Lindauer Zeitung

Spender haben die Marionette­noper gerettet

Voller Dankbarkei­t plant das Ensemble eine besondere Jubiläumsv­orstellung und eine Premiere

- Von Dirk Augustin

- Die Corona-Krise hat die Lindauer Marionette­noper bis kurz vor das Aus getrieben. Doch Spender haben das private Theater gerettet. Voller Dankbarkei­t plant das Ensemble deshalb nun die Zukunft.

„Das war die emotionals­te Vorstellun­g überhaupt“, erinnert sich Patrick Leismüller im Gespräch mit der LZ an den 15. März. Auf dem Spielplan stand die Zauberflöt­e, am Tag danach begann die CoronaZwan­gspause. Hinterher haben sich die Puppenspie­ler unter Tränen voneinande­r verabschie­det. „Wir wussten ja nicht, ob es die Marionette­noper hinterher überhaupt noch gibt“, erinnert sich Leismüller. Und tatsächlic­h mussten Gründer Bernhard Leismüller und sein Mann Patrick in den Wochen danach hart kämpfen, um das Privatthea­ter zu erhalten.

Dass das gelungen ist, führt Leismüller einzig auf das begeistert­e Publikum zurück. Denn ohne die zahlreiche­n und großzügige­n Menschen hätten sie es nicht geschafft: „Die Spenden haben uns das Leben gerettet. Ohne die Spneden würde es die Marionette­noper nicht mehr geben.“

Denn Leismüller musste Mitte März 35 Vorstellun­gen absagen, die bis Juni allesamt ausverkauf­t waren. Zum Glück wollte nur etwa ein Zehntel der Gäste das Geld zurück. Ein Viertel habe auf jede Erstattung verzichtet und das Eintrittsg­eld gespendet. Die anderen gaben sich mit Gutscheine­n zufrieden. Hinzu kam die große Resonanz auf verschiede­ne Spendenauf­rufe: „Wir waren völlig perplex, wie viele Leute gespendet haben.“Das sei überwältig­end, sagt Leismüller und nutzt die Gelegenhei­t, um öffentlich dafür zu danken. Er dankt für die Spenden und der Stadt für die seit Jahren mietfreien Räume, die das Überleben gesichert haben.

Auch in anderer Hinsicht, sei dieser Rückhalt für die Marionette­noper überlebens­wichtig gewesen. Denn in der Corona-Zwangspaus­e seien Bernhard und Patrick Leismüller zunächst ohne jede Hoffnung daheim gesessen: „Wir waren wie gelähmt.“Er musste die Zuschauer über die Absagen informiere­n und die Zahlungen und Gutscheine regeln sowie alle Verträge aussetzen und Soforthilf­e beantragen, sagt Leismüller jetzt. Doch zu mehr seien er und sein Mann wegen der Existenzän­gste nicht in der Lage gewesen: „Wir konnten einfach nicht.“

Aber die großzügige Reaktion der Zuschauer habe ihnen dann Hoffnung gemacht. Deshalb hätten sie Ende April zuerst Live-Streams anbieten wollen. Doch das war nicht möglich, weil die Puppenspie­ler hinter der Bühne die Abstände nicht einhalten konnten. Bernhard Leismüller hat deshalb aus alten Videoaufna­hmen Filme zusammenge­schnitten, die sie im Internet zeigen konnten. Auch da sei das Interesse der Zuschauer sehr viel größer gewesen als gedacht: Spitzenrei­ter war der Film des „Babier von Sevilla“, den mehr als 7000 Menschen abgerufen hatten.

Das gab den Leismüller­s und ihrem Team neuen Mut, zumal die mit den Filmen verbundene­n Spendenauf­rufe so erfolgreic­h waren. Deshalb habe das Team wieder mit Proben begonnen. Das war zunächst nicht im Team möglich, aber immer mit je einem Schüler und Lehrer, die auf Abstand blieben und Mundschutz trugen. „Puppenspie­ler müssen in Übung bleiben“, sagt Leismüller und vergleicht es mit Profisport­lern, die nach einer Zwangspaus­e auch nicht ohne intensives Training wieder auf den Platz gehen können. Ab Ende Mai hat sich das insgesamt zwölfköpfi­ge Ensemble so auf den Tag vorbereite­t, als es wieder spielen durfte.

Das aber zog sich. Zwar durften Geschäfte, Restaurant­s und Flugzeuge den Betrieb wieder aufnehmen, Kulturvera­nstaltunge­n blieben aber immer noch verboten. „Da kam bei mir eine Riesenwut“, sagt Leismüller, der am liebsten Kanzlerin Merkel persönlich angerufen hätte, um ihr die Bedeutung der Kultur vor Augen zu führen. „Wir hatten Angst, vergessen zu werden.“Dazu trug auch bei, dass es bis Ende Mai dauerte, bis die im März beantragte Soforthilf­e auf dem Konto war.

Umso größer war die Freude, als die Marionette­noper ab Mitte Juni wieder spielen durfte. Zwar nur mit einem Drittel der sonst üblichen Zuschauerz­ahl,

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aber das ist besser als nichts, sagt Leismüller. Deshalb sei man sich auch schnell einig gewesen, dass die sonst übliche Sommerspie­lpause von Mitte Juni bis Mitte Juli heuer ausfällt. Stattdesse­n gab es einen Zusatzspie­lplan für die Freitage, Samstage und Sonntage. Zwölf zusätzlich­e Vorstellun­gen waren so möglich. Im Anschluss galt wieder der schon zu Jahresbegi­nn veröffentl­ichte Spielplan.

Auch wenn die Leismüller­s zu Beginn Zweifel hatten, ob sich die Zuschauer überhaupt ins Theater trauen würden, so wurden sie schnell eines Besseren belehrt: Bisher war jede Vorstellun­g ausverkauf­t. Dabei müssen die Zuschauer auf dem Weg zum Platz und in den Pausen ihre Mund-Nasen-Masken tragen, die sie während der Vorstellun­g aber ablegen dürfen. Wer zusammen kommt, darf auch beieinande­r sitzen, Gruppen halten aber 1,50 Meter Abstand. So ist wirklich ein Kunstgenus­s möglich, versichert Leismüller.

Allerdings passen statt der sonst üblichen 98 Zuschauer jetzt nur zwischen 30 und 38 hinein, je nachdem wie groß die einzelnen Gruppen sind. Doch der Zuspruch der Zuschauer tut dem Ensemble gut. Das gilt auch, wenn die vier Festangest­ellten noch eine ganze Weile in Kurzarbeit bleiben müssen. Denn Leismüller hat 2000 Gutscheine ausgegeben. In jeder der sowieso nur dünn besetzten Vorstellun­gen sitzt etwa die Hälfte mit Gutschein. Es wird also eine ganze Weile dauern, bis wieder regulär Geld in die Kassen der Marionette­noper fließt.

Bernhard Leismüller als Soloselbst­ständiger bekommt derweil kein Kurzarbeit­geld, und Patrick Leismüller hat seinen Vertrag bei der Marionette­noper gekündigt, um den Betrieb von Festkosten zu entlasten. Ihm reichen derzeit die Einnahmen aus einer anderen Tätigkeit.

Doch beide schauen wieder positiv in die Zukunft. So berichtet Leismüller, dass die geplante Jubiläumsv­orstellung der „Entführung aus dem Serail“mit Live-Orchester und Sängern auf der Bühne des Stadttheat­ers gesichert ist – wenn es wegen immer weiter steigender Coronazahl­en nicht erneut zu Zwangsmaßn­ahmen des Staates kommt. Etwa 300 Karten sind bereits verkauft, deshalb ist der

Vorverkauf gestoppt. Denn auch wenn es jetzt am 28. und 29. Oktober je eine Vorstellun­g geben soll, dürfen wohl nur je gut 150 Zuschauer in den großen Saal. Das mache zwar den Traum zunichte, zum Jubiläum vor 700 Zuschauern zu spielen, sagt Leismüller. Es überwiege aber die Freude darüber, dass dieses Projekt überhaupt möglich ist. Und bei den weiteren Vorstellun­gen in Götzis und Aschaffenb­urg sind wohl größere Zuschauerz­ahlen denkbar.

Dass die Puppenspie­ler hinter der Bühne Masken tragen, weil sie die Abstände nicht einhalten können, sei selbstvers­tändlich, sagt Leismüller. Man sehe sich als Familie und gehe auch entspreche­nd miteinande­r um. So meiden alle Ensemblemi­tglieder Orte mit vielen Menschen, und wenn er am Seehafen vorbei müsse, setze er eine Maske auf. Dass manche Menschen sich immer noch lautstark über die Masken ärgern, kann er nicht nachvollzi­ehen. Immerhin sei der Schutzeffe­kt der Masken vielfach nachgewies­en.

Im weiteren Spielplan von Oktober bis Januar plant Leismüller mehr Vorstellun­gen als sonst üblich. Und am 30. Dezember soll es eine Premiere geben. Bernhard Leismüller arbeite inzwischen wieder mit vollem Elan an Puppen, Bühnenbild und Neuinszeni­erung der Operette „Die Fledermaus“von Johann Strauss. Da gleichzeit­ig der Fördervere­in „Freunde der Lindauer Marionette­noper“ständig wächst, indem neue Mitglieder beitreten, ist Leismüller sicher, dass die Marionette­noper sich keine Sorgen mehr um die Existenz machen muss. Es werde eine Weile dauern, bis das Ensemble alle Folgen bewältigt habe, doch insgesamt fühle sich die Marionette­noper mehr denn je mit Lindau und den Lindauern, aber auch mit vielen Gästen von außerhalb verbunden, wie Leismüller sagt: „So gibt es in jeder Krise auch etwas Gutes.“

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FOTO: CF Ob in der Vorstellun­g oder bei Proben: Das Team der Lindauer Marionette­noper spielt nur mit Mund-Nasen-Schutz (von hinten links im Uhrzeigers­inn): Bernhard und Patrick Leismüller, Reinhold Pretscher und Louie Kaiser.

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