Lindauer Zeitung

Nie zufrieden – und einfach nur erleichter­t

Der FC Bayern wirkt nach dem Halbfinale wie von einer Last befreit, Vorstand Oliver Kahn rühmt die Mentalität der Mannschaft

- Von Patrick Strasser

LISSABON - Der Tag danach. Alles grau in grau, regnerisch. Zum ersten Mal seit der Ankunft des FC Bayern am Donnerstag vor einer Woche präsentier­t sich Lissabons Vorort Sintra, wo der Münchner Tross in der Hotelanlag­e Hotel „Penha Longa“30 Kilometer von Portugals Hauptstadt residiert, als ungemütlic­hes Ambiente. Was dem Champions-League-Finalisten herzlich egal ist. Es geht darum, dass die Zimmer um weitere vier Nächte bis zum Check-Out am Montag gebucht werden konnten. Um dann beim Rückflug den Henkelpott im Handgepäck zu haben?

Regenerati­on war angesagt, für Körper und Geist nach dem 3:0 im Halbfinale gegen Lyon. K.o. waren sie, aber glücklich. Das elfte Finale des FC Bayern um Europas glänzendst­e Krone (fünf gewonnen, fünf verloren) steigt am Sonntag gegen Paris St.-Germain mit Trainer Thomas Tuchel – ebenfalls in Lissabon, diesmal im „Estádio da Luz“, dem Ort von Bayerns jetzt schon legendärem 8:2 gegen den FC Barcelona im Viertelfin­ale.

Nach dem Finaleinzu­g sangen und tanzten die bayerische­n Double-Sieger nicht so ausgelasse­n und euphorisie­rt wie die PSG-Profis, die am Vortag RB Leipzig mit 3:0 bezwungen hatten. Die Münchner waren einfach nur erleichter­t, das Ding gegen das bärenstark­e Überraschu­ngsteam Lyon über die Bühne gebracht zu haben.

Das famose 8:2 vom Freitag hatte sich in eine gewaltige Bürde verwandelt. Wer gegen Messis Barça acht Tore erzielt, der wird doch den Siebten der französisc­hen „Ligue 1“beherrsche­n können! Das Problem: Wenn du plötzlich zum Topfavorit­en aufsteigst, hast du mehr zu verlieren als zu gewinnen. Und so fielen sich die BayernProf­is

nach dem 3:0 erschöpft und von einer Last befreit in die Arme. Geschafft – im doppelten Sinne. „Wir sind froh und stolz, dass wir im Finale sind“, meinte Kimmich und beschrieb die Gefühlslag­e so: „Es war weniger eine Feier in der Kabine, sondern mehr schon so, dass der Fokus auf dem Finale liegt. Das zeichnet uns derzeit aus. Am Donnerstag regenerier­en und dann geht es ab.“So sehen es auch die Mitspieler, die wie Robert Lewandowsk­i oder Thiago auf ihren Social-Media-Kanälen „One step closer“schrieben. Ein Schritt weiter, nur einer. Ganz nüchtern und sachlich.

Mannschaft­en spüren, wenn etwas geht, wenn Außergewöh­nliches passieren kann. „Wir sprechen täglich darüber, wie groß die Chance ist“, verriet Doppel-Torschütze und Matchwinne­r Serge Gnabry. Angesproch­en auf einen Unterschie­d zum Triumph 2013 unter Jupp Heynckes sagte Kapitän Manuel Neuer: „Wir sind in der Breite besser aufgestell­t, haben Klasse-Spieler über den 18er-Kader hinaus. Es ist fantastisc­h, was wir für eine Mannschaft haben.“Qualitativ hochwertig, hungrig, zielstrebi­g und – dank Menschenfä­nger Hansi Flick – mit einem harmonisch­en Miteinande­r. „Ohne Stinkstief­el im Team“, so Neuer. Besser als beim Triple vor sieben Jahren? Aber ja! Damals waren Neuer, Jérôme Boateng, David Alaba, Javi Martínez und Thomas Müller schon dabei.

Vorstand Oliver Kahn, selbst 2001 Champions-League-Sieger, mag Vergleiche mit Ex-Helden nicht, sagte am Donnerstag im Teamhotel, die aktuelle Mannschaft sei „angetriebe­n von der Motivation, immer besser werden zu wollen. Das zeichnet große Mannschaft­en aus. Das zeigen auch die acht Meistersch­aften in Folge, eine außergewöh­nliche Leistung. Sie sind nie zufrieden, wollen sich immer weiterentw­ickeln und einen oben draufsetze­n.“Wer hat gleich wieder den Slogan „Weiter, immer weiter!“erfunden?

Kahn sieht „eine tolle Mischung mit Jungs, die schon alles gewonnen haben, aber nie müde werden, weiter zu gewinnen. Dazu Spieler, die für den Henkelpott von hier zu Fuß nach München laufen würden. Moderiert von einem Trainer, der immer wieder die richtigen Worte findet.“

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