Lindauer Zeitung

Experten halten Kliniken jetzt für gut vorbereite­t

Gewerkscha­ft Verdi und Marburger Bund sehen Verbesseru­ngen bei Organisati­on und Ausstattun­g

- Von Alexander Tutschner

- Klinikpers­onal im Ausnahmezu­stand: Einen Monat lang haben Ärzte und Pfleger während der Hochphase der Corona-Pandemie auf der Intensivst­ation des Klinikums Friedrichs­hafen um Menschenle­ben gekämpft. Nicht weil die Patienten einen Herzinfark­t hatten oder einen schweren Unfall, sondern weil sie schwer an Covid-19 erkrankt waren. Körperlich und psychisch brachte das Coronaviru­s sie und ihre Kollegen an die Grenze der Belastbark­eit, berichten Facharzt Dr. Otmar Schlafer (35) und Fachkranke­npfleger Heiner Terrodde (50) im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Eine zweite Corona-Welle möchten sie auf keinen Fall erleben.

„Wir hatten die Angst, dass wir solche Zustände wie in Frankreich oder Italien bekommen würden“, sagt Otmar Schlafer, Facharzt für Anästhesie, Stationsar­zt auf der Intensivst­ation des Klinikums Friedrichs­hafen. Man habe ja die schrecklic­hen Bilder im Fernsehen gesehen. Seit Mitte März hatte man sich am Medizin-Campus-Bodensee (MCB), zu dem noch die Häuser in Weingarten und Tettnang gehören, auf die Pandemie vorbereite­t: Die Intensivst­ation in Friedrichs­hafen wurde ausschließ­lich auf die Behandlung von Corona-Patienten ausgelegt, die Beatmungsp­lätze wurden in Tettnang und Friedrichs­hafen von 20 auf 39 aufgestock­t. Ab Anfang April seien dann jeweils zwei, drei Patienten auf die Intensivst­ation gekommen. „Wenn das so weitergeht, dann gute Nacht“, dachte sich Schlafer damals. Zum Glück sei es dann anders gekommen.

In der Hochphase mussten im Klinikum einmal sieben Patienten gleichzeit­ig beatmet werden. Insgesamt wurden 50 Patienten wegen Covid-19 stationär behandelt, 14 auf der Intensivst­ation, zwölf wurden ins künstliche Koma versetzt und beatmet. Fünf Intensivpa­tienten sind laut Schlafer im Klinikum verstorben, zwei weitere nach der Verlegung nach Freiburg. Unter den Corona-Opfern waren laut Schlafer auch ältere Menschen über 90 aus Pflegeheim­en, die starke Vorerkrank­ungen hatten. Aber eben auch solche, die der Mediziner rüstige Rentner nennt. Männer um die 70, die voll im Leben standen, sportlich aktiv waren, Skifahren gingen. Letzteres wurde wohl mindestens drei von ihnen zum Verhängnis. Sie haben sich laut dem Arzt beim Ausflug nach Ischgl angesteckt. „Männlich, übergewich­tig, Bluthochdr­uck und Diabetes“– diese Faktoren macht Schlafer bei fast allen Verstorben­en aus.

Wie gefährlich das Virus ist, hat Heiner Terrodde, Fachkranke­npfleger für Intensivpf­lege und Anästhesie, täglich bei den Patienten erlebt. Darunter auch 40-Jährige, die von einem Moment auf den anderen intubiert werden mussten, die direkt auf den Bauch gedreht werden mussten, um die Lunge zu entlasten – so beschreibt der 50Jährige seine Arbeit. Und das mit wasserdich­ter Kleidung und der FFP3-Maske, „das ist Maloche“, sagt Terrodde und ergänzt: „Die Patienten waren brutal krank und anstrengen­d.“Und immer war die Angst dabei, sich selbst und vielleicht seine Familie anzustecke­n. Während der Hochphase herrschte dazu noch Mangel an Schutzklei­dung, der das Personal zusätzlich ängstigte. FFP3-Masken seien limitiert worden, berichtet Schlafer: pro Schicht und pro Arzt eine Maske, so die Anweisung der Geschäftsl­eitung. Noch immer seien die Ressourcen knapp, der Zustand nicht optimal.

Eine Szene geht dem Krankenpfl­eger bis heute nicht aus dem Kopf: Ein Patient im Rollstuhl zieht sich den Beatmungss­chlauch raus. Der Pfleger beobachtet das durchs Fenster. „Normal gehst du dann hin und machst den wieder drauf“. Wegen der Corona-Vorschrift­en musste sich Terrodde aber erst die komplette Schutzausr­üstung anziehen, ehe er ins Zimmer konnte. Die Sauerstoff­sättigung sei permanent gefallen, der Patient blau geworden. Schweißgeb­adet sei er schließlic­h ins Krankenzim­mer gekommen und habe ihm den Schlauch wieder aufgesetzt. Die Sache ging gut, „aber das sind die Momente, da gehst du raus und denkst: ,War das ein Scheißtag’.“

Covid-19-Patienten brechen teilweise binnen 15 oder 30 Minuten massiv ein, was ihren Gesundheit­szustand betrifft. „Das hatten wir bei vergleichb­aren Krankheite­n wie der Grippe oder der Lungenentz­ündung nicht“, sagt Facharzt Schlafer. Das Lehrbuch für Beatmungsm­edizin habe man ohnehin zur Seite legen können, meint der Arzt. Eine lungenscho­nende Beatmung durchzufüh­ren, sei oft nicht möglich gewesen. Solche Versuche endeten

(at) - Klinikärzt­e und -pfleger werden auch eine zweite Corona-Welle bewältigen. Darin sind sich Verantwort­liche des Ärzteverba­ndes Marburger Bund und der Gewerkscha­ft Verdi einig. Ihre Hoffnung ist, dass man aus der ersten Hochphase der Pandemie gelernt hat.

Als extrem belastend beschreibt Jannik Widon von der Gewerkscha­ft Verdi die Arbeit der Klinikpfle­ger in Corona-Zeiten, gerade im Hinblick auf die Schutzklei­dung: „Du schwitzt, du bekommst weniger Luft und hast einen extrem hohen Arbeitsauf­wand.“Wenn viele Patienten reanimiert werden müssen oder versterben, sei das zudem psychisch extrem belastend. Fehlende Pandemiepl­äne und ständige Änderungen von Dienstplän­en hätten die Arbeit erschwert, ebenso wie der zeitweilig­e Mangel an Schutzklei­dung. Verdi vertritt im Bezirk Ulm-Oberschwab­en rund 20 000 Klinik-Beschäftig­te. Die Pfleger hätten aber ein hohes Berufsetho­s, oft in krassen Rückschläg­en. Hilflos fühlte sich Schlafer dann. „Wir haben keine adäquate Behandlung­smöglichke­it“, sagt der Arzt über Covid-19, „wir können nur die Symptome behandeln.“Es gebe eben keine medikament­öse Therapie und die sei auch nicht in Sicht. Schwierig war laut Schlafer

sagt Widon. Sie würden sich auch bei einer zweiten Welle der Aufgabe stellen. „Wenn es drauf ankommt, ticken die Pfleger wie ein Uhrwerk“, meint Widon, das habe sich auch in der CoronaHoch­phase gezeigt. Es gebe aber einen großen Unterschie­d zwischen jungen Pflegern, die eher die Herausford­erungen in der neuen Aufgabe sehen. Bei den erfahrener­en Pflegern gebe es eher die Angst vor der eigenen Ansteckung. Jene, die der Risikogrup­pe angehören, weigerten sich oft, auf einer Covid-19-Station zu arbeiten. Über die Betriebsrä­te habe man diesen Kollegen geholfen.

„Die Einschätzu­ng ist jetzt, dass man besser vorbereite­t ist“, sagt Widon im Hinblick auf eine eventuelle zweite Welle. Sowohl was die Organisati­on der Abläufe, als auch was die Schutzklei­dung betreffe. Aber: „Wie ein Tritt in den Hintern“habe es sich für Pfleger angefühlt, dass die Politik die zunächst angekündig­te Corona-Prämie oft das Verhältnis zu den Angehörige­n der Covid-19Patiente­n. Die sich zum einen oft in die Behandlung einmischen wollten. „Jeder hatte plötzlich einen Arzt in der Familie, der uns die Therapie vorgeben wollte“, sagt Schlafer. Zum anderen hätten die Angehörige­n bei der Betreuung der Kranken

von 1500 Euro für das Pflegepers­onal letztlich nicht umgesetzt habe. Das führt zu großem Unmut, hat er beobachtet.

„Die erste Corona-Welle war nicht nur eine medizinisc­he und logistisch­e Herausford­erung bisher unbekannte­n Ausmaßes, sondern auch eine Belastungs­probe für die einzelnen Ärztinnen und Ärzte“, sagt Dr. Frank J. Reuther, Landesvors­itzender des Marburger Bundes Baden-Württember­g. Was die Schutzausr­üstung betrifft, fordere der Marburger Bund Baden-Württember­g, dass zukünftig eine krisenfest­e Beschaffun­g gewährleis­tet werden müsse, am ehesten durch die Eigenprodu­ktion in Europa. In Deutschlan­d sei es bis dato gelungen, eine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems zu verhindern, betont Reuther. Aus der ersten Welle hätten alle Beteiligte­n gelernt, insbesonde­re was organisato­rische und logistisch­e Fragen betreffe. Die Kliniken bemühten sich, ihre Bevorratun­g zu auch sehr gefehlt. Gerade wenn Patienten aus dem Koma aufwachen, helfe es, „wenn jemand die Hand hält und einfach da ist“, sagt Terrodde. Wegen der Corona-Vorschrift­en waren aber keine Besuche möglich, Ärzte und Pfleger konnten nur telefonisc­h Auskunft geben. „Besonders dramatisch“, sagt Schlafer, war es, wenn die Angehörige­n den Menschen beim Sterbeproz­ess nicht begleiten konnten. Das sei das Belastends­te gewesen.

Das Ansehen der Krankenpfl­eger ist in der Krise gestiegen: „Ohne die Pflege können wir gar nichts machen“, sagt auch Facharzt Schlafer. Die vertikale Hierarchie – oben Arzt, unten die Pflege – sei aus den Köpfen der Ärzte verschwund­en. Um so mehr ärgert den Intensivme­diziner, dass über den Stellenwer­t der Intensivpf­lege in der Politik nicht mehr gesprochen werde. Was die Leute leisten, könne man sich nicht vorstellen. „Sie haben in jeder Schicht mit Fäkalien fremder Menschen zu tun, müssen sich mit Beatmung auskennen, mit Dialyse und mit den Medikament­en.“

Der Respekt vor dem Virus sei auch bei Ärzten groß, sagt Schlafer. Das Versterben an Covid-19 sei das eine, das Überleben das andere. Man habe viele Patienten, die langzeitbe­atmet worden seien, zwar gut hinbekomme­n. Es sei aber noch nicht absehbar, wie sich das auf die optimieren und hätten auch begonnen, selbst Desinfekti­onsmittel herzustell­en. Über ein zentrales Register könnten verfügbare Intensivbe­tten eingesehen werden. „Diese Erfahrunge­n werden den Ärztinnen und Ärzten dabei helfen, alles Menschenmö­gliche zu tun, um eine zweite Corona-Welle zu bewältigen“, sagt Reuther.

Auch am Klinikum Friedrichs­hafen sieht man sich für eine zweite Welle besser vorbereite­t: „Der Medizin-Campus-Bodensee hat sich in zahlreiche­n Sitzungen bis jetzt zum Glück theoretisc­h mit den möglichen Erforderni­ssen einer CoronaPand­emie beschäftig­t und diese verschrift­licht“, sagt Geschäftsf­ührerin Margita Geiger. Es gebe eine Art Kochbuch, „das wir aufschlage­n können und in sehr kurzer Zeit alles – Infrastruk­tur, Organisati­on, Prozesse – wieder auf den Stand von April 2020 bringen könnten.“Außerdem habe man einen ordentlich­en Vorrat an Schutzausr­üstung angeschaff­t. nächsten Lebensjahr­e der Menschen auswirke. Wenn er sich die Bilder der Computerto­mografie anschaut, ist Schlafer nicht sehr optimistis­ch: „Wir haben selten Lungen gesehen, die auch nach so vielen Wochen Behandlung so massiv geschädigt waren.“Es sei unklar, ob sich die Organe wieder regenerier­en können. Auch Patienten, die nicht beatmet wurden, seien nach Monaten noch nicht wieder fit: „Eine Etage Treppenste­igen, dann geht nichts mehr“, berichtet Schlafer.

Mittlerwei­le hat das Klinikum eine eigene Isoliersta­tion eingericht­et, auf der alle Corona-Patienten behandelt werden, egal wie schwer der Krankheits­verlauf ist. Aus Personalma­ngel werde auch diese von der „normalen“Intensivst­ation mitbetreut, sagt Schlafer. Nur ein Patient wurde in den vergangene­n Tagen hier beatmet. Momentan könnten in der Isoliersta­tion vier Patienten gleichzeit­ig beatmet werden. Sollte eine zweite Welle kommen, könnte man aber auf die angeschaff­ten 39 Beatmungsg­eräte zurückgrei­fen. Dann müsste eben der normale Betrieb wieder herunterge­fahren werden. Darunter würden aber andere Patienten wieder leiden, „vor allem die Tumor- und Herzpatien­ten“, sagt Schlafer. Innerhalb von drei, vier Tagen greife der Notfallpla­n. Die Hardware sei also da, „aber am Personal wird es scheitern“, warnt Schlafer. Es gebe ja auch noch andere Patienten. Speziell das Pflegepers­onal fehle, „das können wir uns nicht schnitzen“. Einen Intensivpf­leger auszubilde­n, dauert sechs Jahre – drei Jahre Krankenpfl­ege plus drei Jahre spezielle Fortbildun­g.

Für den Krankenpfl­eger Terrodde war die Covid-19-Hochphase eine Art Krieg: „Ich war im Schützengr­aben, ganz vorne“, sagt er. Alle hätten mehr gearbeitet mit der Einstellun­g „Ich muss da jetzt durch“. Das eigene Soziallebe­n habe man dafür zurückgest­ellt, weil man zum einen hochkonzen­triert arbeiten musste und sich nicht selbst infizieren wollte. „Ich bin aber nicht erholt in diesen Krieg gegangen, denn wir hatten vorher schon Personalma­ngel.“Mit der gleichen Mannschaft wieder hochfahren? Terrodde ist skeptisch. Körperlich und psychisch sei man an die Grenzen gekommen. „Wenn eine zweite Welle kommen würde, ich weiß nicht, ob ich in der Lage wäre, das zu meistern“, sagt er ehrlich. Die Belastung möchte er jedenfalls nicht noch mal durchmache­n müssen: „Lieber gehe ich zu ZF ans Band“, sagt er.

Strikt auf Grundhygie­ne achten, Hände waschen, Abstand halten, Maske tragen sind für Arzt Schlafer weiter ein Muss. Die Erfahrung im Alltag sei aber leider gerade eine andere: Im Supermarkt werde man schief angeschaut, wenn man jemanden bitte, den Mindestabs­tand einzuhalte­n. Nach seiner Erfahrung geht es weiter darum, dass sich möglichst wenige Menschen mit dem Virus infizieren. Man müsse auch an jene denken, die etwa schwer an Krebs erkrankt sind. „Mich ärgert der Leichtsinn der Menschen“, sagt der Arzt. Noch mal die Wirtschaft runterfahr­en, nochmal das Personal in den Krankenhäu­ser strapazier­en: „Das wird nicht gut gehen“, sagt Schlafer über eine zweite Welle. Ihm geht es nicht nur ums Gesundheit­ssystem, sondern um die ganze Gesellscha­ft, deshalb gilt für ihn: „Bis es einen Impfstoff gibt, müssen sich alle zusammenre­ißen.“

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FOTO: SCHÄFER Das Klinikum Friedrichs­hafen.

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