Bangen in Berlin
Der prominente Kremlkritiker Nawalny wird in der Charité behandelt
- Nach dem Krankentransport des schwer kranken russischen Oppositionellen Alexej Nawalny in die Berliner Charité hat in der deutschen Politik eine Debatte über den Umgang mit Russland eingesetzt. Parteiübergreifend wird die mutmaßliche Vergiftung als Beleg für die Praktiken der russischen Regierung gebrandmarkt. „Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Putin ist bereit, für den Machterhalt über Leichen zu gehen“, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Nils Schmid im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Angesichts der russischen Invasion der Krim, des russischen Vorgehens in der Ukraine und der Belege für die Vergiftung von Oppositionellen sei die gemeinsame Basis mit Moskau sehr dünn. „Das Vertrauen in die russische Führung ist massiv gestört.“Dennoch werde Russland als Gesprächspartner in internationalen Fragen, vom Atomabkommen mit Iran bis hin zum Klimaschutz, gebraucht.
Auch der Unions-Außenpolitiker Jürgen Hardt (CDU) verurteilte das Vorgehen Moskaus gegen Oppositionelle. „Ich habe den Eindruck, Putin will die Vermutungen gar nicht widerlegen, sondern setzt darauf, dass seine Gegner durch die Ereignisse in Angst und Schrecken versetzt werden.“Russland sei kein vertrauenswürdiger Partner. „Umso wichtiger wäre es, dass die Europäische Union eine gemeinsame klare Sprache gegenüber Russland findet, die auch die Wirtschaftsbeziehungen mit einbezieht“, erklärte der CDU-Politiker.
Hardts grüner Kollege Omid Nouripour verwies auf Deutschlands gegenwärtige Präsidentschaft des Europäischen Rates. „Der Kreml macht auch vor der Souveränität anderer Staaten nicht halt“, beklagte er unter Verweis auf Vorfälle in Deutschland, der Ukraine oder Großbritannien. „Bei aller Notwendigkeit des kritischen Dialogs mit Russland muss die Bundesregierung dies im Klartext benennen und als Ratspräsident eine europäische Linie koordinieren.“
„Der Fall Nawalny trägt eindeutig die Handschrift des russischen Regimes“, urteilte auch der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai. Daher macht er Druck, die von Außenminister Heiko Maas (SPD) nach dem Mord im Berliner Tiergarten angekündigten „weiteren Maßnahmen“in die Tat umzusetzen. „Deutschland muss konkrete, personenbezogene Sanktionen gegen die Hintermänner von Anschlägen auf Oppositionelle ergreifen“, erklärte der Liberale.
Der Nervenkrieg um Nawalny hat sich derweil vorerst etwas beruhigt. Als am Samstagmorgen der Rettungsflug mit Nawalny in Berlin-Tegel landete, waren seine Mitarbeiter erleichtert. Stundenlang hatten Familienangehörige des Kremlkritikers noch im sibirischen Omsk um eine Ausreise des vermutlich vergifteten Politikers gerungen.
Am Freitagabend gaben die russischen Mediziner schließlich ihre Bedenken gegen einen Transport nach Deutschland auf. Der Zustand des Kremlkritikers sei „stabil“, hieß es. Mehr war zunächst nicht bekannt. Eigentlich wollte sein Team am Sonntag Klartext reden und seine Version über eine mögliche Vergiftung darlegen. Das sagte es jedoch wieder ab.
Nawalny liegt seit Donnerstag im Koma. Sein Team geht davon aus, dass er vergiftet wurde. Behandelt wird er jetzt in der Universitätsklinik Charité in Berlin-Mitte. Zuvor hatte ein Spezialflieger den 44-Jährigen aus Omsk ausgeflogen, ein Intensivtransporter der Bundeswehr hatte ihn unter starkem Polizeischutz in die Klinik gebracht. Erst nach Abschluss der Untersuchungen und nach Rücksprache mit der Familie wollen sich die behandelnden Ärzte äußern. Die Untersuchungen würden einige Zeit in Anspruch nehmen, hieß es. In Berlin ist auch Nawalnys Frau Julia und sein enger Vertrauter Leonid Wolkow. Beide besuchten Nawalny am Sonntag in der Klinik.