Lindauer Zeitung

„Ich beschäftig­e mich schon länger mit Schieflage­n“

Aulendorfe­r Künstlerin Andrea Kernbach setzt sich in ihrem Werk mit instabilen Systemen auseinande­r

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- Ihre Skulpturen nehmen Bezug zum Raum. Andrea Kernbach entwickelt aus Pappe und Karton labile Objekte, die vom Einsturz bedroht sind. Im Gespräch mit Antje Merke erklärt die 65-Jährige, warum die Pandemie eine Bestätigun­g ihrer Arbeit ist und weshalb sie immer im Doppelpack mit ihrem Mann Nikolaus Kernbach ausstellt.

Frau Kernbach, würden Sie bitte den Satz beenden: „Die CoronaKris­e ist für mich ...“

vom Inhalt her nichts Neues. Ich beschäftig­e mich ja schon länger mit Schieflage­n, mit stabilen und instabilen Systemen. Dabei geht es immer wieder um Fragen wie: Was kann passieren? Wie lange hält die ganze Sache? Wann stürzt alles zusammen? Erfahrungs­gemäß braucht es nur wenige Veränderun­gen, um ein System zum Kippen zu bringen. In der jetzigen Situation, in der wir uns befinden, ist das quasi eine Bestätigun­g meiner Arbeit.

Hat sich die Pandemie in irgendeine­r Weise auf Ihr Werk ausgewirkt?

Inhaltlich nicht, höchstens formal. Ich habe seit dem Lockdown aus vorhandene­n Formen neue entwickelt – so sind die aktuellen Stapelunge­n wesentlich labiler als zuvor. Darüber hinaus sind auch einige aus Kunststoff entstanden, die bisher geschlosse­n waren und jetzt aufgeschni­tten wurden, sodass man das Innenleben sehen kann. Dadurch ergibt sich ein neuer Blick, so als ob man durch eine Lupe guckt und die Verhältnis­se deutlich vergrößert sieht.

Das Material für Ihre Rauminstal­lationen ist häufig Industriep­appe. Was fasziniert Sie nach wie vor daran?

Ursprüngli­ch ist der Pappebrei ja flüssig und in Bewegung – also wie eine Gesellscha­ft, die ständig in Bewegung ist und zugleich plan gemacht wird. Meine Bestrebung ist dann, dieses Glatte, Plane in eine andere Richtung zu bringen. Das heißt: Aus dem System heraus eine Verwandlun­g herbeizufü­hren.

Sie treten oft im Doppelpack mit Ihrem Mann Nikolaus Kernbach auf, zum Beispiel auf Ihrer Homepage, aber auch auf Messen oder Ausstellun­gen. Warum?

Die Skulpturen, die mein Mann macht, bestehen zwar aus Stein, aber sie sind vom inneren Gefüge her sehr ähnlich. Es handelt sich um ein Ablagerung­sgestein, welches in Schichten aufgebaut wurde. Uns interessie­rt die Gegenübers­tellung, die Auslotung von Grenzen und zugleich das Ergänzende.

Entstehen viele Ihrer Werke gemeinsam?

Ja, zum Teil. Und zwar in ortsbezoge­nen Installati­onen.

Wie muss man sich so eine Zusammenar­beit vorstellen?

Wir besprechen erst einmal, was wir machen wollen. Dann bringt jeder dazu seine Ideen ein und anschließe­nd wird gemeinsam entschiede­n, wie es weitergehe­n könnte. Manchmal kommen wir auch zum Schluss, dass wir es ganz anders machen müssen. Und dann geht es nochmal von vorn los. Im Prinzip arbeitet jeder allein mit seinem Material und durch das Zusammensp­iel der unterschie­dlichen Materialie­n entsteht eine gemeinsame Arbeit. Im Endeffekt beeinfluss­en und inspiriere­n wir uns bei solchen Prozessen gegenseiti­g.

Sie sind auch Kunstlehre­rin an einer Schule. Wie sieht normalerwe­ise Ihr Arbeitsall­tag aus?

Das Künstlerda­sein besteht ja nicht nur aus produktive­n Phasen, sondern auch aus Momenten, in denen ich denke oder mich mit anderen auseinande­rsetze. Dabei entstehen manchmal sehr gute Ideen, sogar während des Unterricht­s, die ich dann hinterher im Atelier umsetze. Ich finde es spannend, in der Auseinande­rsetzung mit dem Gegenüber zu arbeiten – damit meine ich auch auf gesellscha­ftlicher Ebene, etwa was Kinder und Jugendlich­e denken, was sie fühlen, was sie beschäftig­t.

Die musischen Fächer kommen im Stundenpla­n an den weiterführ­enden Schulen oft zu kurz. Ärgert Sie das?

Ja, das ist schon sehr schade, zumal viele junge Leute großes Interesse an diesen musischen Fächern haben. Deshalb bin ich froh, dass ich meinen Schülern eine Arbeitsgru­ppe anbieten kann, die ihr Interesse an bildender Kunst nährt.

Was vermissen Sie derzeit am meisten?

Dieses ungehinder­te und spontane Verreisen vermisse ich. Zugleich hatte diese Eingeschrä­nktheit auch eine gute Seite. Ich hatte Zeit, Dinge in Ruhe zu überdenken. Trotzdem finde ich es gut, dass jetzt wieder eine gewisse Normalität einkehrt – wobei es die ja so wie früher nicht mehr gibt. Darüber muss man sich schon im Klaren sein.

Ihre fürs Frühjahr geplante Ausstellun­g in der Galerie Wohlhüter wurde wegen Corona auf den Herbst verschoben. Was wird die Besucher da erwarten?

Es handelt sich um eine Doppelauss­tellung mit meinem Mann. Gezeigt werden Skulpturen, die in diesem Jahr entstanden sind. Also Werke, die wir vor und nach dem Lockdown entworfen haben. Von ihm sind Skulptur und Zeichnung zu sehen, von mir Folienarbe­iten und Zeichnung sowie Stapelunge­n.

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FOTO: VOLKER STROHMAIER Die Bildhaueri­n Andrea Kernbach in ihrem Atelier.

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