Angst um die Apfelernte
Strenge Corona-Auflagen und das Bangen um die Erntehelfer belasten auch die Obstbauern im Südwesten
(dpa/sz) - In den wichtigsten Apfelregionen Deutschlands – also auch am Bodensee – beginnt bald die Ernte. Doch wegen der Corona-Krise sind die Auflagen für Landwirte in diesem Jahr besonders umfangreich. „Wir müssen uns vorbereiten, die Hygienevorschriften beachten, Desinfektionsmittel bereitstellen“, sagt der Obstbauer Johannes Michel. Zudem müsse er die Arbeitsabläufe während der Ernte anpassen, da er mit den Mitarbeitern kleinere Gruppen als sonst bilden müsse.
Der Landwirt aus Frickingen am Bodensee erwartet in diesem Jahr 16 Saisonkräfte unter anderem aus Polen und Rumänien. Allerdings hat er Sorge, dass die Helfer auch wirklich einreisen können. „Die Vorschriften in den einzelnen Ländern sind unterschiedlich. Und die Erntehelfer aus Rumänien müssen bei der Anreise beispielsweise mehrere Grenzen überqueren.“Zudem stehe die Ernte erst in ein paar Wochen an. „Was, wenn bis dahin eine zweite Welle droht?“Eine erneute Grenzschließung wäre ein riesiges Problem, sagt Daniel Neuwald, Experte für Ernte, Lagerung und Fruchtqualität beim Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee (KOB) – eine privatrechtliche Stiftung, die das Ziel hat, den Obstanbau in der Bodenseeregion wissenschaftlich zu untersuchen und zu fördern. Man sei dringend angewiesen auf die Mitarbeiter aus Polen oder Rumänien.
Um Infektionen unter den Beschäftigten möglichst zu verhindern, müssen die Bauern einiges beachten: Neben der Einteilung in kleinere Erntegruppen und der Bereitstellung etwa von Desinfektionsmitteln dürfen die Landwirte in den Unterkünften nur halb so viele Erntehelfer unterbringen wie zu anderen Zeiten. Auch muss eine Gefährdungsbeurteilung vorliegen, die der Arbeitgeber für seine Beschäftigten erstellt, sagte eine Sprecherin des Stuttgarter Wirtschaftsministeriums. Kontrolliert werde die Einhaltung durch die Arbeitsschutzbehörden.
Daniel Neuwald verweist auch auf die dadurch entstehenden finanziellen Belastungen für die Obstbauern. „Der Betrieb braucht eine höhere Anzahl von Zimmern, um die Saisonkräfte mit genügend Abstand unterzubringen“, sagt er. Außerdem seien die Preise für Desinfektionsmittel und Masken natürlich in den letzten Monaten hochgeschossen. „Das bedeutet dann deutlich mehr
Kosten für den Betrieb, neben dem Aufwand.“
Im bayerischen Lindau werden die Saisonkräfte zudem nach der Einreise auf Covid-19 getestet. Das Problem sei jedoch, dass sie auch erst arbeiten dürften, wenn das Ergebnis vorliege, sagt Martin Nüberlin von der Erzeugergemeinschaft Lindauer Ostbauern. „Wir haben aber keine industrielle Produktion – wir müssen ernten, wenn die Äpfel reif sind.“Durch das heiße Wetter sei es dieses Jahr schon früh so weit. Wenn die Testergebnisse aber auf sich warten ließen, müsse man im dümmsten Fall zuschauen, wie die Äpfel von den Bäumen fielen.
Dieses Problem sieht auch Daniel Neuwald vom KOB. Wenn sich die Ernte verzögere, weil die Saisonkräfte nicht einreisen können oder sich ihre Ankunft verspäte, dann habe das unmittelbare Auswirkungen. Die Obstbauern seien verpflichtet eine bestimmte Qualität zu liefern und bestimmte Sorten seien einfach „nicht lagerfähig“, sagt Neuwald. Die müsse man dann anderweitig verarbeiten oder bei Fäulnisbefall schlimmstenfalls sogar kompostieren. „Das wäre ein riesiger Verlust“, sagt Neuwald.
Der Frickinger Landwirt Michel will seine Erntehelfer auf das Coronavirus testen lassen. „Damit wir zumindest einen gewissen Grad an Sicherheit haben“, sagt er. Gleichzeitig betont der Landwirt, dass man neben all dem Ernst der Lage auch optimistisch bleiben müsse. „Das Jammern bringt nicht viel. Wir haben schon viel geschafft in der Landwirtschaft und das kriegen wir auch hin. Solange wir hier eine regionale Produktion umsetzen können, ist das das Beste, was wir machen können.“
Auch in Niedersachsen wird die Ernte in diesem Jahr spürbar von den Auswirkungen der Corona-Pandemie geprägt sein. „Es ist eine angespannte, ungewohnte Situation“, sagt der Vorsitzende der Fachgruppe Obstbau beim niedersächsischen Landvolk, Ulrich Buchterkirch. Natürlich gebe es die Angst vor einem Infektionsfall und den daraus folgenden Konsequenzen. Trotz VirusKrise rechnet er aber mit einer durchschnittlichen Ernte.
Niedersachsens bekanntestes Obstbaugebiet ist das Alte Land an der Niederelbe. Da ein Großteil der Erntehelfer aus Polen kommt, wird derzeit nicht damit gerechnet, dass sie Probleme bei der Einreise haben werden. Außerdem gebe es nach der Ernte von Erdbeeren und Spargel auch schon Erfahrung im Umgang mit den Einschränkungen durch das Virus, sagte Buchterkirch.
In Rumänien und Bulgarien dagegen sind einige Regionen derzeit als Risikogebiete einzustufen. „Die Sorge ist sehr groß“, sagt der Vorsitzende der Obstregion Bodensee, Thomas Heilig. Es sei noch nicht sicher, ob die Saisonkräfte einreisen können.
Sollte es auf einem Betrieb zu Corona-Fällen kommen, greift nach Angaben des baden-württembergischen Sozialministeriums das örtliche Gesundheitsamt ein. Personen, die direkt Kontakt zu Verdachtspersonen hatten, müssen in Quarantäne und werden gegebenenfalls getestet, wie ein Sprecher sagt. Bei größeren Ausbrüchen kann auch das Landesgesundheitsamt zur Unterstützung hinzugezogen werden.
Nach Angaben des baden-württembergischen Landesbauernverbandes werden zur Apfelernte allein am Bodensee rund 8000 Erntehelfer erwartet. Die Marktgemeinschaft Bodenseeobst rechnet für die Region in diesem Jahr mit einer Ernte von rund 242 000 Tonnen, nach 252 000 Tonnen im Vorjahr. Für ganz Deutschland geht die Genossenschaft von 951 000 Tonnen Ernte aus, nach 991 000 Tonnen 2019.