Eine historische Abrechnung
Der ehemalige US-Präsident Barack Obama kritisiert Amtsinhaber Trump scharf
- Barack Obama hat sich lange an jenes ungeschriebene Gesetz der amerikanischen Politik gehalten, nach dem Altpräsidenten die Arbeit ihrer Nachfolger entweder gar nicht oder nur sparsam kommentieren. Lange hat er Kritik allenfalls durch die Blume geübt, auch wenn Obama in den vergangenen drei Monaten deutlichere Worte gewählt hat als in den drei Jahren zuvor. Am Mittwochabend legt er beim Parteitag der Demokraten jegliche Zurückhaltung ab, um nicht nur vor der Wiederwahl Donald Trumps zu warnen, sondern den Amtsinhaber regelrecht anzuklagen.
Was er zunächst beschreibt, ist ein Prozess fortschreitender Ernüchterung. Anfangs, so Obama, habe er noch geglaubt, dass Trump seinen Job zumindest ansatzweise ernst nehmen könnte. Dass er die Bürde des Amts spüren und eine gewisse Ehrfurcht entwickeln würde gegenüber der Demokratie, für die er nun zu sorgen hatte. Das aber sei nie geschehen. Bis heute habe dieser Präsident kein Interesse daran, die nötige Arbeit zu leisten, wettert dessen Vorgänger. Bis heute habe er nicht die Absicht, nach kleinsten gemeinsamen Nennern zu suchen oder die immense Macht seines Amts für etwas anderes einzusetzen als zum eigenen Nutzen und zum Wohl seiner Freunde.
Die Präsidentschaft behandle er nicht anders wie eine Reality-Show, derer er sich bedienen könne, um die ersehnte Aufmerksamkeit zu erheischen „Donald Trump ist in den Job nicht hineingewachsen, weil er es nicht kann“, sagt Obama.
Allein schon die Ortswahl ist ein Signal. Der Ex-Präsident, die Haare noch grauer als vor ein paar Monaten, spricht im National Constitution Center in Philadelphia, einem Museum,
das allein der Verfassung gewidmet ist sowie den Gründern der Republik, die sie am Ende des 18. Jahrhunderts zu Papier brachten. Angesichts der oft ins Autoritäre abgleitenden Rhetorik Trumps, lautet die Botschaft, gelte es, das Fundament der amerikanischen Demokratie zu schützen. Wer den optischen Fingerzeig nicht gleich versteht, dem sagt es der Mann, der sonst so differenziert redet und fast immer zum verbalen Florett greift, in schnörkelloser Prosa: „Diese Regierung hat gezeigt, dass sie unsere Demokratie niederreißen wird, wenn es das ist, was sie braucht, um zu gewinnen.“
Wie schon an den beiden Tagen zuvor beim Parteitag der Demokraten wird mit scharfer Polemik nicht gespart. Auch Kamala Harris, ehemals Generalstaatsanwältin Kaliforniens, setzt den Amtsinhaber – bildlich gesprochen – auf die Anklagebank. Für Trumps Führung habe das Land mit unnötig vielen Menschenleben und zu Bruch gegangenen wirtschaftlichen Existenzen bezahlt, betont die Vizepräsidentschaftskandidatin mit Blick auf über 170 000 Corona-Tote, rund 30 Millionen Arbeitslose und einer Pleitewelle, die gerade erst ins Rollen gekommen ist.
Hillary Clinton beschreibt schließlich, wie sie sich 2016 am Tag nach der Wahl vornahm, dem Sieger ohne Vorurteile zu begegnen, auf Lerneffekte zu hoffen. Wie Obama schildert sie, wie sie sämtliche Illusionen verlor. Nach ihrer Niederlage, blendet sie zurück, hätten ihr Leute gesagt, sie wünschten, sie könnten noch einmal abstimmen – „oder, noch schlimmer, ich wünschte, ich hätte abgestimmt“. Eine solches Hätte-wäre-wenn dürfe sich am 3. November auf keinen Fall wiederholen. „Egal was passiert, geht wählen!“
Warum sie Trump für den falschen Präsidenten halten, egoistisch, mehr auf Show bedacht als auf Substanz, in der Pandemie mit seinem Misstrauen gegenüber Fakten chronisch überfordert, haben die Demokraten damit am dritten Parteitagsabend hintereinander durchbuchstabiert. Schwankende Wähler von der eigenen Agenda überzeugt haben die Demokraten bislang kaum.
Lediglich Elizabeth Warren, eine Wortführerin des linken Flügels, unternimmt am Mittwoch den Versuch, eigene Akzente zu setzen. Akzente, die nichts mit Trump zu tun hatten, zumindest nicht direkt. Die Kinderbetreuung sei schon vor der Epidemie etwas gewesen, was vielen Paaren angesichts knapper und obendrein teurer Kindergartenplätze Kopfzerbrechen bereitet habe. „Und jetzt wissen die Eltern nicht weiter“, nun gebe es noch weniger Möglichkeiten als früher, sagt die Senatorin aus Massachusetts und verspricht, dass die Demokraten sich kümmern. Unter einem Präsidenten Joe Biden, deutet Warren an, vorerst noch vage, werde es einen staatlichen Kraftakt für mehr Kita-Plätze geben.