Nie zufrieden – und einfach nur erleichtert
Der FC Bayern wirkt nach dem Halbfinale wie von einer Last befreit, Vorstand Oliver Kahn rühmt die Mentalität der Mannschaft
LISSABON - Der Tag danach. Alles grau in grau, regnerisch. Zum ersten Mal seit der Ankunft des FC Bayern am Donnerstag vor einer Woche präsentiert sich Lissabons Vorort Sintra, wo der Münchner Tross in der Hotelanlage Hotel „Penha Longa“30 Kilometer von Portugals Hauptstadt residiert, als ungemütliches Ambiente. Was dem Champions-League-Finalisten herzlich egal ist. Es geht darum, dass die Zimmer um weitere vier Nächte bis zum Check-Out am Montag gebucht werden konnten. Um dann beim Rückflug den Henkelpott im Handgepäck zu haben?
Regeneration war angesagt, für Körper und Geist nach dem 3:0 im Halbfinale gegen Lyon. K.o. waren sie, aber glücklich. Das elfte Finale des FC Bayern um Europas glänzendste Krone (fünf gewonnen, fünf verloren) steigt am Sonntag gegen Paris St.-Germain mit Trainer Thomas Tuchel – ebenfalls in Lissabon, diesmal im „Estádio da Luz“, dem Ort von Bayerns jetzt schon legendärem 8:2 gegen den FC Barcelona im Viertelfinale.
Nach dem Finaleinzug sangen und tanzten die bayerischen Double-Sieger nicht so ausgelassen und euphorisiert wie die PSG-Profis, die am Vortag RB Leipzig mit 3:0 bezwungen hatten. Die Münchner waren einfach nur erleichtert, das Ding gegen das bärenstarke Überraschungsteam Lyon über die Bühne gebracht zu haben.
Das famose 8:2 vom Freitag hatte sich in eine gewaltige Bürde verwandelt. Wer gegen Messis Barça acht Tore erzielt, der wird doch den Siebten der französischen „Ligue 1“beherrschen können! Das Problem: Wenn du plötzlich zum Topfavoriten aufsteigst, hast du mehr zu verlieren als zu gewinnen. Und so fielen sich die BayernProfis
nach dem 3:0 erschöpft und von einer Last befreit in die Arme. Geschafft – im doppelten Sinne. „Wir sind froh und stolz, dass wir im Finale sind“, meinte Kimmich und beschrieb die Gefühlslage so: „Es war weniger eine Feier in der Kabine, sondern mehr schon so, dass der Fokus auf dem Finale liegt. Das zeichnet uns derzeit aus. Am Donnerstag regenerieren und dann geht es ab.“So sehen es auch die Mitspieler, die wie Robert Lewandowski oder Thiago auf ihren Social-Media-Kanälen „One step closer“schrieben. Ein Schritt weiter, nur einer. Ganz nüchtern und sachlich.
Mannschaften spüren, wenn etwas geht, wenn Außergewöhnliches passieren kann. „Wir sprechen täglich darüber, wie groß die Chance ist“, verriet Doppel-Torschütze und Matchwinner Serge Gnabry. Angesprochen auf einen Unterschied zum Triumph 2013 unter Jupp Heynckes sagte Kapitän Manuel Neuer: „Wir sind in der Breite besser aufgestellt, haben Klasse-Spieler über den 18er-Kader hinaus. Es ist fantastisch, was wir für eine Mannschaft haben.“Qualitativ hochwertig, hungrig, zielstrebig und – dank Menschenfänger Hansi Flick – mit einem harmonischen Miteinander. „Ohne Stinkstiefel im Team“, so Neuer. Besser als beim Triple vor sieben Jahren? Aber ja! Damals waren Neuer, Jérôme Boateng, David Alaba, Javi Martínez und Thomas Müller schon dabei.
Vorstand Oliver Kahn, selbst 2001 Champions-League-Sieger, mag Vergleiche mit Ex-Helden nicht, sagte am Donnerstag im Teamhotel, die aktuelle Mannschaft sei „angetrieben von der Motivation, immer besser werden zu wollen. Das zeichnet große Mannschaften aus. Das zeigen auch die acht Meisterschaften in Folge, eine außergewöhnliche Leistung. Sie sind nie zufrieden, wollen sich immer weiterentwickeln und einen oben draufsetzen.“Wer hat gleich wieder den Slogan „Weiter, immer weiter!“erfunden?
Kahn sieht „eine tolle Mischung mit Jungs, die schon alles gewonnen haben, aber nie müde werden, weiter zu gewinnen. Dazu Spieler, die für den Henkelpott von hier zu Fuß nach München laufen würden. Moderiert von einem Trainer, der immer wieder die richtigen Worte findet.“