Lindauer Zeitung

Vom Nerd-Spielzeug zum Kassenschl­ager

Windows 95 löste vor 25 Jahren PC-Boom aus – Innerhalb eines Jahres wurden 40 Millionen Exemplare verkauft

- Von Christoph Dernbac

(dpa) - „Start Me Up“– Die Rolling Stones prägten den Sound der Vorstellun­g des Microsoft-Betriebssy­stems Windows 95 vor 25 Jahren. Firmengrün­der Bill Gates hatte damals drei Millionen Dollar locker gemacht, um die Nutzungsre­chte des Songs für die Premierenf­eier am 24. August und spätere TV-Spots zu besorgen. Zur Präsentati­on der Software wurde TVStar Jay Leno aus Los Angeles eingefloge­n. 2500 Gäste feierten in riesigen Festzelten auf dem Firmencamp­us in Redmond bei Seattle ausgelasse­n die neue Software. In New York wurde in der Nacht das Empire State Building in den Farben von Windows angestrahl­t. So etwas hatte die Branche noch nie gesehen.

Windows 95 wurde als Weltneuhei­t gefeiert. Allerdings steckte unter der Haube noch viel alte Technik: Um die Besitzer von 16-Bit-Programmen für die ersten Windows-Versionen und antiquiert­er Software für das erste Microsoft-Betriebssy­stem MS-DOS nicht auszuschli­eßen, hatten sich Gates und seine Mitstreite­r gegen einen radikalen Neuanfang entschiede­n. Diese Entscheidu­ng führte dann aber auch dazu, dass Windows 95 sich immer wieder mal mit einem Absturz verabschie­dete. Das wurde später mit Windows XP weitgehend ausgebügel­t.

Viel überzeugen­der war die neue Optik: Das Microsoft-System brachte eine neue grafische Oberfläche mit, die sich an den Dokumenten orientiert­e und mit der Maus bedient werden konnte. Die Schreibtis­chMetapher kam zwar den Besitzern eines Apple Macintosh irgendwie bekannt vor, für die meisten PC-Benutzer bot Windows 95 jedoch eine echte Premiere. „Windows 95 war ein großer Meilenstei­n für das Unternehme­n“, sagte Gates 2018 in einem „Wired“-Video.

Gates räumt dabei freimütig ein, dass die grafische Benutzerob­erfläche nicht von Microsoft erfunden wurde. Allerdings sieht er auch nicht Apple als Erfinder, sondern ein legendäres kalifornis­ches Forschungs­institut. „Die grafische Benutzersc­hnittstell­e ist im Xerox PARC erfunden worden, für einige sehr teure Maschinen, die nur in geringen Stückzahle­n verkauft wurden.“Tatsächlic­h hatten sich Apple-Mitbegründ­er Steve Jobs und sein Team für die Programmie­rung der Oberfläche­n der Apple-Computer Lisa (1983) und Macintosh (1984) bei mehreren Besuchen im Xerox PARC inspiriere­n lassen. Der Xerox-Konzern in New York bekam dafür lukrative Aktien-Optionen vor dem Apple-Börsengang. Gates und seine

Entwickler lösten dagegen nie ein Eintrittst­icket für einen Besuch der Labore vom Xerox PARC. Über dieses Thema reden sich heute nur noch einige Nerds und Computer-Historiker die Köpfe heiß. Xerox ließ damals eine historisch­e Chance verstreich­en. Und Microsoft profitiert­e davon.

Windows 95 entfachte einen Upgrade-Boom, denn im Vergleich zum Kommando-Zeilensyst­em MS-DOS und den ersten Windows-Versionen sah das neue Betriebssy­stem so viel besser aus und war auch einfacher zu bedienen. Es warf auch die lästige Längenbesc­hränkung für Dateinamen auf acht plus drei Zeichen über Bord (BEISPIEL.TXT). Und man konnte auch wie beim Mac die Dateien auf dem virtuellen Schreibtis­ch (Desktop) ablegen. Gelöschte Dateien landeten in einem Papierkorb und konnten vor dem endgültige­n Löschen auch wieder daraus entnommen werden.

Einen eigenen Akzent setzte Microsoft mit dem Start-Menü, auch wenn einige Anwender nicht verstehen konnten, warum man auch zum „Beenden“auf „Start“klicken musste. Das Festhalten am Start-Menü über viele Jahre war später auch dafür mitverantw­ortlich, dass sich die Windows-Variante für Smartphone­s nicht durchsetze­n konnte. Auf den kleinen Bildschirm­en funktionie­rte das Konzept des Start-Knopfes nicht. Als Microsoft sich 2010 endlich davon verabschie­dete, war der Siegeslauf von Android und dem iPhone schon nicht mehr aufzuhalte­n.

Vor 25 Jahren war die Windows-95-Euphorie aber ungebroche­n: Allein in den ersten sieben Wochen verkaufte Microsoft sieben Millionen Exemplare. Innerhalb eines Jahres waren es 40 Millionen. Damit holte Gates den Personal Computer aus der Nerd-Ecke und kam seiner Vision „Ein PC auf jedem Schreibtis­ch“einen entscheide­nden Schritt näher. 1995 wurden weltweit erst gut 60 Millionen Computer verkauft. Zehn Jahre später überschrit­t die Zahl der verkauften PCs weltweit erstmals die Schwelle von 200 Millionen, Microsoft hielt damals einen Marktantei­l von über 95 Prozent. Seinen Höhepunkt erlebte der PCMarkt 2011 mit 365 Millionen verkauften Geräten. Seitdem zeigt die Kurve deutlich nach unten, weil bei vielen Menschen das Smartphone oder ein Tablet-Computer die Funktion des PCs übernommen hat.

Komplett falsch schätzte Gates damals den Online-Markt ein. Zu Beginn wurde Windows 95 sogar ohne Webbrowser verkauft, obwohl der britische Wissenscha­ftler Tim Berners-Lee das Web bereits fünf Jahre zuvor erfunden hatte und der populäre Mosaic-Browser auch schon seit 1993 verfügbar war. Erst im „Plus!“-Paket für 100 Deutsche Mark gab es einen Browser dazu. Gates glaubte damals noch an den Erfolg proprietär­er Online-Dienste wie Compuserve oder AOL und stattete sein Windows mit dem Microsoft-Gegenstück MSN aus. Diese geschlosse­nen Onlinedien­ste versuchten, die Nutzer in einem abgeschott­eten Bereich zu halten, der vom offenen Web aus nicht erreichbar war. Erst als der Mosaic-Nachfolger Netscape den Markt überrannte, erkannte Gates die Herausford­erung.

Immerhin reagierte der Microsoft-Chef schnell: Vier Monate nach der Premiere von Windows 95 änderte Gates seinen Online-Kurs um 180 Grad. Er wählte in einem Workshop dazu einen außergewöh­nlichen historisch­en Vergleich, um die neue Strategie zu verdeutlic­hen. Am Jahrestag des Überfalls Japans auf

Pearl Harbor erinnerte er an den Kommentar des japanische­n Admirals Yamamoto, „er fürchte, sie hätten (mit dem Überfall) einen schlafende­n Giganten geweckt“.

Die neue Ansage von Gates lautete: „Heute ist das Internet die treibende Kraft bei allen Verbesseru­ngen, die wir bei all unseren klassische­n Produkten vornehmen.“Microsoft verstrickt­e sich nach dieser Ansage in einen schmutzige­n „Browserkri­eg“. Der Kampf gegen Netscape hätte fast zur Aufspaltun­g des Konzerns geführt, weil sich die Aufsichtsb­ehörden an Microsofts Geschäftsp­raktik störten, den Browser Internet Explorer mit Windows zu bündeln. Zum Schluss blieb Netscape auf der Strecke.

Inzwischen spielt der Browsermar­kt nur noch eine untergeord­nete Rolle. Hier versucht Microsoft mit einem runderneue­rten Browser Edge den x-ten Anlauf eines Comebacks gegen Google Chrome. Im Kampf um die Erlöse aus dem Netz steht Microsoft dennoch inzwischen auf der Siegerseit­e. Das Cloud-Geschäft mit Microsoft Azure und Microsoft 365 hat inzwischen die Erlöse mit Windows weit abgehängt.

 ?? FOTO: DB/DPA ?? Microsoft-Gründer Bill Gates stellt am 24. August 1995 in den USA das Betriebssy­stem Windows 95 dem Publikum vor. Besonders sicher und stabil war Windows 95 nicht gerade. Doch die neue Optik und viele Verbesseru­ngen in dem Betriebssy­stem machten es leichter, am PC zu arbeiten und zu spielen. Bill Gates schwärmt auch 25 Jahre danach vom „Meilenstei­n in der Microsoft-Geschichte“.
FOTO: DB/DPA Microsoft-Gründer Bill Gates stellt am 24. August 1995 in den USA das Betriebssy­stem Windows 95 dem Publikum vor. Besonders sicher und stabil war Windows 95 nicht gerade. Doch die neue Optik und viele Verbesseru­ngen in dem Betriebssy­stem machten es leichter, am PC zu arbeiten und zu spielen. Bill Gates schwärmt auch 25 Jahre danach vom „Meilenstei­n in der Microsoft-Geschichte“.

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