, an wen sie sich wenden müssen oder können ihre Beschwerde nicht gut schriftlich formulieren. Und wenn sich jemand in einer Polizeidienststelle beschwert, wird die Beschwerde in einem freundlichen Gespräch erledigt. Darüber wird aber dann kein Protokoll geführt.“
Kriminologe Feltes geht noch weiter. Die allermeisten Menschen, die sich von der Polizei diskriminiert fühlten, würden sich erst gar nicht melden. „Die Betroffenen wissen genau, dass eine Anzeige in der Regel erfolglos sein wird und in den meisten Fällen sogar zu einer Gegenanzeige durch die Polizei, etwa wegen Beleidigung oder Widerstand, führt.“Deswegen existiere mit hoher Wahrscheinlichkeit ein extrem großes Dunkelfeld. Der Wissenschaftler Tobias Singelstein hat eine Studie dazu veröffentlicht, wie groß das Dunkelfeld bei Gewalttaten durch Polizisten ist. Sein Ergebnis: Auf eine registrierte Tat kommen sechs nicht registrierte Taten. „Im Bereich von Diskriminierungen gehe ich von einer weitaus höheren Zahl von nicht registrierten Fällen aus, die im mittleren zweistelligen Bereich liegen dürfte“, erklärt Feltes. Sein Fazit: „Diese Auswertung als ,Untersuchung’ zu bezeichnen, ist Augenwischerei.“
Sylvie Nantcha betont, dass es ihr keineswegs um einen Generalverdacht gegenüber der Polizei gehe. „Die Studie ist ein wichtiger Schritt für das Vertrauen zwischen der Polizei und der afrikanischen Community.“Denn die Beziehung sei schwer belastet: „Die afrikanische Community hat nicht den Eindruck, dass die Polizei sie beschützt.“