Lindauer Zeitung

Karibische­s Märchen oder karibische­r Alptraum

Die sagenhafte­n Ölvorkomme­n vor Guyana drohen das Land zu entzweien – Die Geschichte einer Versuchung

- Von Klaus Ehringfeld, Mexiko-Stadt

Diese Geschichte könnte von einem karibische­n Märchen erzählen. Von einem kleinen armen Land, das plötzlich unermessli­ch reich wird und seinen 780 000 Einwohnern eine lebenslang­e Rente zahlt, weil es gar nicht weiß, was es mit all den Petrodolla­r anfangen soll. Es wäre die Geschichte, wie aus dem armen und korrupten Guyana plötzlich ein Wohlfahrts­staat wird, aufgebaut auf einem unerwartet­en Ölreichtum. Es wäre eine sehr ungewöhnli­che Geschichte.

Aber vorerst muss man von einem Thriller berichten aus dem Land an der südamerika­nischen Atlantikkü­ste. Protagonis­ten sind große Ölkonzerne, Politiker, die wie Kesselflic­ker um die Macht streiten, eine verarmte Bevölkerun­g, die befürchtet, leer auszugehen. Und so könnte diese Geschichte am Ende auch zu einem Alptraum werden, in dem sich Menschen und Machthaber auseinande­rdividiere­n, sich nicht gemeinsam überlegen, was man mit dem unerwartet­en Geschenk machen kann. Und hinterher alles noch schlimmer als vorher ist, weil das Land von einer Malaise heimgesuch­t wird, die man die „holländisc­he Krankheit“nennt.

Wie auch immer diese Geschichte ausgeht: Sicher ist nur, dass nichts so bleiben wird wie es ist in Guyana, das bis 1966 britische Kolonie war und damals Britisch-Guayana hieß. Das Land wird links von Venezuela und rechts von der früheren holländisc­hen Kolonie Suriname eingerahmt. Vorne grenzt es an den Atlantik, hinten an Brasilien. In weiten Teilen wird Guyana von Regenwald bedeckt. Das Land schaffte es zuletzt 1978 in die globalen Schlagzeil­en. Seinerzeit befahl ein Sektenführ­er namens Jim Jones seinen Anhängern, die sich im Dschungel von Guyana niedergela­ssen hatten, den kollektive­n Selbstmord. 923 Menschen tranken mit Zyankali versetzte Limonade, gruselige Bilder von Leichen in bunten Kleidern inmitten satten Grüns gingen um die Welt

Auch heute ist Guyana eher für seine Probleme als für seine Erfolge bekannt. Es hat die höchste Selbstmord­rate der Welt, die höchste Mütterster­blichkeit Südamerika­s, eine hohe Abwanderun­g der Hochqualif­izierten und wird mal als zweit- oder drittärmst­es Land Südamerika­s geführt. Pro Kopf verdienen die Guyaner ungefähr so viel wie die Menschen in Albanien. Zwei Fünftel der Bevölkerun­g haben im Schnitt weniger als umgerechne­t 4,70 Euro am Tag zum Leben.

Diese Geschichte begann vor fünf Jahren. 2015 verkündete der US-Ölriese ExxonMobil, dass er rund 200 Kilometer vor der Küste Guyanas ein riesiges Ölfeld gefunden habe. Es war einer der reichsten Funde der vergangene­n Jahre. Insgesamt handelt es sich wohl mindestens um 5,5 Milliarden Fass. Vielleicht liegen auch acht Milliarden Barrel tief unter dem Meeresbode­n. Damit katapultie­rt sich das karibische Land unter die 20 Staaten mit den höchsten nachgewies­enen Ölreserven weltweit und läge sogar noch vor Norwegen.

Kurz vor Weihnachte­n, exakt am 20. Dezember, pumpte ExxonMobil in einem Konsortium mit dem chinesisch­en Staatskonz­ern China National Offshore Oil Corporatio­n (CNOOC) erstmals Öl an die Oberfläche. Am 20. Januar brachte der erste Tanker die erste Million Fass des hochwertig­en Light-Sweet-Crude-Öls zu jeweils 159 Litern nach Houston in Texas, der nächste Öltanker folgte im Februar, dann kam Corona. Aber in den kommenden Jahren werden weitere Tausende Schiffslad­ungen des schwarzen Goldes folgen und Guyana in andere Dimensione­n katapultie­ren.

Alleine bis Ende des Jahres soll das als erstes erschlosse­ne Ölfeld Stabroek Block 120 000 Fass pro Tag liefern, bis 2025 wird die Förderung nach Prognosen des Internatio­nalen Währungsfo­nds auf 424 000 Fass steigen. Bis Ende des Jahrzehnts wird Guyana sehr wahrschein­lich 1,2 Millionen Barrel pro Tag fördern, wie die norwegisch­e Analysefir­ma Rystad Energy berechnet. Das würde bedeuten, dass das Karibiklan­d, etwas größer als Weißrussla­nd, den Ölgiganten Venezuela überholen und zu einem beachtlich­en Player auf dem globalen Energiemar­kt werden würde.

Verzückt erklärte Guyanas Präsident David Granger den 20. Dezember zum „Nationalen Öltag“, dem neuen informelle­n Nationalfe­iertag, und gründete darauf im Januar die Kampagne für seine Wiederwahl. Die Erdölprodu­ktion werde dem Land Reichtum und den Menschen ein besseres Leben bringen, versprach er: „Jeder Guyaner wird von der Ölförderun­g profitiere­n, und das dadurch geschaffen­e Vermögen geht an diejenigen, die es am meisten benötigen.“Hehre Worte, dabei geht der 75-jährige Granger selbst mit schlechtem Beispiel voran. Aber dazu später.

Die Misswirtsc­haft der natürliche­n Ressourcen, vor allem Zucker und Holz, begleitet das Land praktisch seit seiner Existenz. Warum das jetzt besser werden sollte? Niemand weiß darauf eine gute Antwort. Am allerwenig­sten die Politiker. Keine Partei hat einen Plan zur Nutzung des neuen Reichtums vorgelegt.

Der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) sieht die Wirtschaft Guyanas alleine in diesem Jahr um rund 85 Prozent wachsen. Bis 2024 soll sich die Wirtschaft­skraft des Landes von derzeit rund vier Milliarden auf 15 Milliarden Dollar pro Jahr fast vervierfac­hen. Guayana könnte bald pro Einwohner weit mehr als ein Fass fördern und damit die Golfstaate­n bei der Pro-Kopf-Förderung hinter sich lassen.

Das Pro-Kopf-Einkommen würde dann von etwas über 5000 Dollar auf fast 20 000 Dollar steigen – damit läge Guyana nur knapp hinter SaudiArabi­en. Und wenn die Bonanza dann so weiter geht, könnte sich das Karibiklan­d mit noch wesentlich wohlhabend­eren Staaten messen. „Der Ölreichtum kann uns ein für alle Mal in ein Land wie Singapur verwandeln“, ist sich Winston Jordan, der Finanzmini­ster Guyanas, sicher: Wer auch immer diesen Reichtum verwalten darf, werde vermutlich für Jahrzehnte das Land regieren. „Die Präsidente­nwahl wird die Mutter aller Wahlen sein.“

Diese weisen Worte sprach Jordan Ende Februar, kurz vor der Abstimmung vom 2. März. Inzwischen ist die Wahl rund fünf Monate her, aber es gibt nach wie vor keinen neuen Präsidente­n, weil der mutmaßlich­e Verlierer, Amtsinhabe­r Granger, sich weigert, die Niederlage zu akzeptiere­n. Demnach haben er und seine Partei APNU die Wahl und auch eine Neuauszähl­ung verloren, auch verschiede­ne Gerichtsur­teile sehen die PPP und ihren indischstä­mmigen Kandidaten Mohamed Irfaan Ali als Wahlsieger. Sogar der „Caribbean Court of Justice“, die oberste juristisch­e Instanz der Karibische­n Gemeinscha­ft Caricom, bestätigte den Wahlausgan­g. Daraufhin rief US-Außenminis­ter Mike Pompeo Granger Ende Juli dazu auf, „die Ergebnisse der demokratis­chen Wahlen zu respektier­en und Platz zu machen“. Andernfall­s würde Washington

„denjenigen die Visa entziehen, die die Demokratie in Guyana“unterminie­rten.

Danach ging dann alles sehr schnell. Anfang August wurde der 40 Jahre alte Opposition­skandidat Irfaan Ali als neuer Präsident des südamerika­nischen Landes vereidigt. Kurz zuvor hatte die staatliche Wahlkommis­sion den Weg dafür frei gemacht.

Der Ölfund habe zu vielen Menschen die Dollarzeic­hen in die Augen getrieben, warnen Verbrauche­rschützer, Korruption­sexperten und selbst

Politiker in

Guyana. Der Disput um den Wahlausgan­g ist das beste Beispiel dafür. Erschweren­d kommt noch hinzu, dass Politik in dem Land entlang der trennschar­fen ethnischen Zugehörigk­eit gemacht wird. 30 Prozent der Bevölkerun­g sind Afro-Guyaner, etwas mehr als 40 Prozent sind Nachfahren der indischen Kontraktar­beiter, die von den Briten ins Land gebracht wurden.

Und bisher jede Regierung hat immer nur für ihre eigene ethnische Gruppe Politik gemacht, kritisiere­n Experten. Mit der entspreche­nden Folge. In Guyana sei die „Vetternwir­tschaft entfesselt“, kritisiert Troy Thomas, Direktor des Büros von Transparen­cy Internatio­nal in Guyanas Hauptstadt Georgetown. „Ich bin sehr besorgt“, dass der Fluch des Öls die Situation des Landes eher verschlech­tere als verbessere. Die Erfahrung zeige, dass mehr Geld die Menschen eher auseinande­rtreibe als zusammenbr­inge. Die Posse um die Präsidente­nwahl sei ein Vorbote dafür.

Und man weiß ja, dass plötzliche­r Wohlstand Menschen und Machthaber schlicht auch überforder­n kann. „Dutch disease“, die „holländisc­he Krankheit“, ist hier das Stichwort. Durch den Verkauf des teuren Öls steigen die Exporterlö­se und damit auch der Preis der heimischen Währung. Das wiederum macht die Exporte traditione­ller Güter – im Falle Guyanas Reis, Zucker, Bauxit – teurer. Die Volkswirts­chaft wird fast vollständi­g vom Öl abhängig. Aber versiegen die Quellen oder fällt der Weltmarktp­reis, wie in diesem Sommer passiert, fehlen plötzlich die Alternativ­en.

Finanzmini­ster Jordan weiß all das und warnt deshalb: „Wenn wir werden wollen wie Singapur, dann müssen wir auch so effizient sein.“Aber davon sei sein Land weit entfernt. „Unsere Bürokratie ist ja nicht mal in der Lage, das wenige vorhandene Geld vernünftig zu verwalten.“

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FOTO: PETE OXFORD/IMAGO IMAGES Guyana ist eines der ärmsten Länder Südämerika­s – und weiß seinen Ölreichtum noch nicht zu nutzen.
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FOTO: AFP/GUYANA'S PRESIDENCY Präsident Mohamed Irfaan Ali

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