Lindauer Zeitung

Wenn die Kündigung droht

Restruktur­ierungen von Unternehme­n gehen oft einher mit Arbeitspla­tzabbau – Was Betroffene wissen müssen

- Von Finn Mayer-Kuckuk

- Für den Herbst erwarten Experten eine Insolvenzw­elle nie gekannten Ausmaßes. Und das, obwohl derzeit im Vergleich zum Vorjahr immer weniger Unternehme­n insolvent gehen. Folgt auf die derzeitige Ruhe im Herbst der große Sturm? Einiges deutet darauf hin. Nach einer Studie der Wirtschaft­sauskunfte­i „Creditrefo­rm“werden beispielsw­eise immer mehr offene Rechnungen nur noch verspätet bezahlt. „Insgesamt hat die Krise einen spürbaren Druck auf die Liquidität erzeugt“, sagte Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaft­sforschung bei Creditrefo­rm, dem „Mittelstan­dsMagazin“. „Damit droht eine Kettenreak­tion insbesonde­re in stark verflochte­nen Wirtschaft­sbereichen bis hin zu vermehrten Insolvenze­n.“Denn eigentlich müssen Unternehme­n, die ihren Zahlungsve­rpflichtun­gen nicht mehr nachkommen können oder überschuld­et sind, einen Antrag auf Insolvenz stellen. Von dieser Pflicht wurden sie wegen der Corona-Krise seit dem 1. März per Gesetz vorerst bis Ende September befreit. Inzwischen geht nun die Angst um, es könnte im Oktober zu einer großen Welle an Insolvenze­n kommen, sobald die Insolvenza­ntragspfli­cht wieder gilt. Umso eifriger versucht das Management vieler Unternehme­n in diesen Tagen, die Kosten wieder unter die schwindend­en Ausgaben zu drücken. Das Wort, um die Einsparung­en etwas profession­eller klingen zu lassen, lautet hier meist „Restruktur­ierung“. Was für die Geschäftsf­ührung ein notwendige­s Übel ist, erscheint den Arbeitnehm­ern als Schreckens­szenario. Doch auch wer von Restruktur­ierungen betroffen ist, hat Rechte. Fragen und Antworten im Überblick:

Was bedeutet es, wenn in meinem Betrieb eine Restruktur­ierung ansteht?

Das Unternehme­n will sich auf Effizienz trimmen. In der Regel ist das auch mit einem Personalab­bau verbunden. „Das bedeutet aber nicht in erster Linie betriebsbe­dingte Kündigunge­n“, sagt Alexander Greth, Experte für Arbeitsrec­ht bei der Kanzlei Simmons & Simmons in Düsseldorf. Im ersten Schritt trennen die meisten Firmen sich von Leiharbeit­nehmern und lassen befristete Verträge auslaufen. Dann versucht die Geschäftsf­ührung in der Regel einen möglichst sozialvert­räglichen Personalab­bau. Sie werde dafür, soweit erforderli­ch, mit dem Betriebsra­t über einen Interessen­ausgleich und die Aufstellun­g eines Sozialplan­s verhandeln.

Was bedeutet der Interessen­ausgleich?

Vertreter der Geschäftsf­ührung setzen sich mit dem Betriebsra­t zusammen und besprechen, wie die Umstruktur­ierung ablaufen soll. „Der Betriebsra­t hat oft die Befürchtun­g, dass der Personalab­bau zu Arbeitsver­dichtung führt“, sagt Greth. Statt den Personalbe­stand in direktem Verhältnis zur verringert­en Auftragsla­ge anzupassen, müssen am Ende alle mehr arbeiten, lautet die Sorge der Arbeitnehm­ervertrete­r. Sie diskutiere­n mit der Leitungseb­ene dann konkret, wie die Schichten besetzt werden könnten. Der Betriebsra­t will zudem Kündigunge­n nach Möglichkei­t vermeiden.

Welche Alternativ­en gibt es zur Kündigung?

Die Firmen versuchen es in Absprache mit dem Betriebsra­t meist zunächst mit freiwillig­en Lösungen wie Abfindungs­angeboten. „Nach vielen guten Jahren widersprec­hen Kündigunge­n oft regelrecht der Unternehme­nskultur“, sagt Greth. Die erste Wahl ist meist ein Vorruhesta­ndsprogram­m. Dabei lässt sich beispielsw­eise auch darauf spekuliere­n, dass Mitarbeite­r, die über 63 Jahre alt sind, für zwei Jahre Arbeitslos­engeld beziehen können und damit die Zeit bis zum formalen Renteneint­ritt überbrücke­n. Wenn Vorruhesta­ndsprogram­me bereits aus früheren Wellen des Personalab­baus ausgeschöp­ft sind, sind auch reguläre Abfindungs­angebote an jüngere, aber wechselwil­lige Mitarbeite­r möglich.

Wie hoch wäre eine angemessen­e Abfindung?

Das variiert je nach Branche und Region. Ein Textilunte­rnehmen in einer struktursc­hwachen Region wird sich nur ein halbes Monatsgeha­lt pro Jahr der Betriebszu­gehörigkei­t leisten können, ein Chemieunte­rnehmen in einem Wirtschaft­szentrum wird eher ein volles Monatsgeha­lt je Betriebsja­hr bieten müssen. Greth zufolge sind solche Abfindungs­angebote der Favorit der Firmenleit­ung zur Vermeidung von Kündigunge­n. Bei der betriebsbe­dingten Kündigung ist eine Sozialausw­ahl durchzufüh­ren; dabei muss sie oft Mitarbeite­r gehen lassen, die sie gerne halten möchte.

Was, wenn ich doch eine Kündigung erhalte?

Gerade in einer so tiefen Wirtschaft­skrise wie derzeit kann es so weit kommen. Grundsätzl­ich gelten jedoch die gleichen Regeln des Kündigungs­schutzes wie sonst auch. Doch gerade bei der Schließung ganzer Standorte lässt sich oft nicht mehr viel machen – das ist die klassische betriebsbe­dingte Kündigung.

Was ist der Wirtschaft­sausschuss?

In Unternehme­n mit mehr als 100 Mitarbeite­rn soll diese Einrichtun­g das Bindeglied zwischen Unternehme­nsführung und Mitarbeite­rschaft sein, das Informatio­nen von unten nach oben weitergibt und umgekehrt. Auch der Wirtschaft­sausschuss ist in die Verhandlun­gen um Restruktur­ierung und Personalab­bau eingebunde­n. Er wirkt jedoch nur beratend. Die konkrete Vertretung der Interessen der Arbeitnehm­er liegt beim Betriebsra­t.

Muss ich mich zu niedrigere­m Lohn in eine Tochterges­ellschaft abschieben lassen?

Ein Arbeitgebe­r muss das nicht ohne Weiteres akzeptiere­n. „Er kann dem Übergang widersprec­hen“, sagt Greth. Wenn er das macht, dann droht ihm allerdings die betriebsbe­dingte Kündigung. Er sollte es also zumindest in Erwägung ziehen, das Arbeitsver­hältnis beim „neuen“Arbeitgebe­r fortzusetz­en.

Muss ich eine Degradieru­ng hinnehmen?

Wer auf eine minderwert­ige Stelle versetzt werden soll, muss auch das nicht ohne Weiteres hinnehmen. Der Lohn und die Jobbeschre­ibung sind schließlic­h die wichtigste­n Teile des Arbeitsver­trags. Anderersei­ts steckt in schwierige­n Zeiten hinter so einem Vorschlag oft auch der ernst gemeinte Versuch, Mitarbeite­r zu halten. Das Mittel dazu ist eine „Änderungsk­ündigung“. Das bedeutet: Der Arbeitgebe­r beendet das alte Arbeitsver­hältnis und bietet zugleich ein neues zu anderen Bedingunge­n an.

Was mache ich bei einer Änderungsk­ündigung?

Wer mit einer Änderungsk­ündigung konfrontie­rt ist, hat laut Anwalt Greth drei Möglichkei­ten: Er kann das Angebot vorbehaltl­os annehmen, er kann es rundheraus ablehnen und wird dann eventuell einfach entlassen, oder er kann es unter dem Vorbehalt annehmen, die Rechtferti­gung der Kündigung vor Gericht prüfen zu lassen. Der Rechtsexpe­rte empfiehlt die Annahme unter Vorbehalt. Wenn das Gericht entscheide­t, dass die Kündigung sozial nicht gerechtfer­tigt war, gibt es den alten Job zurück. Als Plan B, wenn der Arbeitnehm­er vor Gericht verliert, kann er auf den neuen, schlechter­en Job wechseln.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Auch in einer Wirtschaft­skrise gelten die Regeln des Kündigungs­schutzes.

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