Experten halten Kliniken jetzt für gut vorbereitet
Gewerkschaft Verdi und Marburger Bund sehen Verbesserungen bei Organisation und Ausstattung
- Klinikpersonal im Ausnahmezustand: Einen Monat lang haben Ärzte und Pfleger während der Hochphase der Corona-Pandemie auf der Intensivstation des Klinikums Friedrichshafen um Menschenleben gekämpft. Nicht weil die Patienten einen Herzinfarkt hatten oder einen schweren Unfall, sondern weil sie schwer an Covid-19 erkrankt waren. Körperlich und psychisch brachte das Coronavirus sie und ihre Kollegen an die Grenze der Belastbarkeit, berichten Facharzt Dr. Otmar Schlafer (35) und Fachkrankenpfleger Heiner Terrodde (50) im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Eine zweite Corona-Welle möchten sie auf keinen Fall erleben.
„Wir hatten die Angst, dass wir solche Zustände wie in Frankreich oder Italien bekommen würden“, sagt Otmar Schlafer, Facharzt für Anästhesie, Stationsarzt auf der Intensivstation des Klinikums Friedrichshafen. Man habe ja die schrecklichen Bilder im Fernsehen gesehen. Seit Mitte März hatte man sich am Medizin-Campus-Bodensee (MCB), zu dem noch die Häuser in Weingarten und Tettnang gehören, auf die Pandemie vorbereitet: Die Intensivstation in Friedrichshafen wurde ausschließlich auf die Behandlung von Corona-Patienten ausgelegt, die Beatmungsplätze wurden in Tettnang und Friedrichshafen von 20 auf 39 aufgestockt. Ab Anfang April seien dann jeweils zwei, drei Patienten auf die Intensivstation gekommen. „Wenn das so weitergeht, dann gute Nacht“, dachte sich Schlafer damals. Zum Glück sei es dann anders gekommen.
In der Hochphase mussten im Klinikum einmal sieben Patienten gleichzeitig beatmet werden. Insgesamt wurden 50 Patienten wegen Covid-19 stationär behandelt, 14 auf der Intensivstation, zwölf wurden ins künstliche Koma versetzt und beatmet. Fünf Intensivpatienten sind laut Schlafer im Klinikum verstorben, zwei weitere nach der Verlegung nach Freiburg. Unter den Corona-Opfern waren laut Schlafer auch ältere Menschen über 90 aus Pflegeheimen, die starke Vorerkrankungen hatten. Aber eben auch solche, die der Mediziner rüstige Rentner nennt. Männer um die 70, die voll im Leben standen, sportlich aktiv waren, Skifahren gingen. Letzteres wurde wohl mindestens drei von ihnen zum Verhängnis. Sie haben sich laut dem Arzt beim Ausflug nach Ischgl angesteckt. „Männlich, übergewichtig, Bluthochdruck und Diabetes“– diese Faktoren macht Schlafer bei fast allen Verstorbenen aus.
Wie gefährlich das Virus ist, hat Heiner Terrodde, Fachkrankenpfleger für Intensivpflege und Anästhesie, täglich bei den Patienten erlebt. Darunter auch 40-Jährige, die von einem Moment auf den anderen intubiert werden mussten, die direkt auf den Bauch gedreht werden mussten, um die Lunge zu entlasten – so beschreibt der 50Jährige seine Arbeit. Und das mit wasserdichter Kleidung und der FFP3-Maske, „das ist Maloche“, sagt Terrodde und ergänzt: „Die Patienten waren brutal krank und anstrengend.“Und immer war die Angst dabei, sich selbst und vielleicht seine Familie anzustecken. Während der Hochphase herrschte dazu noch Mangel an Schutzkleidung, der das Personal zusätzlich ängstigte. FFP3-Masken seien limitiert worden, berichtet Schlafer: pro Schicht und pro Arzt eine Maske, so die Anweisung der Geschäftsleitung. Noch immer seien die Ressourcen knapp, der Zustand nicht optimal.
Eine Szene geht dem Krankenpfleger bis heute nicht aus dem Kopf: Ein Patient im Rollstuhl zieht sich den Beatmungsschlauch raus. Der Pfleger beobachtet das durchs Fenster. „Normal gehst du dann hin und machst den wieder drauf“. Wegen der Corona-Vorschriften musste sich Terrodde aber erst die komplette Schutzausrüstung anziehen, ehe er ins Zimmer konnte. Die Sauerstoffsättigung sei permanent gefallen, der Patient blau geworden. Schweißgebadet sei er schließlich ins Krankenzimmer gekommen und habe ihm den Schlauch wieder aufgesetzt. Die Sache ging gut, „aber das sind die Momente, da gehst du raus und denkst: ,War das ein Scheißtag’.“
Covid-19-Patienten brechen teilweise binnen 15 oder 30 Minuten massiv ein, was ihren Gesundheitszustand betrifft. „Das hatten wir bei vergleichbaren Krankheiten wie der Grippe oder der Lungenentzündung nicht“, sagt Facharzt Schlafer. Das Lehrbuch für Beatmungsmedizin habe man ohnehin zur Seite legen können, meint der Arzt. Eine lungenschonende Beatmung durchzuführen, sei oft nicht möglich gewesen. Solche Versuche endeten
(at) - Klinikärzte und -pfleger werden auch eine zweite Corona-Welle bewältigen. Darin sind sich Verantwortliche des Ärzteverbandes Marburger Bund und der Gewerkschaft Verdi einig. Ihre Hoffnung ist, dass man aus der ersten Hochphase der Pandemie gelernt hat.
Als extrem belastend beschreibt Jannik Widon von der Gewerkschaft Verdi die Arbeit der Klinikpfleger in Corona-Zeiten, gerade im Hinblick auf die Schutzkleidung: „Du schwitzt, du bekommst weniger Luft und hast einen extrem hohen Arbeitsaufwand.“Wenn viele Patienten reanimiert werden müssen oder versterben, sei das zudem psychisch extrem belastend. Fehlende Pandemiepläne und ständige Änderungen von Dienstplänen hätten die Arbeit erschwert, ebenso wie der zeitweilige Mangel an Schutzkleidung. Verdi vertritt im Bezirk Ulm-Oberschwaben rund 20 000 Klinik-Beschäftigte. Die Pfleger hätten aber ein hohes Berufsethos, oft in krassen Rückschlägen. Hilflos fühlte sich Schlafer dann. „Wir haben keine adäquate Behandlungsmöglichkeit“, sagt der Arzt über Covid-19, „wir können nur die Symptome behandeln.“Es gebe eben keine medikamentöse Therapie und die sei auch nicht in Sicht. Schwierig war laut Schlafer
sagt Widon. Sie würden sich auch bei einer zweiten Welle der Aufgabe stellen. „Wenn es drauf ankommt, ticken die Pfleger wie ein Uhrwerk“, meint Widon, das habe sich auch in der CoronaHochphase gezeigt. Es gebe aber einen großen Unterschied zwischen jungen Pflegern, die eher die Herausforderungen in der neuen Aufgabe sehen. Bei den erfahreneren Pflegern gebe es eher die Angst vor der eigenen Ansteckung. Jene, die der Risikogruppe angehören, weigerten sich oft, auf einer Covid-19-Station zu arbeiten. Über die Betriebsräte habe man diesen Kollegen geholfen.
„Die Einschätzung ist jetzt, dass man besser vorbereitet ist“, sagt Widon im Hinblick auf eine eventuelle zweite Welle. Sowohl was die Organisation der Abläufe, als auch was die Schutzkleidung betreffe. Aber: „Wie ein Tritt in den Hintern“habe es sich für Pfleger angefühlt, dass die Politik die zunächst angekündigte Corona-Prämie oft das Verhältnis zu den Angehörigen der Covid-19Patienten. Die sich zum einen oft in die Behandlung einmischen wollten. „Jeder hatte plötzlich einen Arzt in der Familie, der uns die Therapie vorgeben wollte“, sagt Schlafer. Zum anderen hätten die Angehörigen bei der Betreuung der Kranken
von 1500 Euro für das Pflegepersonal letztlich nicht umgesetzt habe. Das führt zu großem Unmut, hat er beobachtet.
„Die erste Corona-Welle war nicht nur eine medizinische und logistische Herausforderung bisher unbekannten Ausmaßes, sondern auch eine Belastungsprobe für die einzelnen Ärztinnen und Ärzte“, sagt Dr. Frank J. Reuther, Landesvorsitzender des Marburger Bundes Baden-Württemberg. Was die Schutzausrüstung betrifft, fordere der Marburger Bund Baden-Württemberg, dass zukünftig eine krisenfeste Beschaffung gewährleistet werden müsse, am ehesten durch die Eigenproduktion in Europa. In Deutschland sei es bis dato gelungen, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, betont Reuther. Aus der ersten Welle hätten alle Beteiligten gelernt, insbesondere was organisatorische und logistische Fragen betreffe. Die Kliniken bemühten sich, ihre Bevorratung zu auch sehr gefehlt. Gerade wenn Patienten aus dem Koma aufwachen, helfe es, „wenn jemand die Hand hält und einfach da ist“, sagt Terrodde. Wegen der Corona-Vorschriften waren aber keine Besuche möglich, Ärzte und Pfleger konnten nur telefonisch Auskunft geben. „Besonders dramatisch“, sagt Schlafer, war es, wenn die Angehörigen den Menschen beim Sterbeprozess nicht begleiten konnten. Das sei das Belastendste gewesen.
Das Ansehen der Krankenpfleger ist in der Krise gestiegen: „Ohne die Pflege können wir gar nichts machen“, sagt auch Facharzt Schlafer. Die vertikale Hierarchie – oben Arzt, unten die Pflege – sei aus den Köpfen der Ärzte verschwunden. Um so mehr ärgert den Intensivmediziner, dass über den Stellenwert der Intensivpflege in der Politik nicht mehr gesprochen werde. Was die Leute leisten, könne man sich nicht vorstellen. „Sie haben in jeder Schicht mit Fäkalien fremder Menschen zu tun, müssen sich mit Beatmung auskennen, mit Dialyse und mit den Medikamenten.“
Der Respekt vor dem Virus sei auch bei Ärzten groß, sagt Schlafer. Das Versterben an Covid-19 sei das eine, das Überleben das andere. Man habe viele Patienten, die langzeitbeatmet worden seien, zwar gut hinbekommen. Es sei aber noch nicht absehbar, wie sich das auf die optimieren und hätten auch begonnen, selbst Desinfektionsmittel herzustellen. Über ein zentrales Register könnten verfügbare Intensivbetten eingesehen werden. „Diese Erfahrungen werden den Ärztinnen und Ärzten dabei helfen, alles Menschenmögliche zu tun, um eine zweite Corona-Welle zu bewältigen“, sagt Reuther.
Auch am Klinikum Friedrichshafen sieht man sich für eine zweite Welle besser vorbereitet: „Der Medizin-Campus-Bodensee hat sich in zahlreichen Sitzungen bis jetzt zum Glück theoretisch mit den möglichen Erfordernissen einer CoronaPandemie beschäftigt und diese verschriftlicht“, sagt Geschäftsführerin Margita Geiger. Es gebe eine Art Kochbuch, „das wir aufschlagen können und in sehr kurzer Zeit alles – Infrastruktur, Organisation, Prozesse – wieder auf den Stand von April 2020 bringen könnten.“Außerdem habe man einen ordentlichen Vorrat an Schutzausrüstung angeschafft. nächsten Lebensjahre der Menschen auswirke. Wenn er sich die Bilder der Computertomografie anschaut, ist Schlafer nicht sehr optimistisch: „Wir haben selten Lungen gesehen, die auch nach so vielen Wochen Behandlung so massiv geschädigt waren.“Es sei unklar, ob sich die Organe wieder regenerieren können. Auch Patienten, die nicht beatmet wurden, seien nach Monaten noch nicht wieder fit: „Eine Etage Treppensteigen, dann geht nichts mehr“, berichtet Schlafer.
Mittlerweile hat das Klinikum eine eigene Isolierstation eingerichtet, auf der alle Corona-Patienten behandelt werden, egal wie schwer der Krankheitsverlauf ist. Aus Personalmangel werde auch diese von der „normalen“Intensivstation mitbetreut, sagt Schlafer. Nur ein Patient wurde in den vergangenen Tagen hier beatmet. Momentan könnten in der Isolierstation vier Patienten gleichzeitig beatmet werden. Sollte eine zweite Welle kommen, könnte man aber auf die angeschafften 39 Beatmungsgeräte zurückgreifen. Dann müsste eben der normale Betrieb wieder heruntergefahren werden. Darunter würden aber andere Patienten wieder leiden, „vor allem die Tumor- und Herzpatienten“, sagt Schlafer. Innerhalb von drei, vier Tagen greife der Notfallplan. Die Hardware sei also da, „aber am Personal wird es scheitern“, warnt Schlafer. Es gebe ja auch noch andere Patienten. Speziell das Pflegepersonal fehle, „das können wir uns nicht schnitzen“. Einen Intensivpfleger auszubilden, dauert sechs Jahre – drei Jahre Krankenpflege plus drei Jahre spezielle Fortbildung.
Für den Krankenpfleger Terrodde war die Covid-19-Hochphase eine Art Krieg: „Ich war im Schützengraben, ganz vorne“, sagt er. Alle hätten mehr gearbeitet mit der Einstellung „Ich muss da jetzt durch“. Das eigene Sozialleben habe man dafür zurückgestellt, weil man zum einen hochkonzentriert arbeiten musste und sich nicht selbst infizieren wollte. „Ich bin aber nicht erholt in diesen Krieg gegangen, denn wir hatten vorher schon Personalmangel.“Mit der gleichen Mannschaft wieder hochfahren? Terrodde ist skeptisch. Körperlich und psychisch sei man an die Grenzen gekommen. „Wenn eine zweite Welle kommen würde, ich weiß nicht, ob ich in der Lage wäre, das zu meistern“, sagt er ehrlich. Die Belastung möchte er jedenfalls nicht noch mal durchmachen müssen: „Lieber gehe ich zu ZF ans Band“, sagt er.
Strikt auf Grundhygiene achten, Hände waschen, Abstand halten, Maske tragen sind für Arzt Schlafer weiter ein Muss. Die Erfahrung im Alltag sei aber leider gerade eine andere: Im Supermarkt werde man schief angeschaut, wenn man jemanden bitte, den Mindestabstand einzuhalten. Nach seiner Erfahrung geht es weiter darum, dass sich möglichst wenige Menschen mit dem Virus infizieren. Man müsse auch an jene denken, die etwa schwer an Krebs erkrankt sind. „Mich ärgert der Leichtsinn der Menschen“, sagt der Arzt. Noch mal die Wirtschaft runterfahren, nochmal das Personal in den Krankenhäuser strapazieren: „Das wird nicht gut gehen“, sagt Schlafer über eine zweite Welle. Ihm geht es nicht nur ums Gesundheitssystem, sondern um die ganze Gesellschaft, deshalb gilt für ihn: „Bis es einen Impfstoff gibt, müssen sich alle zusammenreißen.“