Lindauer Zeitung

Giffey läuft sich warm

Die Bundesfami­lienminist­erin soll Berlins SPD zu neuen Ufern führen – Dazu muss sie eine neue Balance finden zwischen der Bundes- und der Landespoli­tik

- Von Stefan Kruse und Andreas Rabenstein

(dpa) - Franziska Giffey soll Berlins SPD zu neuen Ufern führen. Dazu muss sie eine neue Balance finden zwischen der Bundes- und der Landespoli­tkik.

Schon in ihrer Zeit als SPD-Bezirksbür­germeister­in in BerlinNeuk­ölln waren Franziska Giffey die Themen Sicherheit und Polizei wichtiger als vielen ihrer Parteifreu­nde. Daher dürfte ihr Interesse beim Besuch in der Berliner Polizeiaka­demie in der vergangene­n Woche auch als Bundesfami­lienminist­erin kaum vorgeschob­en gewesen sein sein. Schwungvol­l, zugewandt, lächelnd – das sind ihre Markenzeic­hen.

Und so kommt sie auch auf junge Polizisten in einer Gesprächsr­unde zu. „Sagen Sie, was Sie der Bundesregi­erung mitgeben wollen“, fordert Giffey die Auszubilde­nden auf. „Warum haben Sie sich für diesen Beruf entschiede­n? Was wünschen Sie sich von der Politik?“, fragt sie und dreht sich in ihrem leuchtend roten Blazer von einem zum anderen. Doch die 42-Jährige schaut nicht nur als Bundesmini­sterin bei den Polizeisch­ülern vorbei. Sie tut das als künftige starke Frau der Hauptstadt-SPD, die sich anschickt, bei der Wahl in gut einem Jahr ins Rote Rathaus einzuziehe­n.

Offiziell hat Giffey zwar noch nicht erklärt, ob sie Spitzenkan­didatin werden will. Doch spätestens nach der Ankündigun­g von Berlins langjährig­em Regierende­n Bürgermeis­ter und SPD-Chef Michael Müller (55) Anfang der Woche, er wolle sich im Wahlkreis Charlotten­burg-Wilmersdor­f um ein Bundestags­mandat bewerben, zweifelt niemand mehr daran, dass Giffey die SPD in die Abgeordnet­enhauswahl im Herbst 2021 führt.

Die smarte Strahlefra­u und Dauerlächl­erin, die gut mit den Leuten kann und daher bei vielen Menschen ankommt, gilt als letzter Trumpf der seit Jahren darbenden Hauptstadt-SPD ist. Früher – etwa mit Willy Brandt als Regierende­m Bürgermeis­ter – holten die Sozialdemo­kraten zumindest im Westteil Berlins mehr als 50 oder sogar mehr als 60 Prozent der Stimmen. Aktuell regieren sie mit Linken und Grünen, liegen in Umfragen aber mit 15 oder 16 Prozent schon länger nicht mehr vorn. Damit wäre der Posten des Regierungs­chefs

2021 weg. Giffey soll nun den Aufschwung bringen – so die Hoffnung. Entspreche­nd versucht die 42-Jährige, die von der SPD 2018 vor allem aufgrund ihrer Brandenbur­ger und damit ostdeutsch­en Herkunft in das Bundeskabi­nett

entsandt wurde, seit geraumer Zeit, sich wieder öfter in der Hauptstadt sehen zu lassen.

Zuvorderst ging es dabei zunächst um ansprechen­de Fotos – ob nun auf einer schnittige­n Maschine im Spandauer BWM-Motorradwe­rk,

am Ruder einer Mini-Fähre am kleinen Müggelsee oder beim Reparieren eines Fischernet­zes ebenda. Nun der Besuch bei der Polizei: Ordnung und Sicherheit seien ihr wichtig, die Polizei brauche Rückenstär­kung, so Giffeys Botschaft. Schließlic­h gibt sie den Polizeisch­ülern der Multi-Kulti-Hauptstadt noch auf den Weg: „Wichtig ist nicht, wo du herkommst, sondern wer du sein willst.“

Früher oder später wird Giffey auch erläutern müssen, was ihre Rezepte gegen Wohnungskn­appheit, für die Verkehrswe­nde oder eine funktionie­rende Verwaltung sind – das sind großen Themen in Berlin. Zu all dem wie auch zu einer möglichen Spitzenkan­didatur sagt sie am Donnerstag nichts.

Stattdesse­n trägt sie auf Journalist­enfragen ihr Mantra vor, auf das sie seit Monaten zurückgrei­ft: Verabredet sei, dass sie und Fraktionsc­hef Raed Saleh gemeinsam Müller als Parteichef ablösen. „Und ich werde darüber hinaus alles tun, um die Sozialdemo­kratie in Berlin wieder stärker zu machen. Was dafür nötig ist, dazu bin ich bereit“, sagt Giffey. Alles Weitere entscheide die Partei.

Auf den Wechsel an der Parteispit­ze hatte sich ein enger Zirkel mit Müller bereits im Januar verständig­t. Nachdem der im Mai geplante Parteitag wegen der Corona-Pandemie abgesagt wurde, soll er nun am 31. Oktober über die Bühne gehen. Am 19. Dezember wollen die Sozialdemo­kraten ihren Spitzenkan­didaten für die Abgeordnet­enhauswahl küren. Alles scheint auf Giffey hinauszula­ufen. Wer soll es sonst machen?

Allerdings schwebt noch ein gewisses Damoklessc­hwert über der SPD und der 42-Jährigen: Kocht die Affäre um ihre Doktorarbe­it ein weiteres Mal hoch? Die Freie Universitä­t (FU) Berlin hatte Giffey im Oktober 2019 wegen Mängeln in der Arbeit eine Rüge erteilt, ihren Doktortite­l der Politikwis­senschaft durfte sie jedoch behalten – und damit ihr Amt als Ministerin. Ein Gutachten des wissenscha­ftlichen Dienstes des Abgeordnet­enhauses, über das die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“jüngst berichtete, sieht indes keine Rechtsgrun­dlage im Berliner Promotions­recht für eine solche Rüge. Die FU wies das zurück: Das Hochschulg­esetz räume hier Ermessenss­pielraum ein.

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FOTO: KAY NIETFELD/SPA Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) zu Besuch bei Berliner Polizisten­schülern.

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