„Wir werden für Kretschmann eine Frischzellenkur sein“
Baden-Württembergs SPD-Chef Andreas Stoch will nach der Landtagswahl mit seiner Partei in die Regierung
- Andreas Stochs Ziel ist klar definiert: Er sieht die SPD nach der nächsten Landtagswahl in Baden-Württemberg in Regierungsverantwortung. „Wir haben mit den Grünen bereits von 2011 bis 2016 regiert, ich möchte sagen, gut regiert. Das sollte wieder möglich sein“, sagt der baden-württembergische SPDVorsitzende und Fraktionschef im Stuttgarter Landtag im Gespräch mit Daniel Hadrys, Hendrik Groth und Claudia Kling. Von der Nominierung von Finanzminister Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten der SPD erwartet sich Stoch auch einen Schub für seine Partei im Land.
Herr Stoch, die Corona-Infektionszahlen steigen wieder. Die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina hat nun empfohlen, dass Schüler auch während des Unterrichts Masken tragen sollen. Sollte die Maskenpflicht im Klassenzimmer zum Schulstart kommen?
Ich würde ohne Maskenpflicht im Klassenzimmer ins neue Schuljahr starten, aber es muss eine Möglichkeit der Korrektur geben, falls es notwendig ist. Unterricht zu machen, wenn Lehrer und Schüler permanent Masken tragen, halte ich für schwierig. Aber eine Maskenpflicht im Schulgebäude ist durchaus sinnvoll. Zudem sollten wir versuchen, die Klassen möglichst voneinander getrennt zu halten und den Unterricht zeitlich zu entzerren, um nicht wie in Mecklenburg-Vorpommern im Falle einer Corona-Infektion gleich die ganze Schule schließen zu müssen.
Beim Schulgipfel von Bund und Ländern wurde beschlossen, Lehrer mit Dienst-Laptops und Schüler mit günstigem Internet auszustatten. Bringt das eine Verbesserung, falls Homeschooling tatsächlich wieder notwendig würde?
Unser erstes Ziel muss der Präsenzunterricht sein, denn dass Homeschooling funktioniert hat, halte ich für ein Märchen. Ein Teil des Problems war sicherlich eine mangelnde technische Ausstattung sowohl bei Schülern als auch Lehrern. Es ist ja ein Witz, dass eine Lehrkraft ihre Arbeitsmittel, die sie für den Unterricht braucht, bislang selbst bezahlen musste. Deswegen sind beim Schulgipfel wichtige Entscheidungen getroffen worden, die aber eigentlich schon längst hätten getroffen werden müssen. Der ständige Abgrenzungskampf zwischen Bund und Ländern in der Bildung bringt nichts, im Gegenteil, wir brauchen einen Schulterschluss von Bund, Ländern und Kommunen.
Wird die Zeit bis zum Schulstart effektiv genutzt, um Schüler und Lehrer auf die Rückkehr in die Schulen vorzubereiten?
Die SPD-Fraktion hat schon Anfang Juni ein Forderungspapier mit dem Titel „Das krisenfeste Klassenzimmer“vorgelegt. Kultusministerin Eisenmann hat viel zu spät darauf reagiert, gerade im Hinblick auf die technische Ausstattung der Schulen. Sie macht auch einen Fehler, wenn sie glaubt, durch eine zweiwöchige Lernbrücke am Ende der Sommerferien werde das aufgeholt, was über fünf Monate an Rückstand aufgelaufen ist. Das ist für mich ein Feigenblatt, das man sich vorhält, um irgendwie auf Aktion zu machen. Wir haben in unserem Papier auch gefordert, dass das kommende Schuljahr ein Unterstützungs- und Nachhilfesystem braucht, um den Schülern die Möglichkeit zu geben, den verpassten Lernstoff aufzuholen.
Und dafür möchten Sie 1000 zusätzliche Lehrer einstellen?
Ja. Wir haben genügend Lehrkräfte auf dem Markt. Im vergangenen Jahr blieben mehr als 2000 Gymnasiallehrkräfte ohne Stelle. Ich habe Lehrer lieber an den Schulen, um Unterstützungsund Nachhilfekurse anzubieten, als dass ich die Schüler mit ihren Problemen alleinelasse. Sonst geben wieder die Eltern beziehungsweise deren Geldbeutel den Ausschlag, ob Kinder den Rückstand aufholen können oder eben nicht.
Sehen Sie im Thema Bildung auch eine Chance, sich als besserer Partner in einer Regierungskoalition nach der Landtagswahl anzubieten?
Da müssen wir uns nicht anbieten. Die grün-schwarze Regierung ist eine Koalition auf Abruf, die streiten sich beinahe zu jedem Thema. Jeder in dieser Koalition und auch außerhalb dieser Koalition weiß, dass dieses Bündnis nicht funktioniert. Und ja, ich kämpfe für eine Regierungsbeteiligung der SPD nach der nächsten Landtagswahl. Wir haben mit den Grünen bereits von 2011 bis 2016 regiert, ich möchte sagen, gut regiert. Das sollte wieder möglich sein. Am 14. März um 18 Uhr wissen wir mehr.
Wie wollen Sie neben Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der immer noch sehr beliebt ist, im Wahlkampf punkten?
Kretschmann ist als Person beliebt. Aber er hat in vier Jahren Regierungskoalition mit der CDU keine politischen Projekte auf den Weg gebracht, obwohl das dringend notwendig wäre. Und das wissen auch die Wähler. Mit uns als Partner war das anders, da hat der Ministerpräsident tatsächlich Themen angepackt. Wenn Sie so wollen, werden wir für Kretschmann von 2021 an eine Frischzellenkur sein.
Und welche Projekte stehen auf Ihrer Prioritätenliste?
Neben der Bildung vor allem das Thema Wohnen. Bezahlbarer Wohnraum ist im Südwesten ein Riesenproblem. Viele Menschen haben das Gefühl, sie werden aus der Gesellschaft herausgedrängt, weil sie sich das Wohnen nicht mehr leisten können. Wir haben die Gründung einer Landeswohnungsbaugesellschaft angeregt, wie sie zum Beispiel Bayern hat. Und das ist ja kein Land, das des Sozialismus verdächtig ist.
Für die Hausbesitzer ist auch die Grundsteuer ein großes Thema. Baden-Württemberg ist mit einem eigenen Modell vorgeprescht, das die Art des Gebäudes unberücksichtigt lässt. Was halten Sie davon?
Ich halte das reine Bodenwert-Modell, wie es Baden-Württemberg vorgeschlagen hat, für ungerecht, falsch und auch unsozial. Wenn Sie ein Grundstück haben, auf dem ein kleines, altes Häusle steht, zahlen Sie nach dem Modell von Grün-Schwarz gleich viel Grundsteuer wie nebendran der Besitzer einer Villa, die als Gebäude drei Millionen Euro kostet. Das halte ich für verfassungsrechtlich schwierig, wenn nicht sogar unzulässig. Das Modell von Finanzminister Scholz hat natürlich eine gewisse Komplexität, aber das, was das Bundesverfassungsgericht an Voraussetzungen für eine verfassungsgemäße Grundsteuer verlangt, ist auch komplex.
Mit welchem Ergebnis wären Sie zufrieden bei der kommenden Landtagswahl?
Ich werde Ihnen nicht den Gefallen tun, eine Zahl zu nennen. Dass die SPD im Moment in den Umfragen nicht überragend gut dasteht, ist bekannt. Ich glaube aber, in der Krise hat sich die SPD in der Wahrnehmung verbessert. Zudem ist die Entscheidung, Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten zu machen, eine sehr gute für die SPD. Das könnte auch uns im Land einen Schub geben bei der Wahl im März.
Mit dem Ziel einer grün-roten Koalition?
Wie gesagt, haben wir mit den Grünen gut regiert. Wir haben mit ihnen auch die größten inhaltlichen Schnittmengen. Aber ich schließe auch ein Dreierbündnis nicht aus. Dass dies funktionieren kann, zeigt zum Beispiel Rheinland-Pfalz, wo seit 2016 eine Ampelkoalition regiert.
Ein anderes Dreierbündnis scheint in der SPD ja gerade ein heißes Eisen zu sein: Wie stehen Sie zu RotRot-Grün oder Grün-Rot-Rot nach der nächsten Bundestagswahl?
Unsere Parteivorsitzenden haben nichts anderes gesagt, als dass ein Bündnis mit der Linkspartei grundsätzlich möglich ist. Aber bis es so weit kommen kann, muss bei den Linken noch einiges passieren, das hat auch Olaf Scholz in dieser Woche betont. Für jeden in der SPD ist klar, dass die Koalition mit CDU/CSU kein Dauerzustand sein kann, weil die Menge der Gemeinsamkeiten irgendwann aufgebraucht ist. Mit einer CDU oder einer CSU werden wir zum Beispiel keine vernünftige Integrationspolitik und kein vernünftiges Einwanderungsgesetz hinbekommen. Dafür müssen wir uns andere Partner suchen. Das kann ein Bündnis mit der Linkspartei sein, aber da habe ich, wie gesagt, einige Vorbehalte.
Sie haben eine linke Parteispitze, einen friedensbewegten Fraktionschef im Bundestag und eben Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten. Wen wollen Sie damit eigentlich abholen?
Es ist eine Stärke der SPD, unterschiedliche Teile der Partei mit mehr als 400 000 Mitgliedern in die Führung einzubinden. Seit letztem Dezember haben wir es gut hinbekommen, solidarisch zusammenzuarbeiten. Olaf Scholz hätte ja nach seiner Niederlage beim Parteivorsitz auch die beleidigte Leberwurst geben oder noch alte Rechnungen begleichen können. Das ist nicht passiert. Und deswegen habe ich vor der Parteispitze großen Respekt. Es ist ein anderes Vertrauen gewachsen zwischen diesen auch unterschiedlichen Charakteren. Und deswegen ist auch die Frage der Kanzlerkandidatenkür anders gelaufen als bislang. Da haben sich eben nicht Leute auf offener Bühne gegenseitig zerlegt, sondern alle haben verstanden, dass wir als SPD nur gewinnen können, wenn wir als Mannschaft spielen.
Haben Sie erwartet, dass die Nominierung von Scholz ein größeres Plus in den Umfragen bringt?
Die erste Umfrage, die ich seither gesehen habe, war am Donnerstag von Insa. Da waren wir vorher bei 15, jetzt sind wir bei 18 Prozent. Aber was wäre es denn für ein Erkenntnisgewinn, wenn wir jetzt plötzlich bei 23 Prozent lägen? Es geht doch nicht darum, 13 Monate vor der Bundestagswahl ein Strohfeuer abzubrennen. Der Wahlkampf beginnt nicht jetzt. Aber es herrscht Klarheit darüber, wer uns in die nächste Bundestagswahl führt.