Ein Leben für den berühmten Maler
Antje Modersohn besucht die Lindauer Ausstellung – Sie ist die „Anwältin” für ihren Großvater
- Sie hat ihren Großvater nie persönlich kennengelernt. Und trotzdem hat sie es zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, das Werk von Otto Modersohn der Öffentlichkeit zu präsentieren. Als Leiterin des Otto Modersohn Museums in Fischerhude, als Herausgeberin seiner Briefe oder als Leihgeberin und Beraterin der Lindauer Ausstellung „Paula und Otto. Kunst und Liebe im Aufbruch”: Antje Modersohn fühlt sich als „Anwältin“des berühmten Malers. Sie möchte, dass ihm endlich die Achtung zukommt, die ihm gebührt. Die Lindauer Ausstellung ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg.
Ob sie die Motive des „geborenen Landschaftsmalers” beschreibt, das Leben in der Künstlerkolonie Worpswede oder die Beziehung zu Paula Modersohn-Becker: Antje Modersohn gönnt ihrem Zuhörer keine Verschnaufpause, jedes Bild der Lindauer Ausstellung gibt ihr neue Impulse und Stichworte. Sie zitiert aus dem Gedächtnis minutenlang Textpassagen aus dem Briefwechsel des ungleichen Malerpaares. Obwohl der Zuhörer ahnt, dass sie diese Sätze schon unzählige Male wiederholt hat, macht sie es mit einer jugendlichen Begeisterung. Sie kann einfach nicht anders. „Ich beschäftige mich seit ich denken kann mit seinen Bildern und habe noch keine Minute Langeweile gespürt.“
„Ich fühle mich ihm ziemlich nah“, sagt die 65-Jährige, die zwölf Jahre nach seinem Tod geboren ist. „Er ist mir ausgesprochen sympathisch.” Diese Nähe hat sich die Enkelin hart erarbeitet. Ihr Großvater war der Grund dafür, dass sie Kunstgeschichte studiert hat. „Das hat mich einfach brennend interessiert“, sagt sie. 33 Jahre hat sie gebraucht, um den schriftlichen Nachlass Otto Modersohns zu transkribieren. Anfangs noch mit der Schreibmaschine, später am Computer. Das war eine aufwendige Arbeit: nicht nur wegen des altdeutschen Schrift, sondern auch wegen Ottos Schrift, die nur schwer zu entziffern war. Antje Modersohn hat sich eingelesen und kam ihrem Großvater, aber auch Paula Modersohn-Becker, von Seite zu Seite über viele Jahre näher. Diese Chance sollten auch Kunstfreunde haben: Die gesammelten Briefe sind inzwischen vollständig veröffentlicht.
Schon als Antje Modersohn noch ein Kind war, war der berühmte Otto Modersohn in ihrem Leben präsent. Ihr Vater Heinrich war der gemeinsame Sohn von Otto und Louise Breling, der dritten Frau Modersohns. Ihr Vater habe immer viel über Otto Modersohn erzählt, aber sie hatte seine Werke auch immer vor sich: In dem Atelierhaus in Fischerhude, in dem sie lebten, standen sie, vom Frühwerk bis zum Spätwerk, in einem Regal. Heinrich machte immer Führungen durch „das Lebenswerk seines Vaters“, erzählt Antje Modersohn. Irgendwann sei dann die Idee entstanden, dafür ein eigenes Haus zu bauen: der Beginn des Modersohn-Museums. Anfangs kümmerte sie sich an der Seite ihrer Eltern und später gemeinsam mit ihrem Mann und vielfältig von der Familie unterstützt um die Aufarbeitung des Nachlasses.
1968 war Antje Modersohn schon einmal in Lindau. Da war sie gerade 13 Jahre alt, als im Cavazzen eine Modersohn-Ausstellung gezeigt wurde. Jetzt ist sie wieder einmal von Nord nach Süd gereist, wieder wegen ihres Großvaters, dem nun mit „Paula und Otto. Kunst und Liebe im Aufbruch“eine Ausstellung im Kunstmuseum Lindau gewidmet ist. Ihr Lieblingsbild dort ist die Lampionfahrt auf der Wümme. Das Bild, das vier Jahre nach dem Tod von Paula Modersohn-Becker entstand, ist für sie „ein Symbol für den Neubeginn in Worpswede, der Aufbruch in eine neue Zeit“. Das Bild zeigt ihre Großmutter Louise Breling, die stehend und im hellen Kleid ein Boot stakt. Neben ihr sitzt rot gekleidet ein Kind, die kleine Tille, Paulas Tochter. „Es zeigt wieder den fröhlichen Otto Modersohn“, freut sich Antje Modersohn, dass ihr Lieblingsbild auch in der Lindauer Ausstellung zu sehen ist.
Otto Modersohn setzte sich auch über deren Tod hinaus mit Paula auseinander. Die Lindauer Ausstellung stellt ihre Beziehung, die Ähnlichkeit des berühmten Landschaftsmalers mit der Pionierin der modernen Malerei bei aller Verschiedenheit in den Mittelpunkt. Manchmal haben Paula und Otto sogar die gleichen Motive gemalt. In der Lindauer Ausstellung hängen die beiden Gemälde von Elsbeth, Otto Modersohns Tochter, nebeneinander. Beide haben das Mädchen im eigenen Garten gemalt.
Antje Modersohn
„Paula Becker wollte das Einfache in Kunst und Leben“, weiß Antje Modersohn und zitiert eine lange Passage aus einem Brief Paulas, in dem sie beschreibt, wie sie sich beim Malen extra so hingestellt hat, dass sie die Nachbarsvilla nicht sieht, nur den Garten.
Die außergewöhnliche Beziehung zwischen Paula und Otto will Antje Modersohn richtig verstanden wissen: Modern, emanzipiert, auf Augenhöhe sei sie gewesen. Ihr Großvater sei es gewesen, der früh die künstlerische Kraft seiner Frau erkannt habe, betont Antje Modersohn immer wieder. „Das Wichtigste war ihm, dass jeder seinen eigenen Stil entwickelt“, sagt sie. Otto habe nie gewollt, dass seine Frau Paula so malt wie er.
„Die Stillleben von Paula haben Otto sehr beeindruckt“, sagt Antje Modersohn, während sie vor einem farbenfrohen Werk Paula Modersohns steht, die sonst eigentlich eher dunkle Töne bevorzugte. „Ihre Stillleben haben mich ganz gefangen genommen. Mit ihnen verglichen, besteht nichts“, zitiert sie ihren Großvater. „Das muss man sich einmal vorstellen: ein großer Maler, der so etwas zu ihren Stillleben gesagt hat.“Paula sei eine emanzipierte Frau gewesen, nicht die Muse des großen Malers und auch nicht seine Hausfrau. Das sei für die damalige Zeit „sehr untypisch“gewesen.
„Was in dem Lindauer Ausstellungskatalog steht, stimmt alles”, betont Antje Modersohn, als sei das keine Selbstverständlichkeit. Sie macht keinen Hehl daraus, dass sie sich darüber ärgert, wie ihr Großvater teilweise dargestellt wird. „Er äußert sich in 33 000 Worten positiv über Paula und in zehn Zeilen mit Kritik”, sagt sie. Doch diese werde immer wieder zitiert und aus dem
„Man könnte für ihn noch mehr schaffen.”
Zusammenhang gerissen. Die Enkelin spielt damit auf das harsche Urteil Ottos gegenüber Paulas stilistischen Fortschritten in Paris an: „Hände wie Löffel, Nasen wie Kolben, Münder wie Wunden …”. Wenn Antje Modersohn über den ihrer Meinung nach „grausamen” Kinofilm „Paula” spricht, wird sie wütend – und verteidigt ihren Großvater. „Da wird man zum Anwalt”, sagt sie.
Welche Frage würde sie ihrem Großvater noch gerne stellen? „Ob er sich jetzt nach seinem Werte anerkannt fühlt?” Antje Modersohn hat ihr ganzes Leben daran gearbeitet, dass ihr Großvater die Anerkennung bekommt, die er zu Lebzeiten nicht bekommen hat, die ihm aber gebührt. Als „singulärer Künstler und begnadeter Maler des Colorits” soll er gesehen werden.
Noch ist die 65-Jährige nicht zufrieden mit ihrem Lebenswerk. „Man könnte für ihn noch mehr schaffen”, weiß sie und blickt über die Bilder, für die sie sich in Lindau mehr Licht gewünscht hätte. „In Fischerhude ist alles lichtdurchflutet, da sieht man die Bilder in verschiedenem Licht.” Antje Modersohn hat schon Pläne, bald soll es auch eine Lesung geben aus dem Briefwechsel zwischen Paula und Otto. Doch was auch immer Antje Modersohn noch für ihren berühmten Großvater tut: Für sie wird es nie genug sein.
Über die hier gezeigten Bilder spricht Antje Modersohn ausführlich im Video auf www.schwaebische.de/ modersohn