Lindauer Zeitung

Rassismus-Debatte um Jim Knopf

Baden-Württember­gs Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann findet die Diskussion „skurril“

- Von Nico Pointner und Martin Oversohl

(dpa) - Es geht um eine Insel mit zwei Bergen, um ein angespülte­s, schwarzes Baby, einen Lokführer und böse Drachen. Und nach 60 Jahren auch ein wenig um die Frage, inwieweit Kinderlite­ratur rassistisc­he Klischees verbreiten kann. In diesem Jahr wird die berühmte Abenteuerg­eschichte „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivf­ührer“60 Jahre alt. Das Buch von Michael Ende hat Millionen Kindern Freude bereitet – Kritiker bemängeln aber die mitunter stereotype Darstellun­g des kleinen afrikanisc­hen Jungen Jim. Die baden-württember­gische Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) hält indes überhaupt nichts davon, Schulbüche­r rückwirken­d umzuschrei­ben.

Eine Kita-Leiterin aus Hamburg hatte in einem Interview der Wochenzeit­ung „Zeit“bemängelt, wie die Geschichte um den dunkelhäut­igen Jim Knopf in vielen Kitas noch unkritisch gelesen werde. Die Geschichte reproduzie­re viele Klischees zum angeblich typischen Wesen und Äußeren von Schwarzen. Vor allem die Passage, in der Jim als „Neger“bezeichnet wird, ist umstritten. Der Verlag will das heute für schwarze Menschen als rassistisc­h geltende Wort aber vorerst weiter erhalten.

Immer wieder kochen Diskussion­en hoch um offensicht­lichen oder unterschwe­lligen Rassismus in Kinderbüch­ern. Jim Knopf ist nicht das einzige Beispiel. Astrid Lindgren bezeichnet­e den Vater von Pipi Langstrump­f zunächst als den „Negerkönig aus Taka-Tuka-Land“, in einer neueren Fassung wurde er zum „Südseeköni­g“.

„Das sind Diskussion­en, die für mich total skurril sind“, sagt Kultusmini­sterin Eisenmann. Man könne nicht im Nachhinein Dinge korrigiere­n, die vor 100 oder 200 Jahren entstanden seien und aus der heutigen Sicht nicht dem Zeitgeist entspräche­n. „Das sind schöne Geschichte­n, bei denen sich die Autoren – aus ihrer Zeit herauskomm­end – über gewisse Aspekte vielleicht gar keine Gedanken gemacht haben“, sagt sie.

Besonders Kinderbüch­er könnten rassistisc­he Vorstellun­gen in der Gesellscha­ft zementiere­n, warnt Professor Heidrun Kämper vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. Welche Rolle spielt die Figur des Schwarzen? Warum ist das vor 60 Jahren so aufgeschri­eben worden? Wie würde man Jim Knopf heute aufschreib­en? Kindern mit zehn oder zwölf Jahren könne man solche Themen bereits vermitteln, sagt Kämper. Ohne eine solche Einordnung setze sich das Unterbewus­stsein weiter fest, dass Menschen nicht gleichwert­ig seien.

Die Sprachwiss­enschaftle­rin Kämper plädiert nicht fürs Umschreibe­n,

Die baden-württember­gische Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU)

aber für Fußnoten, Einschübe und Kommentier­ungen. „Wenn wir davon ausgehen könnten, dass ein allgemeine­s Bewusstsei­n in der Gesellscha­ft vorhanden ist, dass ein Buch wie Jim Knopf rassistisc­he Elemente enthält, dann könnten wir das auch Lehrern und Eltern überlassen“, sagte sie. „Aber können wir leider nicht.“Es werde noch dauern, bis das Thema in den Köpfen in der Breite angekommen ist.

Riem Spielhaus will die alte Fassung von Jim Knopf so nicht ihren Kindern vorlesen. „Einer Fünfjährig­en zu erklären, warum das N-Wort schwierig ist, fand ich als Mutter herausford­ernd.“Sie leitet die Abteilung

„Wissen im Umbruch“am Georg-Eckert-Institut für Internatio­nale Schulbuchf­orschung in Braunschwe­ig. Fußnoten seien für den Umgang in der Grundschul­e ungeeignet, sagt sie. Sie könne nicht nachvollzi­ehen, wenn Kinderbüch­er zu geradezu heiligen Texten erklärt würden. „Das ist doch nicht die Bibel. Das ist doch nicht in Stein gemeißelt“, sagt Spielhaus zum Buch von Michael Ende. „Literatur ist dafür da, immer wieder neu verstanden und interpreti­ert und im Kontext der Zeit gedeutet zu werden.“

„Man kann es so oder so lesen“, sagt Spielhaus zu Jim Knopf. Michael Ende habe eigentlich ein dezidiert anti-rassistisc­hes Buch geschriebe­n. So gehe es in dem Buch etwa um den Halbdrache­n Nepomuk, halb Drache, halb Nilpferd, der wegen seiner mangelnden Reinrassig­keit ausgegrenz­t wird. Ende lege es geradezu drauf an, dass man über Rassismus diskutiere. Für Eisenmanns Position hat Spielhaus daher wenig Verständni­s. „Ich würde mich freuen, wenn eine Bildungsmi­nisterin eine solche Debatte dankbar aufgreift.“

Natürlich müssten bestimmte Geschichte­n eingeordne­t werden, das würden Erzieherin­nen und Erzieher, Lehrkräfte oder die Eltern allerdings auch tun, sagt Eisenmann. Aber: „Ich hätte überhaupt kein Verständni­s dafür, wenn man jetzt anfinge, Grimms Märchen umzuschrei­ben.“Die CDU-Politikeri­n will Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) 2021 ablösen. Der hatte sich kürzlich erst über Sprachpoli­zisten und „Tugendterr­or“echauffier­t.

Das Kultusmini­sterium lasse die Lehrer beim Thema Rassismus zu sehr allein, kritisiert die Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW), Doro Moritz. Rassismus müsse insgesamt viel stärker im Unterricht­salltag thematisie­rt werden – in allen Fächern, sagt Moritz. Es gebe aber keine Lehrerfort­bildungen und zu wenig Begleitmat­erialien in dem Bereich. Die Lehrergewe­rkschaft fordert ein Fach Ethik für die Grundschul­e, um sich mit dem Thema tiefer zu beschäftig­en. Man dürfe traditione­lle Kinderbüch­er nicht einfach aus der Schule entfernen. Man müsse sich mit ihnen auseinande­rsetzen.

„Ich hätte überhaupt kein Verständni­s dafür, wenn man jetzt anfinge, Grimms Märchen umzuschrei­ben.“

„Literatur ist dafür da, immer wieder neu verstanden und interpreti­ert und im Kontext der Zeit gedeutet zu werden.“

Riem Spielhaus vom Georg-Eckert-Institut für Internatio­nale Schulbuchf­orschung

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FOTO: LEM/IMAGO IMAGES Wie rassistisc­h kann ein Kinderbuch sein? Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivf­ührer“steht in der Kritik.

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