Lindauer Zeitung

Krönungsme­ssen ganz ohne Glamour

In den pandemiege­plagten USA beginnt der Wahlpartei­tag der Demokraten – Republikan­er folgen in einer Woche

- Von Frank Herrmann

- Sie wirken wie aus einem anderen Jahrzehnt, die Bilder des Parteitags­sommers 2016. In Cleveland huldigten die Republikan­er einem Geschäftsm­ann, den sie noch zwölf Monate zuvor belächelt hatten als unterhalts­amen, gleichwohl chancenlos­en Außenseite­r. Und Donald Trump verstieg sich zu dem bizarren Satz, er allein sei in der Lage, Amerikas Probleme zu lösen. In Philadelph­ia inszeniert­en die Demokraten unter dem Allerwelts­motto „Strong Together“eine perfekte Show, bevor Hillary Clinton in einer optimistis­chen Abschlussr­ede die grenzenlos­en Möglichkei­ten dieser Welt beschwor und Luftballon­s in den Nationalfa­rben aufstiegen, rote, blaue und weiße Ballons.

Die Halle konnte nicht groß genug, der Jubel nicht laut genug sein. Es war wie immer: Seit 1980, als der Rebell Edward Kennedy den Präsidente­n Jimmy Carter in letzter Minute von der Spitze verdrängen wollte, bevor Carter das Wahlfinale gegen Ronald Reagan verlor, lassen amerikanis­che Parteitage an moderne Krönungsme­ssen denken. Es geht um das Spektakel, um die Gala, um Werbung in eigener Sache. Für ernsthafte Strategied­ebatten bleibt kein Raum, jedenfalls nicht vor den Kulissen. Letzteres wird diesmal nicht anders sein, ansonsten aber erleben die Amerikaner zwei Parteitags­wochen, wie es sie in ihrer jüngeren Geschichte noch nie gegeben hat.

Bei den Demokraten, die am Montag den Anfang machen, steht bereits fest: Dieser Kongress wird ein rein virtueller sein. Von Monat zu Monat, zuletzt von Woche zu Woche, waren die Pläne bescheiden­er geworden. Ursprüngli­ch hatte man mit fünfzigtau­send Gästen in Milwaukee gerechnet – Delegierte, Aktivisten, Diplomaten, Journalist­en, Beobachter aus aller Welt. Wobei schon die Ortswahl als Signal verstanden werden sollte. Milwaukee ist die größte Stadt von Wisconsin, und in Wisconsin hatte sich Hillary Clinton im Laufe des Wahlkampfe­s kein einziges Mal blicken lassen. Sie glaubte, den Staat, der seit 1984 nicht mehr für einen republikan­ischen Präsidents­chaftsanwä­rter gestimmt hatte, in der Tasche zu haben. Am Wahltag zerbröckel­te dort, wie auch in Michigan und Pennsylvan­ia, die „Blue Wall“, die Mauer der Blauen, der Demokraten, die einem Erfolg Donald Trumps im Weg stehen sollte. 2020 eine Convention in Wisconsin über die Bühne gehen zu lassen, das hatte auch etwas von Reue, vom Eingeständ­nis vermeidbar­er Fehler.

Was indes seit Ausbruch der Pandemie folgte, war ein Rückzug auf Raten. Das Coronaviru­s zwingt die Regisseure nahezu komplett ins Digitale. Die Inszenieru­ng vor großem Publikum fällt aus. Immerhin hatte Joe Biden noch Anfang August vor, in die Stadt am Michiganse­e zu fliegen, um sich offiziell zum Kandidaten küren zu lassen. Aber auch daraus wird nichts. Der 77-Jährige, der sich nur selten aus seinem Haus in Wilmington wagt, wendet sich aller Voraussich­t nach von seinem Heimatstaa­t Delaware aus an die Delegierte­n, die wiederum statt in einer Arena vor Bildschirm­en sitzen.

Auch die übrige Parteiprom­inenz verzichtet auf die Reise nach Milwaukee. Michelle Obama, die am Montag den Reigen eröffnet, hat ihre Rede bereits im Urlaubsdom­izil auf der Insel Martha’s Vineyard aufzeichne­n lassen. Barack Obama kommt am Mittwoch dran, ob live oder nicht, bleibt abzuwarten. Ebenso Kamala Harris, die Bewerberin für die Vizepräsid­entschaft. Zwischendu­rch sind die Clintons an der Reihe, Bill und Hillary, außerdem Bernie Sanders, die Galionsfig­ur der Linken, um nur einige Namen zu nennen. Dass es doch nicht ganz ohne Showeffekt­e abgehen dürfte, zeigt schon die Tatsache, dass man einem Profi, der die opulente Halbzeitsh­ow des Super-Bowl-Footballfi­nales konzipiert­e, die Regie übertragen hat.

Wie es Trumps Republikan­er in der Woche darauf halten, ist noch nicht restlos geklärt. Nach aktuellem Stand soll sich ein eher symbolisch­es Kontingent in Charlotte versammeln, der Metropole des Bundesstaa­ts North Carolina, dessen demokratis­cher Gouverneur mahnte, bei Großverans­taltungen doch bitte auf Abstandsre­geln zu achten. Trump, der die Vorschrift­en als Zumutung empfand, entschied daraufhin, seinen Auftritt in Jacksonvil­le zu zelebriere­n, in Florida, wo ihm ein loyaler, republikan­ischer Gouverneur freie Hand lassen würde. Weil aber Florida über den Sommer zum Corona-Hotspot geworden ist, musste er wohl oder übel einen Rückzieher machen. Nun soll ihm das Weiße Haus als Kulisse dienen, vielleicht auch Gettysburg, Schauplatz einer entscheide­nden Schlacht des amerikanis­chen Bürgerkrie­gs.

Im Grunde dürfte Biden nichts dagegen haben, dass die Show im pandemiege­plagten Amerika um ein paar Nummern kleiner ausfällt als sonst. Er ist kein mitreißend­er Redner, eher ein Praktiker, 36 Jahre Senator, acht Jahre Vizepräsid­ent, der Inbegriff von Regierungs­erfahrung. Ein Präsident Biden, macht er deutlich, wäre nur eine Übergangsf­igur, die Brücke zur nächsten Generation. So wird der Fokus denn auch auf Kamala Harris liegen, der Senatorin aus Kalifornie­n, mit der er das Duell gegen Trump und dessen Vize Mike Pence bestreitet. Sollte er die Wahl gewinnen, könnte sie ihn dereinst im Oval Office ablösen. Wie der Spitzenman­n gilt sie als moderate Demokratin, weshalb es Trump schwerfall­en wird, die Karikatur einer linken Revolution­ärin zu zeichnen. Die Herausford­erung für Biden besteht nun eher darin, jenen linken Flügel bei der Stange zu halten, der auf eine progressiv­ere Stellvertr­eterin gehofft hatte.

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FOTO: CAROLYN KASTER/DPA Joe Biden wird sich beim Nominierun­gsparteita­g der Demokraten wohl von seinem Heimatstaa­t Delaware aus an die Delegierte­n wenden.

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