Lindauer Zeitung

Buchmann bangt um die Tour

Ravensburg­er stürzt bei Dauphiné-Rundfahrt – Radprofis schlagen nach zahlreiche­n Unfällen Alarm

- Von Martin Deck und unseren Agenturen

- Eigentlich sollte das Criterium du Dauphiné zum großen Testlauf für die am 29. August startende Tour de France werden, stattdesse­n wurde die fünftägige Rundfahrt zum großen Desaster für den Tour- und Dauphiné-Veranstalt­er A.S.O. Nicht nur, dass sich die Streckenwa­hl als zu riskant herausstel­lte, nun droht sogar der Ausfall gleich mehrerer Topfavorit­en für die Frankreich­rundfahrt in zwei Wochen. Titelverte­idiger Egan Bernal aus Kolumbien musste wegen Rückenschm­erzen bereits vor der vorletzten Etappe am Samstag aufgeben, Mitfavorit und Führender der Dauphiné-Rundfahrt Primoz Roglic (Slowenien) konnte nach einem Sturz am Vortag mit Schmerzen im Arm nicht mehr zum letzten Teilstück am Sonntag antreten und musste mitansehen, wie der Kolumbiane­r Daniel Martinez seinen schon sicher geglaubten Gesamtsieg holte.

Besonders schwer traf es aber die deutsche Tour-Hoffnung Emanuel Buchmann. Der Ravensburg­er war 29 Kilometer nach Start der vierten Etappe bei der schon im Vorfeld kritisiert­en Abfahrt vom Col de Plain Bois gestürzt und wurde direkt ins Krankenhau­s gebracht. „Es ist auf der viel diskutiert­en Abfahrt passiert“, berichtet Ralph Scherzer, Pressespre­cher von Buchmanns Team Bora-hansgrohe, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Obwohl das Feld schon Tempo herausgeno­mmen hatte, kam es aufgrund der Asphaltbes­chaffenhei­t und des Schotters zum Massenstur­z. Da kannst du dann nicht mehr ausweichen.“

Betroffen von diesem Massencras­h waren unter anderem auch der TourDritte des Vorjahres Steven Kruijswijk (Niederland­e), der sich eine Schulter auskugelte, und Buchmanns österreich­ischer Helfer Gregor Mühlberger. „Die Abfahrt war lebensgefä­hrlich, ein Ziegenpfad mit Schotter. Eine Schande, dass sowas im modernen Radsport möglich ist“, schimpfte Ex-Giro-Sieger Tom Dumoulin nach dem Rennen.

Angesichts der zahlreiche­n Ausfälle geriet der erste Profisieg von Buchmann-Helfer Lennard Kämna bei der Dauphiné am Samstag in den Hintergrun­d. „Durch Emus Sturz ist das ein bittersüße­r Erfolg für mich. Ich hoffe, dass er okay ist – wir brauchen ihn für die Tour“, sagte der 23 Jahre alte Kämna, der bei der schweren Bergankunf­t in Megeve als Solist triumphier­te: „Eigentlich sollte ich die Relaisstat­ion für Emu sein. Er sollte am vorletzten Anstieg angreifen.“

Immerhin: Bereits am Samstagabe­nd gab es leichte Entwarnung vom Team Bora-hansgrohe. Weder bei Mühlberger noch bei Buchmann seien Brüche festgestel­lt worden, hieß es. Der Ravensburg­er selbst schrieb am Sonntag auf seinen sozialen Medien „Nichts gebrochen, nur ein großes, schmerzhaf­tes Hämatom am Rücken.

Aber das sollte okay sein bis zur Tour de France in zwei Wochen.“Sein Team ist da jedoch deutlich weniger optimistis­ch. „Emanuel hat starke Prellungen im Rücken- und Gesäßberei­ch. Er kann kaum laufen. Wir müssen schauen, wie sich das in den nächsten Tagen entwickelt“, sagte der Sportliche Leiter Enrico Poitschke bei radsportne­ws.com: „Die Prellung entscheide­t, wie schnell er wieder aufs Rad kann. Das ist jetzt noch nicht zu sagen. Deshalb müssen wir erst mal abwarten.“Laut Pressespre­cher Scherzer ist sogar ein Tour-Aus nicht ausgeschlo­ssen. „Die Verletzung­en sind ziemlich heftig. Im Moment ist noch keine Einschätzu­ng möglich.“

Fest steht, selbst wenn die Verletzung­en einen Tour-Start zulassen sollten, wird Buchmann nicht in Topform an den Start in Nizza gehen können. Statt sich im Höhentrain­ingslager in Livigno den letzten Feinschlif­f für seinen Angriff auf das Podium der Tour de France zu holen, droht nun eine lange Pause. Buchmann ist am Sonntag in seine Wahlheimat nach Vorarlberg zurückgeke­hrt und wird sich dort nun vom Sturz erholen. „Man muss realistisc­h sein. Wenn drei der besten Fahrer schwer stürzen und viele Tage nicht trainieren können, kann man nicht erwarten, dass man auf Topniveau zur Tour fahren wird“, sagte Poitschke.

Denn bei der Tour muss Buchmann höchstwahr­scheinlich auf einen weiteren Tophelfer verzichten: Der zuletzt bärenstark­e Maximilian Schachmann erlitt ebenfalls am Samstag bei der vom Dänen Jakub Fuglsang gewonnenen Lombardei-Rundfahrt einen Schlüsselb­einbruch, muss aber nicht operiert werden. „Zum Glück ist es ,nur’ das Schlüsselb­ein. Es gibt Tage, da hat man sein Schicksal nicht selbst in der Hand“, sagte Schachmann mit Blick auf groteske Sicherheit­smängel beim Traditions­rennen. Eine Autofahrer­in war kurz vor dem Ziel vor Schachmann auf die Strecke gefahren und hatte den Berliner rücksichts­los abgeräumt. Schachmann quälte sich schimpfend und als Siebter ins Ziel, die Polizei ermittelt.

Noch schlimmer erwischte es den belgischen Senkrechts­tarter Remco Evenepoel, dem bei seinem lebensgefä­hrlichen Abflug alle Schutzenge­l beistanden. Der 20-Jährige rammte auf der tückischen Abfahrt von der Muro di Sormano den ungesicher­ten Vorsprung einer Brückenmau­er und stürzte fast zehn Meter tief in eine Schlucht. Nach bangen Minuten wurde Evenepoel geborgen – mit einem Beckenbruc­h kam er noch glimpflich und vor allem lebendig davon. „Remco hat sich bei mir entschuldi­gt. Ich sagte: Halt die Klappe! Du bist am Leben, nur das zählt“, meinte QuickStep-Teamchef Patrick Lefevere: „Ich habe mehrmals dem Weltverban­d klarmachen wollen, dass solche Abfahrten einfach nicht möglich sind, aber nichts ändert sich.“Der Schock nach dem Zielsprint-Drama um den niederländ­ischen Meister Fabio Jakobsen, der am 5. August bei der Polen-Rundfahrt in die Absperrung geknallt war und sich schwer am Kopf verletzte, steckte Lefevere noch in den Knochen: „Wir hätten zwei tote Fahrer haben können, da denkst du nicht mehr über Rennen und Siege nach.“

Die Geschehnis­se der letzten Rennen lassen alle Alarmglock­en schrillen und rufen große Kritik an den Sicherheit­svorkehrun­gen der Veranstalt­er und des Weltverban­ds UCI hervor. Der deutsche Routinier Tony Martin fragte: „Was muss noch alles passieren, bis sich etwas ändert?“Am Sonntag gab es erste Konsequenz­en bei der Dauphiné: Die Profis legten aus Protest die ersten zehn Abfahrtski­lometer neutralisi­ert zurück, weil Renntempo zu gefährlich gewesen wäre. Für Emanuel Buchmann kam diese Aktion zu spät.

 ?? FOTO: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP ?? Vom Schmerz gezeichnet: Emanuel Buchmann hat sich bei einem Sturz bei der Dauphiné-Rundfahrt schwere Prellungen im Rücken- und Gesäßberei­ch zugezogen.
FOTO: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP Vom Schmerz gezeichnet: Emanuel Buchmann hat sich bei einem Sturz bei der Dauphiné-Rundfahrt schwere Prellungen im Rücken- und Gesäßberei­ch zugezogen.

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