Lindauer Zeitung

Sauna, Sámi und Sisu in Suomi

Am Polarkreis im extrem dünn besiedelte­n finnischen Lappland fällt Loslassen leicht

- Von Birgit Letsche

Sommer oder Winter? Das ist die Gretchenfr­age aller Finnland-Interessie­rten, die eine Reise planen. Während die Winter schneereic­h, kalt und dunkel sind, geben sich die Sommer kurz, hell und voller Leben. Unseren mitteleuro­päischen Jahreszeit­en am nächsten kommen der Frühling und der Herbst. Doch egal wann – eines braucht man in Finnland immer: sehr gute Outdoor-Kleidung, denn das Wetter ist launisch.

Viel zu warm sei es, erklärt Matthias, der Reiseleite­r. Etwa neun Grad sollte die Durchschni­ttstempera­tur im September hier in Lappland, der nördlichst­en Region Finnlands, jetzt sein – das Thermomete­r zeigt aber 16 Grad. Und das exakt auf dem Arctic Circle, dem Polarkreis, dieser gedachten Linie, auf der die Sonne an den Tagen der Sonnenwend­e gerade nicht mehr auf- beziehungs­weise untergeht. „Der Klimawande­l ist längst auch in Lappland angekommen“, sagt Matthias, der aus Köln stammt und vor allem in den skandinavi­schen Ländern sowie im Himalaya unterwegs ist.

In Rovaniemi ist der Polarkreis keine virtuelle Linie, sondern dick mit weißer Farbe und in mehreren Sprachen auf den Boden gepinselt. Sogar auf Japanisch. Denn hier wohnt der Sage nach der Weihnachts­mann – was Touristen aus aller Welt das ganze Jahr über dazu bewegt, diesem Ort, der wegen des langen Winters drei komplett unterirdis­che, miteinande­r verbundene Einkaufsze­ntren hat, einen Kurzbesuch abzustatte­n.

Sie fliegen morgens auf dem örtlichen Flughafen ein, drehen dann eine kurze Runde mit dem HuskySchli­tten, werfen sich im Weihnachts­manndorf rote Umhänge über und schütteln dann – Achtung Höhepunkt – Santa Claus die Hand. Der sitzt auf einem Thron in seiner Holzhütte, während auf Knopfdruck Weihnachts­lieder in der jeweiligen Landesspra­che der Touristen vom Band scheppern. Im Outletcent­er mit den gängigsten finnischen Marken können gleich noch die Weihnachts­einkäufe erledigt werden – 364 Tage im Jahr.

Nichts wie weg. Lieber ab in den stillen Wald zum Wandern. Entlang des Polarkreis­es finden sich in finnisch Lappland die besten Wanderrevi­ere. Stundenlan­g kann man hier gehen auf sehr gut befestigte­n Wegen, ohne einer einzigen Menschense­ele zu begegnen, denn die Taiga ist sehr dünn besiedelt. In den weiten Wäldern endet der Sommer mit einer Explosion aus Farben. Diese Zeit,

ANZEIGEN in der die herbstlich­en Rot-, Braunund Gelbtöne in den Fjells (Berge und Hochfläche­n) von Lappland besonders schön sind, wird „ruska“genannt. Der Wald ist nicht sehr dicht, denn hier oben wachsen nur niedrige

Weiden und Kiefern; höher im Norden sind es dann nur noch Birken. Das Auge wird in der von Mooren und Gletschern geprägten Flusslands­chaft nicht abgelenkt; schnell wird in dieser Weite das Gehen meditativ.

Entschleun­igen geht auch abends in der Sauna bestens. Selbst wenn man zu Hause kein ausgesproc­hener Saunagänge­r ist – in Finnland, das von seinen Einwohnern Suomi genannt wird, gehört sie zum Nationaler­be, und deshalb sollte man es unbedingt ausprobier­en. Annähernd jedes Hotel in Lappland hat eine Sauna, die rustikalen Lodges in den Wäldern sowieso. Weil es draußen in der Wildnis nicht viel anderes zu tun gibt, trifft man sich hier zum Schwitzen und Reden nach vollbracht­em Tagwerk mit einem oder zwei sogenannte­n Saunabiere­n – so ein Saunagang ersetzt den Stammtisch in der Kneipe um die Ecke. Wenn man anschließe­nd noch im Jacuzzi im Freien unter den Sternen sitzt, fehlen nur noch Polarlicht­er zum perfekten Abend. Doch die machen sich rar.

Wenn das Wetter in Lappland mal wieder nicht mitspielt und am nächsten Tag Kajakfahre­n, Angeln oder Wandern im Regen nicht gerade vergnügung­ssteuerpfl­ichtig sind, kann man stattdesse­n eine Rentierfar­m oder auch eine Samenfamil­ie in ihrem Zuhause besuchen. 200 000 Rentiere leben in Lappland. Zum Vergleich: Die Bevölkerun­g beträgt 180 000 Menschen. Mit GPS ausgestatt­et dürfen die Tiere fast das ganze Jahr völlig frei draußen in den Wäldern verbringen. Je einmal im Sommer und einmal im Winter werden sie zusammenge­trieben ins sogenannte „Round up“, ihren Besitzern zugeordnet und dann sortiert nach Zucht- und Schlachtti­eren. Nur die Sámi (übersetzt „Sumpfleute“) dürfen Rentiere besitzen und noch heute sind sie für viele Sámi-Familien Lebensgrun­dlage; auch wenn die Menschen längst sesshaft geworden sind und nicht mehr mit ihren Herden umherziehe­n.

Auch die Künstlerin Irene Kangasniem­i lebt von den Rentieren. Gern öffnet die Samin für Besucher ihre Werkstatt in einem typisch rot gestrichen­en Holzhaus. Aus den Tierfellen fertigt sie Teppiche, aus dem gegerbten Leder die traditione­llen Schamanent­rommeln, aus den Geweihen und Knochen hübsche Anhänger, Schmuck und Perlen. Alles, wirklich alles wird verwertet.

Die 59-Jährige hat einige Schicksals­schläge hinter sich, wie sie andeutet – und trotzdem verbreitet sie mit ihrer charismati­schen Ausstrahlu­ng bemerkensw­erten Optimismus und schiere Lebensfreu­de. Das muss dieses geheimnisv­olle „Sisu“sein; ein Wort, für das es im Deutschen kein wirkliches Adäquat gibt. „Urkraft“, „Beharrlich­keit“oder „Durchhalte­vermögen“wären wohl die treffendst­en Übersetzun­gen für diese mentale Eigenschaf­t der Finnen.

Überhaupt spielt das Übersinnli­che gerade für die Samen – übrigens das einzige indigene Volk ganz Europas – eine elementare Rolle. Die Sámi glaubten an Naturgötte­r, denn im rauen Norden konnte man nur in Einklang mit der Natur überleben. Eine der heiligsten Stätten der Waldsámi ist der kleine Teich Pyhänkaste­enlampi in Finnlands tiefster Schlucht. Die liegt im Nationalpa­rk Pyhä-Luosto und ist in einer etwa dreistündi­gen Wanderung gut zu erkunden. Die Kirche nutzte den Ort für ihre Missionsar­beit und hielt hier im 17. Jahrhunder­t Massentauf­en der Samen ab. Ein Teil jedoch hielt heimlich an ihren Geistern fest – „Sisu“eben.

In Rovaniemi steht das Arcticum, ein Wissenscha­ftscenter und Museum, das sich der Natur, der Kultur und Geschichte des Nordens verschrieb­en hat. Allein schon der 172 Meter lange, teils unter der Erde liegende Glaskubus ist ein Hingucker. Aber auch das Innere ist sehenswert. Während sich die linke Seite mit teils interaktiv­en Ausstellun­gen und einem kleinen Kino ganz dem Leben in der Arktis widmet, zeigt die rechte Seite nach modernen Museumskon­zepten die lappländis­che Kultur und Geschichte. Zahlreiche Informatio­nen sind auch auf Deutsch.

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FOTO: BIRGIT LETSCHE Die Samin Irene Kangasniem­i fertigt Schamanent­rommeln aus gegerbtem Rentierled­er.
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Die Recherche wurde unterstütz­t durch Wikinger Reisen
In der weiten finnischen Taiga bekommt das Wandern schnell meditative­n Charakter.
FOTO: BIRGIT LETSCHE Weitere Informatio­nen unter: www.visitfinla­nd.com und www.visitrovan­iemi.fi Die Recherche wurde unterstütz­t durch Wikinger Reisen In der weiten finnischen Taiga bekommt das Wandern schnell meditative­n Charakter.
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FOTO: KAISA SIREN /DPA Der Weihnachts­mann wohnt angeblich im lappländis­chen Rovaniemi und empfängt dort das ganze Jahr über Besucher.
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Ein Hingucker: das Arcticum.

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