Söders Solo bringt Unruhe in die CDU
Weil die offiziellen CDU-Bewerber schwächeln, nimmt die Debatte um die Kanzlerkandidaten Fahrt auf
- Die Bilder sind erst ein halbes Jahr alt – und scheinen doch aus der Zeit gefallen: Am 25. Februar drängelten sich Journalisten und Fotografen vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz in Berlin. Objekte der medialen Begierde: Friedrich Merz, Armin Laschet und Jens Spahn. Die ersten beiden Anwärter auf die Nachfolge von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) und Kanzlerin Angela Merkel. Der Dritte ein Teamspieler, der die eigenen Ambitionen zugunsten Laschets zurücksteckte. Eine Woche zuvor hatte Norbert Röttgen seine Ambitionen bekannt gegeben, nachdem AKK entnervt ihren Rücktritt vom Parteivorsitz angekündigt hatte. Dann kam Corona.
Ein halbes Jahr später ist AKK immer noch im Amt. Und dass einer aus dem Bewerbertrio ihre Nachfolge antritt, ist ebenso wenig ausgemacht wie deren Kanzlerkandidatur. Das bringt langsam Unruhe in die Union, zumal der Koalitionspartner SPD sich bereits auf seinen Kandidaten Olaf Scholz festgelegt hat. Erst Anfang vergangener Woche hatte der Vorsitzende des drittgrößten CDU-Landesverbands laut über eine „weitere Möglichkeit“nachgedacht. Markus Söder von der Schwesterpartei CSU wäre ein guter Kanzler und Jens Spahn ein guter CDU-Parteichef, erklärte Niedersachsens CDU-Chef Bernd Althusmann. Da der Vorsitzende des zweitgrößten CDU-Landesverbands Baden-Württemberg, Thomas Strobl, sich zu solchen Überlegungen bedeckt hält und der Boss des größten in Nordrhein-Westfalen Laschet heißt und somit befangen ist, werden Althusmanns Gedankenspiele in der Bundespolitik aufmerksam registriert. Zumal der Niedersachse damit eine Idee von vier CDU-Bundestagsabgeordneten aus dem Südwesten aufgreift.
Am 4. Dezember will die CDU in Stuttgart den AKK-Nachfolger küren, sofern es Corona zulässt. Wegen der Pandemie wurde der Parteitag, der auch den heißen Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg einläuten sollte, von vier Tagen auf einen zusammengeschnürt. Gleichwohl hofft Gastgeber Thomas Strobl auf inhaltliche Impulse – und will seinen Landesverband nicht auf einen Kandidaten festlegen: „Es gibt keine Empfehlung des Landesvorsitzenden
für die Wahl. In der CDU Baden-Württemberg gibt es unterschiedliche Meinungen und wir haben mündige Delegierte“, sagt Strobl der „Schwäbischen Zeitung“und ergänzt: „Neben Personal dürfen wir die Inhalte nicht vergessen. Und damit beschäftigen wir uns intensiv. Genauso beschäftigen wir uns derzeit freilich mit der Frage, wie unser Land mit Corona aussieht und wie wir die Herausforderungen bewältigen können.“Strobl zufolge wird der Parteitag Weichen stellen: „Was in Stuttgart besprochen und entschieden wird, wird die inhaltliche Positionierung der CDU Deutschlands für die Zwanzigerjahre entscheidend prägen.“Und das gelte auch für das Personal, sagt er mit Seitenhieb auf den Berliner Koalitionspartner: „Die Wahl des Vorsitzenden wird die Partei prägen, denn anders als bei der SPD sind unsere Vorsitzenden auch mal ein Jahrzehnt und länger im Amt. Vielleicht wird der neue
Vorsitzende auch der nächste Kanzler sein.“
Vielleicht aber auch nicht. Zwar sieht die CDU das Kanzlerkandidatenprivileg bei sich, und das hat JUChef Tilman Kuban kürzlich noch mal klar gestellt. Doch aus Bayern kommen andere Töne: CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder hat sich in der Corona-Krise bundesweit als zupackender Krisenmanager profiliert. In Umfragen lässt er das CDUBewerbertrio vom Februar in Sachen Beliebtheit und Kanzlertauglichkeit weit hinter sich. Das liegt auch an der Schwäche der Kandidaten: Laschet machte während der Pandemie bisher keine gute Figur. Merz fehlt ohne Amt und Mandat in der Krise die Bühne für öffentliche Vorstöße. Dass er kürzlich als Zeichen der Digitalisierung E-Mail-Adressen für alle Schüler in Deutschland forderte, zeige dessen Rückwärtsgewandtheit, sagt ein Merz bisher wohlgesonnener Parteifreund der „Schwäbischen Zeitung“. Und
Röttgen kann zwar außenpolitisch punkten, eine Hausmacht hat er aber nicht. Doch ob Söder überhaupt will, lässt er bislang offen. Das nervt einige in der Schwesterpartei.
Am 6. Juli rief die CDU-Chefin den CSU-Chef an. In dem Gespräch, über das zuerst die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“(FAS) berichtete, forderte AKK Söder zu mehr Zurückhaltung insbesondere bei der Bewertung der CDU-Bewerber auf. Söder schien wenig beeindruckt, denn kurz danach schlug er vor, die Kanzlerkandidatenkür von CDU und CSU auf den März 2021 zu legen. Bei Landtagswahlen am 14. März will die CDU in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten und in Rheinland-Pfalz die Landesregierung ablösen. Scheitert die CDU, könnte Söder dieses Momentum nutzen, mutmaßen einige. Denn die CSU konnte immer dann den Kanzlerkandidaten stellen, wenn die Schwester schwächelte. Der CDU-General von Rheinland-Pfalz,
Patrick Schnieder, beklagt in der „FAS“Irritationen in seiner Partei über die Söder-Debatte und stellt klar: „Der künftige Vorsitzende der CDU muss auch Kanzlerkandidat sein.“Söder trägt Unruhe in die CDU: Einige Spitzenpolitiker sind für einen Kanzler Söder. Andere sind genervt von den Andeutungen des Franken. Die jüngste Corona-Testpanne ist für die Kritiker Indiz, dass auch der Bayer straucheln kann. Die Söder-Fans sehen das anders: Nur wer nichts mache, mache auch keine Fehler.
Die unübersichtliche Lage ist neu für die Union, die zuletzt immer mit Merkel in den Wahlkampf ging. Doch CDU-Spitzenleute winken ab. Die Umfragewerte seien weiter gut. Die Menschen und auch die Politiker hätten wegen der Krise genug anderes um die Ohren. Und bis zum Parteitag seien es noch mehr als drei Monate, bis zur Wahl noch mehr als ein Jahr. Politisch ist das eine Ewigkeit. Selbst ohne Corona.