Serie: „Der CoronaEffekt – Fokus Pflege“
- „Wir sind schon mit einem Holzbein ins Rennen gegen das Virus gegangen“, sagt Michael Meier. Der 47-jährige Familienvater ist Krankenpfleger in der Asklepios-Klinik in Lindau. Seit Anfang der 1990er-Jahre arbeitet Meier in diesem Beruf, so eine anstrengende Zeit wie jetzt hat er aber noch nicht erlebt. Er redet mit der LZ über diese Zeit, um den Menschen bewusst zu machen, welcher Kraftakt die Krankenpflege ist und dass etwas getan werden muss für diese Berufsgruppe – denn Pflege und Gesundheit betrifft jeden.
Doch an den Anfang: Mitte März tobt das Virus bereits unbarmherzig in Norditalien. „Wir hatten dorthin Kontakte und haben aus erster Hand erfahren, wie schlimm es ist“, erzählt Meier. Daher stellte die Klinik Lindau schon vor den schnell steigenden Infektionszahlen auf einen Notbetrieb um.
„Wir haben Beatmungsgeräte aufgerüstet,
Schleusen eingerichtet und Vorräte an Medizin und Schutzkleidung angeschafft.“In dieser Zeit habe das Pflege-Team der Intensivstation sein Lachen verloren, sagt Meier, „wir wussten, was auf uns zukommt.“
Am 16. März wird ein 55-Jähriger als erster Corona-Patient der Lindauer Klinik eingeliefert. „Schon kurz danach musste er beatmet werden“, erzählt Meier. Drei Stunden nach dessen Ankunft kam schon der nächste Corona-Kranke. Über die Wochen habe sich die Belegung dann auf rund vier Intensiv-Corona-Patienten eingependelt. „Du hast da permanent rohe Eier liegen. Patienten, die auf alles extrem sensibel reagieren.“Kein Vergleich zum normalen Betrieb auf der Intensivstation. Die Fachkräfte lernten, mit der Situation umzugehen, wobei die Anspannung immer geblieben ist. „Die Angst vor Infektion war und ist ein ständiger Begleiter.“
Zehn Wochen „Vollgas“, fasst Meier die extreme Zeit in der Klinik zusammen, dann kamen immer weniger Kranke. Zwar gab es noch Corona-Patienten in der Klinik, jedoch keine Intensivpatienten. „Dann auf einmal war keiner mehr da.“
Es habe Phasen gegeben, da wurden die Schutzkleidung und die Medikamente knapp, das Personal auf der Intensivstation sei extrem beansprucht worden. „Das war alles knapper als man denkt, das vergessen wir nicht“, sagt Meier, „es ist ein marodes System, das den gelungenen Kampf gegen Corona als schöne Schminke trägt.“
Michael Meier erzählt von Kollegen, die in dieser Zeit weit über ihre Belastungsgrenze gegangen sind. „Keiner ist da wirklich unbeschadet rausgegangen.“Kollegen fühlen sich immer noch beengt, wenn sie eine FFP-Maske tragen, die Erinnerungen an die Behandlung in voller Schutzausrüstung wiegen schwer. Ganz persönlich findet Meier das Gefühl schlimm, sich während der heißen Phase nicht gehört und verstanden gefühlt zu haben. „Wir hatten eine kriegsähnliche Situation auf der Intensivstation“, sagt der zweifache Vater. Parallel dazu sei er morgens auf leeren Straßen zu diesem Krieg, nachmittags auf leeren Straßen nach Hause gefahren. „Da fühlt man sich einfach wie ein Schatten. Die Pflege steht nicht im Fokus. Für mich hat das diese Einsamkeit auf Straße verdeutlicht.“
Doch warum war die Arbeit mit Corona so viel schwerer, als mit anderen Intensivpatienten? „Es ist das Krankheitsbild. Erst wird die Lunge befallen, dann treten Probleme an ganz unterschiedlichen Stellen auf “, erklärt Meier. Die Fachpfleger hätten viele Medikamente in deutlich höheren Dosen verabreichen müssen als
Michael Meier über den Mangel an Schutzkleidung und Medikamenten bei anderen schweren Krankheitsverläufen dieser Art. Außerdem sei die Beatmung bei Corona-Patienten um ein Vielfaches aufwendiger als normalerweise.
„Ich denke, die Angst, selbst zu erkranken, ist bei uns, die es hautnah erlebt haben, deutlich höher.“Er und seine Kollegen wundern sich über volle Badestrände und Innenstädte, er will den Menschen aber auch keinen Vorwurf machen: „Die haben nicht den selben Einblick wie wir.“Meier zieht jedoch auch vorsichtig positive Dinge aus den vergangenen Monaten. Er und seine Kollegen genießen bewusster die kleinen Dinge des Lebens, und es sei eine aufregende Team-Erfahrung gewesen. Die Anspannung, wenn es früher oder später wieder losgeht – das mache dem Personal aber schwer zu schaffen. Ob dann wieder die Menschen an den Fenstern und Balkonen stehen, um Michael Meier und dem restlichen Klinikpersonal zu applaudieren? „Ich will nicht undankbar erscheinen, aber das Klatschen kommt 20 Jahre zu spät.“Die Situation ist schon lange schlecht, und auch die Corona-Krise werde nichts an dem Fachkräftemangel in der Pflege ändern, resümiert Meier. Es sei doch klar, sagt der 47-Jährige, dass es nicht gut sein kann, wenn sich ein Pfleger Jahr für Jahr um mehr Patienten kümmern muss. „Es ist wissenschaftlich belegt, dass Menschen im Krankenhaus
wegen dem Mangel an guter Pflege sterben.“Dennoch bemerkt Michael Meier keine Veränderung. Warum gibt es nicht einen viel größeren Aufschrei – schließlich betreffen Fragen der Gesundheit uns alle? „Das kann ich nicht wirklich beantworten“, sagt Meier. „Die Menschen wollen sich halt nicht mit so einem problembehafteten Thema beschäftigen.“
Auch die Diskrepanz zwischen den Anforderungen und dem, was ein Teil des Pflegepersonals an Fertigkeiten mitbringt, sei ein Problem. „Die Pflege im Krankenhaus wird immer anspruchsvoller“, so Meier – der Arbeitseinsatz und der Ausbildungsstand eines Teils des Personals hingegen immer schlechter.
So wird beispielsweise verstärkt Personal aus Seniorenheimen abgeworben, die Altenpflege ist jedoch ein anderer Beruf als Krankenpflege. Die Einsteiger müssen in manchen Bereichen von null anfangen.
Außerdem wird immer wieder Pflegepersonal aus dem Ausland angeworben – beispielsweise aus Osteuropa, dem Balkan oder den Philippinen. Da sei gut ausgebildetes Personal dabei, sagt Meier, die Sprachbarriere führe jedoch vor allem am Anfang zu mehr Arbeit anstatt zu einer Entlastung. „Andere Länder haben auch ein ganz anderes Pflegeverständnis. In Mazedonien kennen die die Grundpflege gar nicht: Waschen, Haar und Nägel schneiden – das machen dort die Angehörigen.“Die ausländischen Mitarbeiter in diesen Dingen zu schulen – dafür haben die Fachkräfte eigentlich gar keine Zeit.
Und dann das Thema Leiharbeit: Das Personal-Leasing weiche die festen Arbeitsverhältnisse in Kliniken immer weiter auf, sagt Meier, der auch in der Gewerkschaft Verdi aktiv ist. „Ohne die Leiharbeiter könnten wir den Betrieb auf der Intensivstation gar nicht aufrecht erhalten.“Die Krankenhäuser machen sich abhängig von diesem Leasing-System. Fast übers ganze Jahr hinweg arbeiten mehrere Leihkräfte als Zusatz zum PflegeTeam. Die Arbeitskräfte, die über ein Zwischenunternehmen von der Klinik gebucht werden, haben einen besseren Stundenlohn als die Festangestellten, müssen gleichzeitig aber weniger Verantwortung übernehmen und können sich Schichten freier wählen. „Dafür müssen sie mobil sein und Einsätze Hunderte Kilometer entfernt annehmen“, erklärt Meier. Die Firmen nutzen den Mangel der Krankenhäuser an Fachkräften aus und lassen sich für den Vermittlungsservice
von einer Arbeitskraft für einen Monat Einsatzzeit über 5000 Euro auszahlen, sagen uns mehrere Gesprächspartner. Die Kliniken müssen diesen teuren Service aber in Anspruch nehmen, da sie mit ihrem Stamm-Team nicht durchkommen – ein Teufelskreis.
Das Grundproblem sei einfach: Es gibt im derzeitigen Gesundheitssystem zu viele falsche Anreize. Ein lokales Beispiel ist die Erweiterung der Intensivstation in der Lindauer Klinik. Der Plan sei eigentlich gewesen, die sechs Intensiv-Betten mit Fördergeldern der Staatsregierung im Zuge des Neubaus zu modernisieren. Nun sei das Krankenhaus vor eine Entscheidung gestellt worden: Die Förderung gab es nur, wenn man die Intensiv-Betten auf neun Plätze aufstockte. Die Klinik griff zu. Problem: Das Personal sei nicht aufgestockt worden. Das Verhältnis von IntensivPlätzen zu Pflegepersonal sei aus dem Ruder, dabei sei es schon vorher auf Kante genäht gewesen.
Mit einer gezielten Akquise forciere die Asklepios-Klinik – auch unabhängig von Corona – die personelle Aufstockung in diesem Bereich, schreibt Sprecher Christopher Horn auf Anfrage. „Neben diversen Stellenausschreibungen und internen Weiterbildungen nehmen wir auch an dem Programm der AsklepiosGruppe zur Gewinnung von ausländischen Intensivpflegekräften teil.“
Für Meier wäre es wichtig, dass Geld dafür ausgegeben wird, den Beruf wieder attraktiver zu machen. „Die 500 Euro Corona-Bonus für Bayern reichen da nicht“, sagt der gebürtige Westfale. Bessere Arbeitsbedingungen und besseres Gehalt könnten eine Lösung sein. Man müsse den Menschen klar machen, dass es ein harter Job ist, aber ein Job, der einen erfüllt, der viel medizinisches Wissen beinhaltet und nah am Menschen ist. „Ich denke, das sind Dinge, die viele junge Menschen gern machen würden.“Und man müsse wegkommen von diesen naiven Wunschbildern der Gesundheitsberufe. „Dieses komische Bild aus TV-Serien, in dem die Schwester alles macht, und am Ende sind alle glücklich – Pflege ist ein Beruf wie jeder andere, er hat eben Vor- und Nachteile“, sagt Meier und schiebt nach: „Die Schwarzwaldklinik – das Bild, das da vermittelt wird, ist so weit weg von unserem Gesundheitssystem wie der Mars von der Erde.“
Michael Meier über das Rollenbild der Pflege im deutschen Fernsehen
Wir haben ihnen von unseren Fenstern aus Beifall geklatscht – Pflegefachkräfte haben während der Krise an vorderster Reihe durchgearbeitet, sind an ihre Belastungsgrenze gegangen und spüren unmittelbar die Auswirkungen der Pandemie. Krankenpfleger, ambulante und stationäre Altenpfleger verdienen unseren Respekt und unsere Aufmerksamkeit. Die LZ hat Lindauer begleitet, die beispielhaft für diese eindrucksvollen Berufe stehen und viel zu erzählen haben. In den vergangenen zwei Tagen berichteten uns ambulante und stationäre Altenpflegerinnen aus ihrer Gefühlswelt – im letzten Teil der Serie gibt uns ein Krankenpfleger der Asklepios-Klinik einen Einblick in den bedrückenden Kampf gegen Corona. Alle Teile der Serie gibt es auf www.schwaebische.de/ pflege
„Es ist ein marodes System, das den gelungenen Kampf gegen Corona als schöne Schminke trägt.“
„Die Schwarzwaldklinik – das Bild, das da vermittelt wird, ist so weit weg von unserem Gesundheitssystem wie der Mars von der Erde.“