Lindauer Zeitung

Empörung an falscher Stelle

- Von Sebastian● Heilemann s.heilemann@schwaebisc­he.de

Wer Apfel, Karotte oder Joghurtbec­her aus dem Container von Supermärkt­en fischt, macht sich strafbar. Das hat das Bundesverf­assungsger­icht am Dienstag geklärt. Die Empörung ist groß. Der eine schmeißt genießbare Lebensmitt­el weg, die nicht mehr verkauft werden können. Jemand, der dafür noch Verwendung hätte, darf sie nicht nehmen. Das klingt absurd. Den Richtern ging es bei ihrer Entscheidu­ng aber gar nicht um Lebensmitt­elverschwe­ndung. Sie urteilten juristisch trocken über die Frage, ob auch das Eigentum an wirtschaft­lich wertlosen Dingen zu schützen ist. Die Antwort ist Ja. Wer etwas nimmt, ohne dass es ihm gehört, begeht Diebstahl. Daran ist wenig auszusetze­n. Zudem wird es in der Praxis wohl nur selten zu Verurteilu­ngen kommen. Nach Ansicht des Verfassung­sgerichts gibt das Strafproze­ssrecht hinreichen­de Möglichkei­ten, der geringen Schuld des Täters Rechnung zu tragen. Eine Einstellun­g von Verfahren wegen Geringfügi­gkeit ist möglich.

Doch das Urteil hat neben der juristisch­en auch noch eine gesellscha­ftspolitis­che Ebene. Denn es geht vielen Menschen aus der Container-Szene weniger darum, sich zu bereichern. Sie verstehen sich als Essensrett­er, als Aktivisten gegen Nahrungsmi­ttelversch­wendung. Deswegen ist die Empörung über das Urteil zwar nachvollzi­ehbar, verfehlt aber ihre Wirkung. Der Ärger sollte an anderer Stelle ansetzen. Denn das Grundprobl­em der 18 Millionen Tonnen Lebensmitt­el, die laut WWFStudie jedes Jahr in Deutschlan­d weggeworfe­n werden, lässt sich nicht erst im Container bekämpfen. Es geht etwa um Überproduk­tion von Lebensmitt­eln, Geschäfte, die kurz vor Ladenschlu­ss Regale auffüllen, Normen für Gemüse, durch die es etwa die krumme Gurke nicht in den Verkauf schafft. Bis 2030 will die Bundesregi­erung die Menge verschwend­eter Lebensmitt­el halbieren. Dafür braucht es Regeln, die nicht nur auf Freiwillig­keit der Wirtschaft beruhen. Dass das geht, zeigt das Beispiel Frankreich. Dort ist es dem Handel verboten, genießbare Lebensmitt­el wegzuwerfe­n.

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