Krönungsmessen ganz ohne Glamour
In den pandemiegeplagten USA beginnt der Wahlparteitag der Demokraten – Republikaner folgen in einer Woche
- Sie wirken wie aus einem anderen Jahrzehnt, die Bilder des Parteitagssommers 2016. In Cleveland huldigten die Republikaner einem Geschäftsmann, den sie noch zwölf Monate zuvor belächelt hatten als unterhaltsamen, gleichwohl chancenlosen Außenseiter. Und Donald Trump verstieg sich zu dem bizarren Satz, er allein sei in der Lage, Amerikas Probleme zu lösen. In Philadelphia inszenierten die Demokraten unter dem Allerweltsmotto „Strong Together“eine perfekte Show, bevor Hillary Clinton in einer optimistischen Abschlussrede die grenzenlosen Möglichkeiten dieser Welt beschwor und Luftballons in den Nationalfarben aufstiegen, rote, blaue und weiße Ballons.
Die Halle konnte nicht groß genug, der Jubel nicht laut genug sein. Es war wie immer: Seit 1980, als der Rebell Edward Kennedy den Präsidenten Jimmy Carter in letzter Minute von der Spitze verdrängen wollte, bevor Carter das Wahlfinale gegen Ronald Reagan verlor, lassen amerikanische Parteitage an moderne Krönungsmessen denken. Es geht um das Spektakel, um die Gala, um Werbung in eigener Sache. Für ernsthafte Strategiedebatten bleibt kein Raum, jedenfalls nicht vor den Kulissen. Letzteres wird diesmal nicht anders sein, ansonsten aber erleben die Amerikaner zwei Parteitagswochen, wie es sie in ihrer jüngeren Geschichte noch nie gegeben hat.
Bei den Demokraten, die am Montag den Anfang machen, steht bereits fest: Dieser Kongress wird ein rein virtueller sein. Von Monat zu Monat, zuletzt von Woche zu Woche, waren die Pläne bescheidener geworden. Ursprünglich hatte man mit fünfzigtausend Gästen in Milwaukee gerechnet – Delegierte, Aktivisten, Diplomaten, Journalisten, Beobachter aus aller Welt. Wobei schon die Ortswahl als Signal verstanden werden sollte. Milwaukee ist die größte Stadt von Wisconsin, und in Wisconsin hatte sich Hillary Clinton im Laufe des Wahlkampfes kein einziges Mal blicken lassen. Sie glaubte, den Staat, der seit 1984 nicht mehr für einen republikanischen Präsidentschaftsanwärter gestimmt hatte, in der Tasche zu haben. Am Wahltag zerbröckelte dort, wie auch in Michigan und Pennsylvania, die „Blue Wall“, die Mauer der Blauen, der Demokraten, die einem Erfolg Donald Trumps im Weg stehen sollte. 2020 eine Convention in Wisconsin über die Bühne gehen zu lassen, das hatte auch etwas von Reue, vom Eingeständnis vermeidbarer Fehler.
Was indes seit Ausbruch der Pandemie folgte, war ein Rückzug auf Raten. Das Coronavirus zwingt die Regisseure nahezu komplett ins Digitale. Die Inszenierung vor großem Publikum fällt aus. Immerhin hatte Joe Biden noch Anfang August vor, in die Stadt am Michigansee zu fliegen, um sich offiziell zum Kandidaten küren zu lassen. Aber auch daraus wird nichts. Der 77-Jährige, der sich nur selten aus seinem Haus in Wilmington wagt, wendet sich aller Voraussicht nach von seinem Heimatstaat Delaware aus an die Delegierten, die wiederum statt in einer Arena vor Bildschirmen sitzen.
Auch die übrige Parteiprominenz verzichtet auf die Reise nach Milwaukee. Michelle Obama, die am Montag den Reigen eröffnet, hat ihre Rede bereits im Urlaubsdomizil auf der Insel Martha’s Vineyard aufzeichnen lassen. Barack Obama kommt am Mittwoch dran, ob live oder nicht, bleibt abzuwarten. Ebenso Kamala Harris, die Bewerberin für die Vizepräsidentschaft. Zwischendurch sind die Clintons an der Reihe, Bill und Hillary, außerdem Bernie Sanders, die Galionsfigur der Linken, um nur einige Namen zu nennen. Dass es doch nicht ganz ohne Showeffekte abgehen dürfte, zeigt schon die Tatsache, dass man einem Profi, der die opulente Halbzeitshow des Super-Bowl-Footballfinales konzipierte, die Regie übertragen hat.
Wie es Trumps Republikaner in der Woche darauf halten, ist noch nicht restlos geklärt. Nach aktuellem Stand soll sich ein eher symbolisches Kontingent in Charlotte versammeln, der Metropole des Bundesstaats North Carolina, dessen demokratischer Gouverneur mahnte, bei Großveranstaltungen doch bitte auf Abstandsregeln zu achten. Trump, der die Vorschriften als Zumutung empfand, entschied daraufhin, seinen Auftritt in Jacksonville zu zelebrieren, in Florida, wo ihm ein loyaler, republikanischer Gouverneur freie Hand lassen würde. Weil aber Florida über den Sommer zum Corona-Hotspot geworden ist, musste er wohl oder übel einen Rückzieher machen. Nun soll ihm das Weiße Haus als Kulisse dienen, vielleicht auch Gettysburg, Schauplatz einer entscheidenden Schlacht des amerikanischen Bürgerkriegs.
Im Grunde dürfte Biden nichts dagegen haben, dass die Show im pandemiegeplagten Amerika um ein paar Nummern kleiner ausfällt als sonst. Er ist kein mitreißender Redner, eher ein Praktiker, 36 Jahre Senator, acht Jahre Vizepräsident, der Inbegriff von Regierungserfahrung. Ein Präsident Biden, macht er deutlich, wäre nur eine Übergangsfigur, die Brücke zur nächsten Generation. So wird der Fokus denn auch auf Kamala Harris liegen, der Senatorin aus Kalifornien, mit der er das Duell gegen Trump und dessen Vize Mike Pence bestreitet. Sollte er die Wahl gewinnen, könnte sie ihn dereinst im Oval Office ablösen. Wie der Spitzenmann gilt sie als moderate Demokratin, weshalb es Trump schwerfallen wird, die Karikatur einer linken Revolutionärin zu zeichnen. Die Herausforderung für Biden besteht nun eher darin, jenen linken Flügel bei der Stange zu halten, der auf eine progressivere Stellvertreterin gehofft hatte.