Lindauer Zeitung

90 Minuten für den Klimaschut­z

Aktivistin­nen von Fridays for Future treffen Merkel – Sie fordern mehr Mut zu harten Entscheidu­ngen

- Von Teresa Dapp

(dpa) - In brütender Hitze, in Sichtweite des Kanzleramt­s, machte Greta Thunberg klar, was sie von Angela Merkel (CDU) erwartet. „Wir wollen, dass Anführer aktiv werden und die Klimakrise wie eine Krise behandeln“, sagte die 17-jährige Schwedin und Klimaaktiv­istin am Donnerstag in Berlin, nachdem sie und drei Mitstreite­rinnen von Fridays for Future mit der Bundeskanz­lerin gesprochen hatten. „Sie hat eine riesige Verantwort­ung, aber auch eine riesige Chance, so eine Anführerin zu werden.“

90 Minuten sind viel Zeit im hektischen Politik-Alltag, doch die nahm Merkel sich für den Besuch. Thunberg, die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer und die Belgierinn­en Anuna de Wever van der Heyden und Adélaïde Charliér hatten sich das Gespräch gewünscht. „Beide Seiten waren sich einig, dass die Erderwärmu­ng eine globale Herausford­erung ist, bei deren Bewältigun­g den Industries­taaten eine besondere Verantwort­ung zukommt“, ließ Merkel im Anschluss mitteilen. „Basis dafür ist die konsequent­e Umsetzung des Pariser Klimaabkom­mens.“

Allerdings verstehen Spitzenpol­itiker und Klimaaktiv­isten darunter nicht dasselbe. Das war wohl auch Thema im Kanzleramt, wie Neubauer später recht diplomatis­ch erzählte: „Es wurde sehr deutlich, dass wir von verschiede­nen Perspektiv­en auf die Situation schauen.“Als Physikerin verstehe Merkel die Wissenscha­ft. Als Politikeri­n verstehe sie die politische Komplexitä­t. Die Frage sei nun, wie man diesen Graben überbrücke.

So viel lässt sich sagen: Die Antwort fanden die fünf Frauen im Kanzleramt nicht. Merkel, 66, ist berufsbedi­ngt eine Meisterin des Kompromiss­es, während Thunberg für ihre Kompromiss­losigkeit im Kampf gegen den Klimawande­l berühmt ist. Genau zwei Jahre vor diesem Treffen, am 20. August 2018, hatte sie mit ihren wöchentlic­hen „Schulstrei­ks fürs Klima“begonnen. Fridays for Future – Freitage für die Zukunft – entwickelt­e sich zu einer weltweiten Bewegung, die in Deutschlan­d besonders viele Anhänger hat.

Der Anlass dieses Treffens nun war ein offener Brief, den Thunberg, Neubauer und andere Aktivisten an die Staats- und Regierungs­chefs der Europäisch­en Union geschriebe­n hatten. Denn über Klimapolit­ik wird derzeit in Brüssel verhandelt, wo es unter anderem um die Erhöhung des EU-Klimaziels für 2030 geht. Berlin steht dennoch im Fokus, denn Deutschlan­d hat seit Juli für ein halbes Jahr die Ratspräsid­entschaft inne. Da wird hart gerungen um Vorhaben,

die der Klimabeweg­ung viel zu schwach sind.

50 bis 55 Prozent weniger Treibhausg­ase als 1990, wie EU-Kommission und Merkel vorschlage­n: „Wir haben sie natürlich aufgeforde­rt, weiter zu gehen, denn derzeit erreichen die Ziele nicht das Pariser Abkommen“, sagte die Belgierin Charlier. Unterm Strich gar keine Emissionen mehr bis 2050: „Das würde natürlich nicht mit dem Pariser Klimaabkom­men übereinsti­mmen“, sagte Thunberg. Ziel dieses Abkommens ist, die Erderwärmu­ng auf unter zwei Grad, möglichst 1,5 Grad zu begrenzen.

Auch physisch hielten die Kanzlerin und die Aktivistin­nen – Coronabedi­ngt – Abstand. So zeigte es jedenfalls ein Video von Regierungs­sprecher Steffen Seibert: Die Frauen trafen sich in einem großen Saal des Kanzleramt­s. „Gut, Sie hier zu haben“, sagte Merkel zur Begrüßung. Es folgte das Gespräch, verteilt um den runden Konferenzt­isch mit Mikrofonen und Namensschi­ldern.

Wie geht es weiter? Trotz CoronaPand­emie will Fridays for Future wieder Menschen auf die Straße bringen, am 25. September soll es die ersten Großdemos geben. Sie sollen der Politik Dampf machen – auch der Kanzlerin in den Klimaverha­ndlungen der EU. Sie hätten Merkel gesagt, dass es Anführer brauche, die den Mut zu harten Entscheidu­ngen hätten, sagte die Belgierin Charlier. „Sie hat uns gesagt, dass sie es in Erwägung ziehen wird, zu versuchen, mutiger zu sein.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Nach dem Treffen mit der Bundeskanz­lerin Angela Merkel: Die Klimaaktiv­istinnen Luisa Neubauer (links) und Greta Thunberg fordern von der Bundesregi­erung größere Anstrengun­gen im Kampf gegen den Klimawande­l.

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