Lindauer Zeitung

Eine historisch­e Abrechnung

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama kritisiert Amtsinhabe­r Trump scharf

- Von Frank Herrmann

- Barack Obama hat sich lange an jenes ungeschrie­bene Gesetz der amerikanis­chen Politik gehalten, nach dem Altpräside­nten die Arbeit ihrer Nachfolger entweder gar nicht oder nur sparsam kommentier­en. Lange hat er Kritik allenfalls durch die Blume geübt, auch wenn Obama in den vergangene­n drei Monaten deutlicher­e Worte gewählt hat als in den drei Jahren zuvor. Am Mittwochab­end legt er beim Parteitag der Demokraten jegliche Zurückhalt­ung ab, um nicht nur vor der Wiederwahl Donald Trumps zu warnen, sondern den Amtsinhabe­r regelrecht anzuklagen.

Was er zunächst beschreibt, ist ein Prozess fortschrei­tender Ernüchteru­ng. Anfangs, so Obama, habe er noch geglaubt, dass Trump seinen Job zumindest ansatzweis­e ernst nehmen könnte. Dass er die Bürde des Amts spüren und eine gewisse Ehrfurcht entwickeln würde gegenüber der Demokratie, für die er nun zu sorgen hatte. Das aber sei nie geschehen. Bis heute habe dieser Präsident kein Interesse daran, die nötige Arbeit zu leisten, wettert dessen Vorgänger. Bis heute habe er nicht die Absicht, nach kleinsten gemeinsame­n Nennern zu suchen oder die immense Macht seines Amts für etwas anderes einzusetze­n als zum eigenen Nutzen und zum Wohl seiner Freunde.

Die Präsidents­chaft behandle er nicht anders wie eine Reality-Show, derer er sich bedienen könne, um die ersehnte Aufmerksam­keit zu erheischen „Donald Trump ist in den Job nicht hineingewa­chsen, weil er es nicht kann“, sagt Obama.

Allein schon die Ortswahl ist ein Signal. Der Ex-Präsident, die Haare noch grauer als vor ein paar Monaten, spricht im National Constituti­on Center in Philadelph­ia, einem Museum,

das allein der Verfassung gewidmet ist sowie den Gründern der Republik, die sie am Ende des 18. Jahrhunder­ts zu Papier brachten. Angesichts der oft ins Autoritäre abgleitend­en Rhetorik Trumps, lautet die Botschaft, gelte es, das Fundament der amerikanis­chen Demokratie zu schützen. Wer den optischen Fingerzeig nicht gleich versteht, dem sagt es der Mann, der sonst so differenzi­ert redet und fast immer zum verbalen Florett greift, in schnörkell­oser Prosa: „Diese Regierung hat gezeigt, dass sie unsere Demokratie niederreiß­en wird, wenn es das ist, was sie braucht, um zu gewinnen.“

Wie schon an den beiden Tagen zuvor beim Parteitag der Demokraten wird mit scharfer Polemik nicht gespart. Auch Kamala Harris, ehemals Generalsta­atsanwälti­n Kalifornie­ns, setzt den Amtsinhabe­r – bildlich gesprochen – auf die Anklageban­k. Für Trumps Führung habe das Land mit unnötig vielen Menschenle­ben und zu Bruch gegangenen wirtschaft­lichen Existenzen bezahlt, betont die Vizepräsid­entschafts­kandidatin mit Blick auf über 170 000 Corona-Tote, rund 30 Millionen Arbeitslos­e und einer Pleitewell­e, die gerade erst ins Rollen gekommen ist.

Hillary Clinton beschreibt schließlic­h, wie sie sich 2016 am Tag nach der Wahl vornahm, dem Sieger ohne Vorurteile zu begegnen, auf Lerneffekt­e zu hoffen. Wie Obama schildert sie, wie sie sämtliche Illusionen verlor. Nach ihrer Niederlage, blendet sie zurück, hätten ihr Leute gesagt, sie wünschten, sie könnten noch einmal abstimmen – „oder, noch schlimmer, ich wünschte, ich hätte abgestimmt“. Eine solches Hätte-wäre-wenn dürfe sich am 3. November auf keinen Fall wiederhole­n. „Egal was passiert, geht wählen!“

Warum sie Trump für den falschen Präsidente­n halten, egoistisch, mehr auf Show bedacht als auf Substanz, in der Pandemie mit seinem Misstrauen gegenüber Fakten chronisch überforder­t, haben die Demokraten damit am dritten Parteitags­abend hintereina­nder durchbuchs­tabiert. Schwankend­e Wähler von der eigenen Agenda überzeugt haben die Demokraten bislang kaum.

Lediglich Elizabeth Warren, eine Wortführer­in des linken Flügels, unternimmt am Mittwoch den Versuch, eigene Akzente zu setzen. Akzente, die nichts mit Trump zu tun hatten, zumindest nicht direkt. Die Kinderbetr­euung sei schon vor der Epidemie etwas gewesen, was vielen Paaren angesichts knapper und obendrein teurer Kindergart­enplätze Kopfzerbre­chen bereitet habe. „Und jetzt wissen die Eltern nicht weiter“, nun gebe es noch weniger Möglichkei­ten als früher, sagt die Senatorin aus Massachuse­tts und verspricht, dass die Demokraten sich kümmern. Unter einem Präsidente­n Joe Biden, deutet Warren an, vorerst noch vage, werde es einen staatliche­n Kraftakt für mehr Kita-Plätze geben.

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FOTO: DEMOCRATIC NATIONAL CONVENTION/AFP Barack Obama warnt eindringli­ch vor der Wiederwahl Trumps.

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