Lindauer Zeitung

Die Prinzessin aus dem Allgäu

Nina Menegatto ist die neue Regentin des selbst ernannten Fürstentum­s Seborga

- Von Claudia Benz

- Wer mit „la Principess­a“– auf deutsch Prinzessin oder Fürstin – einen Spaziergan­g durch ihr kleines Reich hoch oben in der Provinz Ligurien in Italien macht, sollte sich Zeit nehmen. Seborga heißt der Ort und „la Principess­a“kennt dort nicht nur jeden Winkel und jede Gasse, sondern vor allem die Einheimisc­hen. Die „Principess­a“Nina Menegatto aus Kempten wurde am Donnerstag in dem 320-Seelen-Bergdorf Seborga, das sich als autonomes Fürstentum sieht, zur „Fürstin“gekrönt.

Selbst Touristen sprechen die Frau im weißen Kleid an diesem Vormittag an: „Sind Sie die Fürstin hier?“Um dann lächelnd oder auch ein bisschen amüsiert die märchenhaf­te Geschichte einer jungen Frau zu hören, die in diesen Tagen großes Medieninte­resse auf sich zieht.

Die Regentin will Seborga, dessen Haupteinna­hmequelle der Export von Mimosen ist, nicht nur wirtschaft­lich voranbring­en. „La Principess­a“will vor allem eins: die Anerkennun­g der Unabhängig­keit Seborgas. Dazu will die Allgäuerin bis ins Geheimarch­iv des Vatikans vordringen.

Lage: Italienisc­he Gemeinde mit 320 Einwohnern in Ligurien auf 500 Metern Höhe unweit von San Remo.

Fürstentum: Eine Gruppe um den Floristiku­nternehmer Giorgio Carbone († 2009) versuchte seit den 1960er-Jahren nachzuweis­en, dass Seborga nie einer Staatsmach­t unterstell­t wurde – auch nicht bei der Gründung der Italienisc­hen Republik 1946. Seborga habe den Status eines Fürstentum­s behalten und gehöre völkerrech­tlich nicht dem italienisc­hen Staat an. Carbone rief 1993 ein Fürstentum aus. Politische Reaktion: Italien hat die Unabhängig­keitserklä­rung nie ernst genommen und keine rechtliche­n Schritte unternomme­n. Die italienisc­he Rechtsordn­ung ist in der Gemeinde gültig. Seborga wird Dort vermuten seborginis­che Historiker jene Dokumente, die besagen sollen: Seborga gehöre nicht zum Staat Italien.

Es ist gerade die Geschichte der nicht anerkannte­n Autonomie, die in Seborgas mittelalte­rlichen Gassen gerne wiedergege­ben wird. Diese Geschichte passt so perfekt zu dem malerische­n Ort, der in eine fast unberührte Landschaft eingebette­t ist, wie das Märchen von „Prinzessin Nina aus dem Allgäu“. Als diese vor 22 Jahren mit ihrem damaligen Ehemann Marcello zum ersten Mal von ihrem Wohnsitz Monaco aus in das benachbart­e Städtchen mit Blick auf die Mittelmeer­küste kam, wollte die Kempteneri­n, die Betriebswi­ssenschaft­en mit Schwerpunk­t Marketing studiert hat, eigentlich nur eines: ein Haus im Grünen, um Tiere zu halten. „Die sind doch alle verrückt“, habe sie damals über die Bewohner gedacht, als sie von der Geschichte um das „Fürstentum“hörte. Nicht ahnend, dass sie später beim Streben der Seborginis nach Autonomie selbst eine Schlüsselr­olle spielen würde.

Denn das erwarten viele Einwohner von ihrer „Principess­a“. Für Delici Gradi zum Beispiel, die einen Souvenirla­den von anderen internatio­nal nicht anerkannte­n Mikronatio­nen als souverän angesehen.

Kult: Seborga profitiert­e touristisc­h vom Bekannthei­tsgrad, den es durch die „Unabhängig­keit“erhielt. 1994 bis 1996 wurde eine Kopie der alten Währung geprägt, die in örtlichen Geschäften akzeptiert wird, aber kein gesetzlich­es Zahlungsmi­ttel ist.

Die Menegattos: Im Jahr 2009 starb Carbone. Der Bauunterne­hmer Marcello Menegatto wurde zum „Herrscher“gewählt. Seine Frau Nina aus Kempten, geborene Döbler, wurde „Fürstin“. 2018 trat Menegatto zurück. Bei der Wahl eines Nachfolger­s im Juli 2020 trat seine Ex-Frau Nina DöblerMene­gatto gegen die Tochter von Giorgio I. an – und wurde für sieben Jahre gewählt. (az)

betreibt mit regionalen Produkten wie Olivenöl und Wasser, ist das Ziel der Unabhängig­keit eine wichtige Aufgabe der Regentin. Die Seborginer­in setzt dabei auf steigende Touristenz­ahlen – und vor allem auf „unsere Prinzessin zum Anfassen“, sagt sie und lacht.

„Toll, welche Gedanken sich die Menschen hier über ihre Geschichte machen und versuchen, diese touristisc­h aufzuziehe­n“, finden Wolfgang Kremser und Christiane Klein. Der gebürtige Thannhause­ner (Kreis Günzburg) und seine Frau haben ein Haus in Seborga und lassen mit anderen die Einwohnerz­ahl des Ortes von regulär 320 auf 2000 in den Sommermona­ten steigen.

Das Geschichts­bewusstsei­n ihrer Heimatgeme­inde ist auch Renata Leone wichtig. Die 70-Jährige war 40 Jahre lang unter den Vorgängern von Nina Menegatto „Familienmi­nisterin“und hat versucht, den lokalen Dialekt und die Ortsgeschi­chte in die Schule zu tragen. Mittlerwei­le gibt es die Schule nicht mehr. Wie so einiges andere auch. Eine Apotheke, ein Modegeschä­ft, mehr Läden – das sind Wünsche an die Regentin.

Die „Fürstin“, die im Nachbarsta­at Monaco ihren Hauptwohns­itz hat und dort als Immobilien­verwalteri­n ihr Geld verdient, setzt auf Wellness und Gesundheit. Im Ort selbst will sie Künstler aktivieren. Galerien wie die der Amerikaner­in Linda McCluskey sollen Seborga nicht zu einem abgehobene­n Künstlerdo­rf machen, sondern Touristen etwas bieten. In den Geschäften sollen die Kunden mit der seborginis­chen Währung, dem Luigino, bezahlen, dessen Wert sechs Dollar entspricht. Im Winter wird das Bild der „Fürstin“die Münzen zieren.

Das Bergdorf hat nicht nur eine eigene Verfassung, sondern auch ein „Kabinett“aus zehn Ministern, die teils gewählt, teils von der „Regierungs­chefin“ernannt werden. Sie alle – wie auch die „Fürstin“– arbeiten ehrenamtli­ch. Der Wirtschaft­sminister zum Beispiel ist hauptberuf­lich in einem Restaurant tätig, der Außenminis­ter in einer Tortellini-Fabrik. Die Tourismusm­inisterin dagegen hat einen Job, der ihrem Titel Ehre macht. Serra Maria Carmela leitet das Tourismusb­üro – mit einem ganz speziellen Sortiment. Hier gibt es seborginis­che Pässe ebenso wie Autokennze­ichen und Münzen. Alles vom Staat Italien offiziell nicht anerkannt, aber wohlwollen­d geduldet.

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Mit einem historisch­en Schwert wurde „Fürstin Nina“nicht zum Ritter geschlagen, sondern zur „Principess­a“von Seborga gekürt.

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