Die Prinzessin aus dem Allgäu
Nina Menegatto ist die neue Regentin des selbst ernannten Fürstentums Seborga
- Wer mit „la Principessa“– auf deutsch Prinzessin oder Fürstin – einen Spaziergang durch ihr kleines Reich hoch oben in der Provinz Ligurien in Italien macht, sollte sich Zeit nehmen. Seborga heißt der Ort und „la Principessa“kennt dort nicht nur jeden Winkel und jede Gasse, sondern vor allem die Einheimischen. Die „Principessa“Nina Menegatto aus Kempten wurde am Donnerstag in dem 320-Seelen-Bergdorf Seborga, das sich als autonomes Fürstentum sieht, zur „Fürstin“gekrönt.
Selbst Touristen sprechen die Frau im weißen Kleid an diesem Vormittag an: „Sind Sie die Fürstin hier?“Um dann lächelnd oder auch ein bisschen amüsiert die märchenhafte Geschichte einer jungen Frau zu hören, die in diesen Tagen großes Medieninteresse auf sich zieht.
Die Regentin will Seborga, dessen Haupteinnahmequelle der Export von Mimosen ist, nicht nur wirtschaftlich voranbringen. „La Principessa“will vor allem eins: die Anerkennung der Unabhängigkeit Seborgas. Dazu will die Allgäuerin bis ins Geheimarchiv des Vatikans vordringen.
Lage: Italienische Gemeinde mit 320 Einwohnern in Ligurien auf 500 Metern Höhe unweit von San Remo.
Fürstentum: Eine Gruppe um den Floristikunternehmer Giorgio Carbone († 2009) versuchte seit den 1960er-Jahren nachzuweisen, dass Seborga nie einer Staatsmacht unterstellt wurde – auch nicht bei der Gründung der Italienischen Republik 1946. Seborga habe den Status eines Fürstentums behalten und gehöre völkerrechtlich nicht dem italienischen Staat an. Carbone rief 1993 ein Fürstentum aus. Politische Reaktion: Italien hat die Unabhängigkeitserklärung nie ernst genommen und keine rechtlichen Schritte unternommen. Die italienische Rechtsordnung ist in der Gemeinde gültig. Seborga wird Dort vermuten seborginische Historiker jene Dokumente, die besagen sollen: Seborga gehöre nicht zum Staat Italien.
Es ist gerade die Geschichte der nicht anerkannten Autonomie, die in Seborgas mittelalterlichen Gassen gerne wiedergegeben wird. Diese Geschichte passt so perfekt zu dem malerischen Ort, der in eine fast unberührte Landschaft eingebettet ist, wie das Märchen von „Prinzessin Nina aus dem Allgäu“. Als diese vor 22 Jahren mit ihrem damaligen Ehemann Marcello zum ersten Mal von ihrem Wohnsitz Monaco aus in das benachbarte Städtchen mit Blick auf die Mittelmeerküste kam, wollte die Kemptenerin, die Betriebswissenschaften mit Schwerpunkt Marketing studiert hat, eigentlich nur eines: ein Haus im Grünen, um Tiere zu halten. „Die sind doch alle verrückt“, habe sie damals über die Bewohner gedacht, als sie von der Geschichte um das „Fürstentum“hörte. Nicht ahnend, dass sie später beim Streben der Seborginis nach Autonomie selbst eine Schlüsselrolle spielen würde.
Denn das erwarten viele Einwohner von ihrer „Principessa“. Für Delici Gradi zum Beispiel, die einen Souvenirladen von anderen international nicht anerkannten Mikronationen als souverän angesehen.
Kult: Seborga profitierte touristisch vom Bekanntheitsgrad, den es durch die „Unabhängigkeit“erhielt. 1994 bis 1996 wurde eine Kopie der alten Währung geprägt, die in örtlichen Geschäften akzeptiert wird, aber kein gesetzliches Zahlungsmittel ist.
Die Menegattos: Im Jahr 2009 starb Carbone. Der Bauunternehmer Marcello Menegatto wurde zum „Herrscher“gewählt. Seine Frau Nina aus Kempten, geborene Döbler, wurde „Fürstin“. 2018 trat Menegatto zurück. Bei der Wahl eines Nachfolgers im Juli 2020 trat seine Ex-Frau Nina DöblerMenegatto gegen die Tochter von Giorgio I. an – und wurde für sieben Jahre gewählt. (az)
betreibt mit regionalen Produkten wie Olivenöl und Wasser, ist das Ziel der Unabhängigkeit eine wichtige Aufgabe der Regentin. Die Seborginerin setzt dabei auf steigende Touristenzahlen – und vor allem auf „unsere Prinzessin zum Anfassen“, sagt sie und lacht.
„Toll, welche Gedanken sich die Menschen hier über ihre Geschichte machen und versuchen, diese touristisch aufzuziehen“, finden Wolfgang Kremser und Christiane Klein. Der gebürtige Thannhausener (Kreis Günzburg) und seine Frau haben ein Haus in Seborga und lassen mit anderen die Einwohnerzahl des Ortes von regulär 320 auf 2000 in den Sommermonaten steigen.
Das Geschichtsbewusstsein ihrer Heimatgemeinde ist auch Renata Leone wichtig. Die 70-Jährige war 40 Jahre lang unter den Vorgängern von Nina Menegatto „Familienministerin“und hat versucht, den lokalen Dialekt und die Ortsgeschichte in die Schule zu tragen. Mittlerweile gibt es die Schule nicht mehr. Wie so einiges andere auch. Eine Apotheke, ein Modegeschäft, mehr Läden – das sind Wünsche an die Regentin.
Die „Fürstin“, die im Nachbarstaat Monaco ihren Hauptwohnsitz hat und dort als Immobilienverwalterin ihr Geld verdient, setzt auf Wellness und Gesundheit. Im Ort selbst will sie Künstler aktivieren. Galerien wie die der Amerikanerin Linda McCluskey sollen Seborga nicht zu einem abgehobenen Künstlerdorf machen, sondern Touristen etwas bieten. In den Geschäften sollen die Kunden mit der seborginischen Währung, dem Luigino, bezahlen, dessen Wert sechs Dollar entspricht. Im Winter wird das Bild der „Fürstin“die Münzen zieren.
Das Bergdorf hat nicht nur eine eigene Verfassung, sondern auch ein „Kabinett“aus zehn Ministern, die teils gewählt, teils von der „Regierungschefin“ernannt werden. Sie alle – wie auch die „Fürstin“– arbeiten ehrenamtlich. Der Wirtschaftsminister zum Beispiel ist hauptberuflich in einem Restaurant tätig, der Außenminister in einer Tortellini-Fabrik. Die Tourismusministerin dagegen hat einen Job, der ihrem Titel Ehre macht. Serra Maria Carmela leitet das Tourismusbüro – mit einem ganz speziellen Sortiment. Hier gibt es seborginische Pässe ebenso wie Autokennzeichen und Münzen. Alles vom Staat Italien offiziell nicht anerkannt, aber wohlwollend geduldet.