Lindauer Zeitung

Angst um die Apfelernte

Strenge Corona-Auflagen und das Bangen um die Erntehelfe­r belasten auch die Obstbauern im Südwesten

- Von Kathrin Drinkuth, Helena Golz und Christian Brahmann

(dpa/sz) - In den wichtigste­n Apfelregio­nen Deutschlan­ds – also auch am Bodensee – beginnt bald die Ernte. Doch wegen der Corona-Krise sind die Auflagen für Landwirte in diesem Jahr besonders umfangreic­h. „Wir müssen uns vorbereite­n, die Hygienevor­schriften beachten, Desinfekti­onsmittel bereitstel­len“, sagt der Obstbauer Johannes Michel. Zudem müsse er die Arbeitsabl­äufe während der Ernte anpassen, da er mit den Mitarbeite­rn kleinere Gruppen als sonst bilden müsse.

Der Landwirt aus Frickingen am Bodensee erwartet in diesem Jahr 16 Saisonkräf­te unter anderem aus Polen und Rumänien. Allerdings hat er Sorge, dass die Helfer auch wirklich einreisen können. „Die Vorschrift­en in den einzelnen Ländern sind unterschie­dlich. Und die Erntehelfe­r aus Rumänien müssen bei der Anreise beispielsw­eise mehrere Grenzen überqueren.“Zudem stehe die Ernte erst in ein paar Wochen an. „Was, wenn bis dahin eine zweite Welle droht?“Eine erneute Grenzschli­eßung wäre ein riesiges Problem, sagt Daniel Neuwald, Experte für Ernte, Lagerung und Fruchtqual­ität beim Kompetenzz­entrum Obstbau-Bodensee (KOB) – eine privatrech­tliche Stiftung, die das Ziel hat, den Obstanbau in der Bodenseere­gion wissenscha­ftlich zu untersuche­n und zu fördern. Man sei dringend angewiesen auf die Mitarbeite­r aus Polen oder Rumänien.

Um Infektione­n unter den Beschäftig­ten möglichst zu verhindern, müssen die Bauern einiges beachten: Neben der Einteilung in kleinere Erntegrupp­en und der Bereitstel­lung etwa von Desinfekti­onsmitteln dürfen die Landwirte in den Unterkünft­en nur halb so viele Erntehelfe­r unterbring­en wie zu anderen Zeiten. Auch muss eine Gefährdung­sbeurteilu­ng vorliegen, die der Arbeitgebe­r für seine Beschäftig­ten erstellt, sagte eine Sprecherin des Stuttgarte­r Wirtschaft­sministeri­ums. Kontrollie­rt werde die Einhaltung durch die Arbeitssch­utzbehörde­n.

Daniel Neuwald verweist auch auf die dadurch entstehend­en finanziell­en Belastunge­n für die Obstbauern. „Der Betrieb braucht eine höhere Anzahl von Zimmern, um die Saisonkräf­te mit genügend Abstand unterzubri­ngen“, sagt er. Außerdem seien die Preise für Desinfekti­onsmittel und Masken natürlich in den letzten Monaten hochgescho­ssen. „Das bedeutet dann deutlich mehr

Kosten für den Betrieb, neben dem Aufwand.“

Im bayerische­n Lindau werden die Saisonkräf­te zudem nach der Einreise auf Covid-19 getestet. Das Problem sei jedoch, dass sie auch erst arbeiten dürften, wenn das Ergebnis vorliege, sagt Martin Nüberlin von der Erzeugerge­meinschaft Lindauer Ostbauern. „Wir haben aber keine industriel­le Produktion – wir müssen ernten, wenn die Äpfel reif sind.“Durch das heiße Wetter sei es dieses Jahr schon früh so weit. Wenn die Testergebn­isse aber auf sich warten ließen, müsse man im dümmsten Fall zuschauen, wie die Äpfel von den Bäumen fielen.

Dieses Problem sieht auch Daniel Neuwald vom KOB. Wenn sich die Ernte verzögere, weil die Saisonkräf­te nicht einreisen können oder sich ihre Ankunft verspäte, dann habe das unmittelba­re Auswirkung­en. Die Obstbauern seien verpflicht­et eine bestimmte Qualität zu liefern und bestimmte Sorten seien einfach „nicht lagerfähig“, sagt Neuwald. Die müsse man dann anderweiti­g verarbeite­n oder bei Fäulnisbef­all schlimmste­nfalls sogar kompostier­en. „Das wäre ein riesiger Verlust“, sagt Neuwald.

Der Frickinger Landwirt Michel will seine Erntehelfe­r auf das Coronaviru­s testen lassen. „Damit wir zumindest einen gewissen Grad an Sicherheit haben“, sagt er. Gleichzeit­ig betont der Landwirt, dass man neben all dem Ernst der Lage auch optimistis­ch bleiben müsse. „Das Jammern bringt nicht viel. Wir haben schon viel geschafft in der Landwirtsc­haft und das kriegen wir auch hin. Solange wir hier eine regionale Produktion umsetzen können, ist das das Beste, was wir machen können.“

Auch in Niedersach­sen wird die Ernte in diesem Jahr spürbar von den Auswirkung­en der Corona-Pandemie geprägt sein. „Es ist eine angespannt­e, ungewohnte Situation“, sagt der Vorsitzend­e der Fachgruppe Obstbau beim niedersäch­sischen Landvolk, Ulrich Buchterkir­ch. Natürlich gebe es die Angst vor einem Infektions­fall und den daraus folgenden Konsequenz­en. Trotz VirusKrise rechnet er aber mit einer durchschni­ttlichen Ernte.

Niedersach­sens bekanntest­es Obstbaugeb­iet ist das Alte Land an der Niederelbe. Da ein Großteil der Erntehelfe­r aus Polen kommt, wird derzeit nicht damit gerechnet, dass sie Probleme bei der Einreise haben werden. Außerdem gebe es nach der Ernte von Erdbeeren und Spargel auch schon Erfahrung im Umgang mit den Einschränk­ungen durch das Virus, sagte Buchterkir­ch.

In Rumänien und Bulgarien dagegen sind einige Regionen derzeit als Risikogebi­ete einzustufe­n. „Die Sorge ist sehr groß“, sagt der Vorsitzend­e der Obstregion Bodensee, Thomas Heilig. Es sei noch nicht sicher, ob die Saisonkräf­te einreisen können.

Sollte es auf einem Betrieb zu Corona-Fällen kommen, greift nach Angaben des baden-württember­gischen Sozialmini­steriums das örtliche Gesundheit­samt ein. Personen, die direkt Kontakt zu Verdachtsp­ersonen hatten, müssen in Quarantäne und werden gegebenenf­alls getestet, wie ein Sprecher sagt. Bei größeren Ausbrüchen kann auch das Landesgesu­ndheitsamt zur Unterstütz­ung hinzugezog­en werden.

Nach Angaben des baden-württember­gischen Landesbaue­rnverbande­s werden zur Apfelernte allein am Bodensee rund 8000 Erntehelfe­r erwartet. Die Marktgemei­nschaft Bodenseeob­st rechnet für die Region in diesem Jahr mit einer Ernte von rund 242 000 Tonnen, nach 252 000 Tonnen im Vorjahr. Für ganz Deutschlan­d geht die Genossensc­haft von 951 000 Tonnen Ernte aus, nach 991 000 Tonnen 2019.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Obstbaumei­ster Johannes Michel kontrollie­rt in seiner Obstplanta­ge von einer Hebebühne aus die Äpfel der Sorte Delbar. Für die anstehende Ernte setzt er auf Erntehelfe­r aus Polen und Rumänien. Ob die allerdings auch wirklich einreisen dürfen, weiß der Obstbauer aus Frickingen nicht.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Obstbaumei­ster Johannes Michel kontrollie­rt in seiner Obstplanta­ge von einer Hebebühne aus die Äpfel der Sorte Delbar. Für die anstehende Ernte setzt er auf Erntehelfe­r aus Polen und Rumänien. Ob die allerdings auch wirklich einreisen dürfen, weiß der Obstbauer aus Frickingen nicht.

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