Giffey läuft sich warm
Die Bundesfamilienministerin soll Berlins SPD zu neuen Ufern führen – Dazu muss sie eine neue Balance finden zwischen der Bundes- und der Landespolitik
(dpa) - Franziska Giffey soll Berlins SPD zu neuen Ufern führen. Dazu muss sie eine neue Balance finden zwischen der Bundes- und der Landespolitkik.
Schon in ihrer Zeit als SPD-Bezirksbürgermeisterin in BerlinNeukölln waren Franziska Giffey die Themen Sicherheit und Polizei wichtiger als vielen ihrer Parteifreunde. Daher dürfte ihr Interesse beim Besuch in der Berliner Polizeiakademie in der vergangenen Woche auch als Bundesfamilienministerin kaum vorgeschoben gewesen sein sein. Schwungvoll, zugewandt, lächelnd – das sind ihre Markenzeichen.
Und so kommt sie auch auf junge Polizisten in einer Gesprächsrunde zu. „Sagen Sie, was Sie der Bundesregierung mitgeben wollen“, fordert Giffey die Auszubildenden auf. „Warum haben Sie sich für diesen Beruf entschieden? Was wünschen Sie sich von der Politik?“, fragt sie und dreht sich in ihrem leuchtend roten Blazer von einem zum anderen. Doch die 42-Jährige schaut nicht nur als Bundesministerin bei den Polizeischülern vorbei. Sie tut das als künftige starke Frau der Hauptstadt-SPD, die sich anschickt, bei der Wahl in gut einem Jahr ins Rote Rathaus einzuziehen.
Offiziell hat Giffey zwar noch nicht erklärt, ob sie Spitzenkandidatin werden will. Doch spätestens nach der Ankündigung von Berlins langjährigem Regierenden Bürgermeister und SPD-Chef Michael Müller (55) Anfang der Woche, er wolle sich im Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf um ein Bundestagsmandat bewerben, zweifelt niemand mehr daran, dass Giffey die SPD in die Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2021 führt.
Die smarte Strahlefrau und Dauerlächlerin, die gut mit den Leuten kann und daher bei vielen Menschen ankommt, gilt als letzter Trumpf der seit Jahren darbenden Hauptstadt-SPD ist. Früher – etwa mit Willy Brandt als Regierendem Bürgermeister – holten die Sozialdemokraten zumindest im Westteil Berlins mehr als 50 oder sogar mehr als 60 Prozent der Stimmen. Aktuell regieren sie mit Linken und Grünen, liegen in Umfragen aber mit 15 oder 16 Prozent schon länger nicht mehr vorn. Damit wäre der Posten des Regierungschefs
2021 weg. Giffey soll nun den Aufschwung bringen – so die Hoffnung. Entsprechend versucht die 42-Jährige, die von der SPD 2018 vor allem aufgrund ihrer Brandenburger und damit ostdeutschen Herkunft in das Bundeskabinett
entsandt wurde, seit geraumer Zeit, sich wieder öfter in der Hauptstadt sehen zu lassen.
Zuvorderst ging es dabei zunächst um ansprechende Fotos – ob nun auf einer schnittigen Maschine im Spandauer BWM-Motorradwerk,
am Ruder einer Mini-Fähre am kleinen Müggelsee oder beim Reparieren eines Fischernetzes ebenda. Nun der Besuch bei der Polizei: Ordnung und Sicherheit seien ihr wichtig, die Polizei brauche Rückenstärkung, so Giffeys Botschaft. Schließlich gibt sie den Polizeischülern der Multi-Kulti-Hauptstadt noch auf den Weg: „Wichtig ist nicht, wo du herkommst, sondern wer du sein willst.“
Früher oder später wird Giffey auch erläutern müssen, was ihre Rezepte gegen Wohnungsknappheit, für die Verkehrswende oder eine funktionierende Verwaltung sind – das sind großen Themen in Berlin. Zu all dem wie auch zu einer möglichen Spitzenkandidatur sagt sie am Donnerstag nichts.
Stattdessen trägt sie auf Journalistenfragen ihr Mantra vor, auf das sie seit Monaten zurückgreift: Verabredet sei, dass sie und Fraktionschef Raed Saleh gemeinsam Müller als Parteichef ablösen. „Und ich werde darüber hinaus alles tun, um die Sozialdemokratie in Berlin wieder stärker zu machen. Was dafür nötig ist, dazu bin ich bereit“, sagt Giffey. Alles Weitere entscheide die Partei.
Auf den Wechsel an der Parteispitze hatte sich ein enger Zirkel mit Müller bereits im Januar verständigt. Nachdem der im Mai geplante Parteitag wegen der Corona-Pandemie abgesagt wurde, soll er nun am 31. Oktober über die Bühne gehen. Am 19. Dezember wollen die Sozialdemokraten ihren Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl küren. Alles scheint auf Giffey hinauszulaufen. Wer soll es sonst machen?
Allerdings schwebt noch ein gewisses Damoklesschwert über der SPD und der 42-Jährigen: Kocht die Affäre um ihre Doktorarbeit ein weiteres Mal hoch? Die Freie Universität (FU) Berlin hatte Giffey im Oktober 2019 wegen Mängeln in der Arbeit eine Rüge erteilt, ihren Doktortitel der Politikwissenschaft durfte sie jedoch behalten – und damit ihr Amt als Ministerin. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Abgeordnetenhauses, über das die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“jüngst berichtete, sieht indes keine Rechtsgrundlage im Berliner Promotionsrecht für eine solche Rüge. Die FU wies das zurück: Das Hochschulgesetz räume hier Ermessensspielraum ein.