„Menschen eine berufliche Perspektive geben“
Chance verteidigt Beschäftigte und sein Geschäftsmodell: Gebrauchtes gibt’s günstig, aber nicht umsonst
- Für Claudia Mayer ist das Unternehmen Chance schon immer eine Herzensangelegenheit: „Wir sind wichtig für die Menschen, die sonst keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.“Um diesen Beschäftigten ein festes Gehalt zahlen zu können, braucht die gemeinnützige Firma natürlich Einnahmen – die erzielt sie mit dem Gebrauchtwarenkaufhaus. Was die Geschäftsführerin nicht versteht: Dass immer wieder Kritik am Unternehmen Chance laut wird, teilweise sogar über dessen Arbeit gelästert werde. Mayer verteidigt das Konzept des Unternehmen Chance energisch. Zumal das heute eine weitere wichtige Gesetzesvorgabe erfüllt: die Abfallvermeidung.
Die dunkelblaue Ledercouch sieht bequem aus, gut erhalten ist sie auch. Dass auf dem Preisschild dennoch nur 150 Euro steht, begründet Claudia Mayer mit der Größe: „Wer hat schon ein so großes Wohnzimmer, in dem diese Couch Platz hat?“Viele Menschen aus Lindau und Umgebung schenken dem Unternehmen Chance Möbel. „Oft mit dem Argument, dass sie in eine kleinere Wohnung umziehen.“Wo eben die VierMeter-Schrankwand und die große Couch nicht mehr hineinpassen. Oder sie müssen die Wohnungen von Angehörigen auflösen, neben Möbeln, Büchern und Nippes auch das einst teure Porzellan-Service loswerden. Zum Wegwerfen zu schade, wollen sie mit ihrer Spende nebenbei noch etwas Gutes tun.
Mayer freut sich über dieses Engagement der Bürger. Es ist Grundlage für die Idee, die hinter dem Unternehmen Chance steckt: Arbeitslosen und Menschen mit Problemen eine neue Chance geben. „Es ist ein Stück weit ein Beschäftigungsprojekt“, sagt Mayer. Empfänger von Grundsicherung arbeiten dort mit für einen Zusatzverdienst von 1,50 Euro pro Stunde. Arbeitslose mit persönlichem Handicap, ob gesundheitliche oder psychische Einschränkungen, entwickeln ihre Talente zwischen Werkstatt, Dekoration und Verkauf. Der ein oder andere leistet dort seine Sozialstunden.
Mehrfach hat das Team des Unternehmen Chance Schulverweigerer und schwierige Jugendliche betreut, die dort dann ihre Berufschance erkannten. „Menschen eine berufliche Perspektive geben“ist in den
Augen von Claudia Mayer eine wichtige Aufgabe.
Manchmal folgt aber auch die Erkenntnis, dass der ein oder die andere auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt nicht mehr Fuß fassen werden. Rund ein halbes Dutzend solcher Menschen haben im Unternehmen Chance mittlerweile einen festen Arbeitsvertrag. Sortieren gespendeten Hausrat, kümmern sich um die Präsentation von gebrauchten Möbeln und Geschirr. Claudia Mayer ist auf jede und jeden in ihrem Team stolz: „Die Mitarbeiter hier leisten alle ihr Bestes.“Muss sie dann aber unsachliche Sätze und Häme in den sozialen Medien lesen, dann stellt sie sich mit Vehemenz vor ihre Beschäftigten. Sätze wie „schicken Sie mir mal ein paar Arbeitslose“lassen ihren
Geschäftsführerin Claudia Mayer Blutdruck merklich steigen. „Ich bin jederzeit offen für Kritik“, betont Mayer – sofern sie sachlich ist und die Kritiker damit direkt zu ihr kommen.
Was die Geschäftsführerin ebenso wenig verstehen kann: Wenn
Leute dem Gebrauchtwarenkaufhaus überhöhte Preise vorwerfen. Vieles im Haushaltswarenbereich bietet das Unternehmen Chance für wenige Euro an, kleinere und größere Möbelstücke für oft unter hundert Euro. Die große Ledercouch sei locker ein Vielfaches vom jetzigen Verkaufspreis wert, ist Mayer überzeugt. Und gibt zu bedenken: „Wir brauchen den Umsatz, um unsere Beschäftigten, unsere Miete und unsere Fahrzeuge bezahlen zu können.“Die Geschäftsführerin legt einige Zahlen vor. So sei der Juli zwar mit 24 000 Euro der umsatzstärkste Monat des Lindauer Gebrauchtwarenkaufhauses seit Beginn der Corona-Pandemie gewesen. Doch dieser Betrag sei allein schon erforderlich, um die Gehälter der insgesamt zwölf Angestellten in Lindau zahlen zu können, einschließlich Lohnnebenkosten. „Und dann ist noch kein Geld für Miete dabei“, stellt Mayer fest. Sie selbst kostet das Unternehmen Chance übrigens keinen Cent: Denn die Lindauerin ist Angestellte des Abfallzweckverbands ZAK, der wiederum seit Jahresbeginn offiziell Mitgesellschafter des Unternehmen Chance ist. „Mein Gehalt zahlt der ZAK.“
In dessen Auftrag kümmert sie sich um die Geschäftsführung des Unternehmen Chance in Lindau und am zweiten Standort Lindenberg – weil die Gebrauchtwarenkaufhäuser
Claudia Mayer einen wichtigen Beitrag zur Abfallvermeidung leisten: „Alles, was von den Bürgern aussortiert wird, dann aber erfolgreich an neue Nutzer und Liebhaber verkauft werden kann, wandert nicht in den Sperrmüll“, schildert Mayer. Und sie freut sich, dass Abfallvermeidung und Wiederverwertung damit nicht nur den Müllberg verringern, sondern auch einen sozialen Beitrag leisten – wenn Arbeitslose und andere Menschen so neue Perspektiven erhalten.
„Die Mitarbeiter hier leisten alle ihr Bestes.“
„Ich bin jederzeit offen für Kritik.“
Das Gebrauchtwarenkaufhaus des Unternehmen Chance in Lindau in der Von-Behring-Straße 6 hat montags bis freitags von 9 bis 12.30 Uhr sowie von 13.30 bis 18 Uhr geöffnet, samstags von 9 bis 12 Uhr. Wer Möbel und Hausrat spenden und abholen lassen will, erreicht es während dieser Zeiten telefonisch unter der Nummer 08382 / 989 69 80.