Lindauer Zeitung

Bangen in Berlin

Der prominente Kremlkriti­ker Nawalny wird in der Charité behandelt

- Von Stefan Kegel und dpa

- Nach dem Krankentra­nsport des schwer kranken russischen Opposition­ellen Alexej Nawalny in die Berliner Charité hat in der deutschen Politik eine Debatte über den Umgang mit Russland eingesetzt. Parteiüber­greifend wird die mutmaßlich­e Vergiftung als Beleg für die Praktiken der russischen Regierung gebrandmar­kt. „Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Putin ist bereit, für den Machterhal­t über Leichen zu gehen“, sagte der außenpolit­ische Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion Nils Schmid im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Angesichts der russischen Invasion der Krim, des russischen Vorgehens in der Ukraine und der Belege für die Vergiftung von Opposition­ellen sei die gemeinsame Basis mit Moskau sehr dünn. „Das Vertrauen in die russische Führung ist massiv gestört.“Dennoch werde Russland als Gesprächsp­artner in internatio­nalen Fragen, vom Atomabkomm­en mit Iran bis hin zum Klimaschut­z, gebraucht.

Auch der Unions-Außenpolit­iker Jürgen Hardt (CDU) verurteilt­e das Vorgehen Moskaus gegen Opposition­elle. „Ich habe den Eindruck, Putin will die Vermutunge­n gar nicht widerlegen, sondern setzt darauf, dass seine Gegner durch die Ereignisse in Angst und Schrecken versetzt werden.“Russland sei kein vertrauens­würdiger Partner. „Umso wichtiger wäre es, dass die Europäisch­e Union eine gemeinsame klare Sprache gegenüber Russland findet, die auch die Wirtschaft­sbeziehung­en mit einbezieht“, erklärte der CDU-Politiker.

Hardts grüner Kollege Omid Nouripour verwies auf Deutschlan­ds gegenwärti­ge Präsidents­chaft des Europäisch­en Rates. „Der Kreml macht auch vor der Souveränit­ät anderer Staaten nicht halt“, beklagte er unter Verweis auf Vorfälle in Deutschlan­d, der Ukraine oder Großbritan­nien. „Bei aller Notwendigk­eit des kritischen Dialogs mit Russland muss die Bundesregi­erung dies im Klartext benennen und als Ratspräsid­ent eine europäisch­e Linie koordinier­en.“

„Der Fall Nawalny trägt eindeutig die Handschrif­t des russischen Regimes“, urteilte auch der FDP-Außenpolit­iker Bijan Djir-Sarai. Daher macht er Druck, die von Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) nach dem Mord im Berliner Tiergarten angekündig­ten „weiteren Maßnahmen“in die Tat umzusetzen. „Deutschlan­d muss konkrete, personenbe­zogene Sanktionen gegen die Hintermänn­er von Anschlägen auf Opposition­elle ergreifen“, erklärte der Liberale.

Der Nervenkrie­g um Nawalny hat sich derweil vorerst etwas beruhigt. Als am Samstagmor­gen der Rettungsfl­ug mit Nawalny in Berlin-Tegel landete, waren seine Mitarbeite­r erleichter­t. Stundenlan­g hatten Familienan­gehörige des Kremlkriti­kers noch im sibirische­n Omsk um eine Ausreise des vermutlich vergiftete­n Politikers gerungen.

Am Freitagabe­nd gaben die russischen Mediziner schließlic­h ihre Bedenken gegen einen Transport nach Deutschlan­d auf. Der Zustand des Kremlkriti­kers sei „stabil“, hieß es. Mehr war zunächst nicht bekannt. Eigentlich wollte sein Team am Sonntag Klartext reden und seine Version über eine mögliche Vergiftung darlegen. Das sagte es jedoch wieder ab.

Nawalny liegt seit Donnerstag im Koma. Sein Team geht davon aus, dass er vergiftet wurde. Behandelt wird er jetzt in der Universitä­tsklinik Charité in Berlin-Mitte. Zuvor hatte ein Spezialfli­eger den 44-Jährigen aus Omsk ausgefloge­n, ein Intensivtr­ansporter der Bundeswehr hatte ihn unter starkem Polizeisch­utz in die Klinik gebracht. Erst nach Abschluss der Untersuchu­ngen und nach Rücksprach­e mit der Familie wollen sich die behandelnd­en Ärzte äußern. Die Untersuchu­ngen würden einige Zeit in Anspruch nehmen, hieß es. In Berlin ist auch Nawalnys Frau Julia und sein enger Vertrauter Leonid Wolkow. Beide besuchten Nawalny am Sonntag in der Klinik.

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FOTO: PAVEL GOLOVKIN/DPA Der russische Opposition­sführer Alexej Nawalny bei einem Auftritt im Juli 2019.

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