Rechte Rapper im Visier
Mit neuen Musikstilen versuchen Rechtsextreme im Südwesten, junge Leute zu ködern
- Mit Musik versuchen Rechtsextreme seit Jahrzehnten, junge Menschen für ihre Szene zu gewinnen. Nun liegen neue Zahlen zu Konzerten der Rechtsextremisten in Baden-Württemberg vor. Sorgen bereitet vor allem, dass die Szene es schafft, neue Zielgruppen anzusprechen. Das hängt unter anderem mit Musikern wie dem rechtsextremen Rapper Chris Ares aus Bayern zusammen.
Die Grünen im Stuttgarter Landtag wollten von Innenminister Thomas Strobl (CDU) wissen, wie sich die rechtsextreme Musikszene in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Zwischen Anfang 2017 und Mitte 2020 zählten die Sicherheitsbehörden mehr als 40 solcher Konzerte. Schwerpunkte lagen unter anderem rund um Karlsruhe und Pforzheim. Bereits im Vorfeld verboten haben die Behörden Auftritte mehrerer Bands in einer Jugend- und Freizeitstätte in Ellwangen Ende 2019. In Blaubeuren, im Zollernalbkreis und im Allgäu spielten rechtsextreme Musiker, darunter etwa „Germanium“. Deren Mitglieder kommen aus Baden-Württemberg und RheinlandPfalz, sie lieferten auch ein Lied für eine CD der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationalisten“(JN). Eines der größten bekannten Konzerte im Südwesten fand 2017 in Seibranz bei Bad Wurzach statt.
Aufgelistet sind naturgemäß nur jene Veranstaltungen, von denen Verfassungsschützer und Polizei erfuhren. Aus Angst vor Beobachtung, Ermittlungen oder Verboten werden Ort und genaue Zeit solcher Konzerte oft ganz kurzfristig bekannt und kursieren nur in Szenekreisen. So hatten die Veranstalter des geplanten Konzerts in Ellwangen dieses als „Geburtstagsparty“beim Vermieter des Jugendzentrums angemeldet. Insgesamt rechnet der Verfassungsschutz 1900 Personen der rechtsextremen Szene zu, darunter Anhänger der „Jungen Alternativen“und der AfD-Gruppe „Der Flügel“.
Jahrelang dominierten Rockbands die rechtsextreme Szene. Unrühmliche Bekanntheit erlangte „Noie Werte“aus der Region Stuttgart. Die Rechtsterroristen des NSU unterlegten frühe Versionen ihrer Bekennervideos mit deren Musik. Davon habe die Band nichts gewusst, es habe keine Kontakte zum NSU gegeben, so Bandmitglieder später. Allerdings hatten sie Verbindungen zu Konzertveranstaltern, die die NSUTerroristen gut kannten. Diese sind für eine Mordserie an zehn Menschen verantwortlich, darunter die
Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter. „Noie Werte“gaben nach jahrelanger Pause 2019 ihr Comeback.
„Das Bühnen-Comeback der Neonazi-Band ‚Noie Werte‘ nach knapp einer Dekade ist bedenklich. Die Gruppe hat ja eine finstere Vergangenheit“, so Alexander Maier, Rechtsextremismusexperte der Grünen im Landtag. Ihm macht auch eine weitere Entwicklung Sorgen: „Der alte Nazirock, das ist noch immer etwas für die eingefleischte NS-Szene älterer Jahrgänge. Im rechten Rap dagegen wird die politische Ausrichtung nicht sofort deutlich – das macht ihn aber umso gefährlicher.“Zunehmend beobachten Sicherheitsbehörden rechtsextremes Gedankengut, das mit anderen Musikstilen transportiert wird.
Zu den führenden Figuren zählt Chris Ares. Der Rapper ist im Allgäu aufgewachsen und lebt bei München. Seit mehreren Jahren beobachtet ihn der bayerische Verfassungsschutz. Mitte August sperrte YouTube seinen Videokanal, weil er gegen die Hassrede-Richtlinien der Plattform verstoßen hatte. Grünen-Politiker Maier erklärt: „Auf sozialen Kanälen inszenieren sich rechte Musiker als nahbare Künstler, mit Bildern aus dem Privatleben und einem offenen Auftreten.“Dabei seien die Texte jugendgefährdend und rechtsextremistisch. „Einer wie Ares macht das raffiniert: Er ködert seine jungen Fans mit angesagtem Hiphop-Sound und pflanzt ihnen – ohne, dass sie es sofort merken – rechte Gedanken ein. So finden Ares rechtsextreme Teutonen-Tracks ihren Weg ins Jugendzimmer.“
Ares ist Rechtsextremist und steht der verbotenen sogenannten Identitären Bewegung (IB) nahe. Seine Single „Neuer Deutscher Standard“beispielsweise landete in den Top Ten der deutschen Charts bei Anbietern wie Amazon und iTunes. Zeilen wie „Wir sind Kämpfer, der Sturm zieht auf im ganzen Lande, geh mal lieber weg mit deiner AutotuneMigranten-Bande“zeigen, wo Ares steht. „Insgesamt kann Chris Ares als identitärer Rapper bezeichnet werden“, urteilt das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Die IB vertritt die These, dass Menschen nur dann „Deutsche“sein könnten, wenn ihre Vorfahren aus Deutschland stammen. „Aus dieser Perspektive spricht die IB allen Migranten mit fremder, beziehungsweise außereuropäischer ethnischer Herkunft jedwede Möglichkeit ab, Teil der deutschen Kultur oder deutschen Gemeinschaft werden zu können. Die Positionen sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“, schreibt der Verfassungsschutz. Sie verstießen gegen Menschenwürde und Demokratieprinzip.
Nach Einschätzung der badenwürttembergischen Sicherheitsbehörden verliert der herkömmliche Rechtsrock an Bedeutung. Rapper wie Ares wirkten dagegen bis in die Mitte der Gesellschaft. „Die hohen Verkaufszahlen werden teilweise trotz eines Verkaufsboykotts durch verschiedene Vertriebe und Plattformen erreicht und machen somit deutlich, dass hier ein neues Publikum erreicht wird, das bisher keine Berührungspunkte mit anderer rechtsextremistischer Musik hatte“, schreibt das Innenministerium.