Lindauer Zeitung

Der Bonsai ist gewachsen

Die französisc­hen Grünen treten nach ihrem Erfolg bei den Kommunalwa­hlen mit neuem Selbstbewu­sstsein auf – Ihre Regierungs­fähigkeit müssen sie aber noch beweisen

- Von Christine Longin

- Mit einem Bonsai hat die frühere Parteivors­itzende Cécile Duflot die Grünen einmal verglichen. Ein sensibles Zwerggewäc­hs, das gar keine Berufung dazu hat, größer zu werden. Doch in den vergangene­n anderthalb Jahren ist aus dem Bonsai ein echter Baum geworden, der mitten in der politische­n Landschaft Frankreich­s steht.

Bei den Kommunalwa­hlen im Juni gewannen Europe Écologie Les Verts (EELV) zusammen mit den Sozialiste­n und anderen Verbündete­n fast alle Großstädte. Von einer „grünen Welle“ist bereits die Rede. Vor allem, nachdem die Grünen schon bei den Europawahl­en im vergangene­n Jahr überrasche­nd gut abgeschnit­ten hatten und hinter den Rechtspopu­listen und der Partei von Präsident Emmanuel Macron auf dem dritten Platz gelandet waren. Zusammen mit den Sozialiste­n sehen sie sich nun in der Lage, das sich abzeichnen­de Duell zwischen Macron und der Rechtspopu­listin Marine Le Pen 2022 mit einem eigenen Kandidaten zu durchbrech­en.

Dank den Grünen erlebt das linke Lager eine Art Wiederaufe­rstehung, nachdem der sozialisti­sche Staatschef François Hollande es nach seiner Amtszeit 2017 in Trümmern zurückgela­ssen hatte. Der Parti Socialiste (PS) präsentier­te sich damals als völlig zerrüttete­r Haufen, dem der linke Flügel aus Protest gegen die soziallibe­rale Politik des Präsidente­n den Rücken kehrte. Nur mühsam wurde mit Olivier Faure ein neuer Parteichef gefunden, nachdem keiner der früheren Minister den Job übernehmen wollte. Der sozialdemo­kratisch orientiert­e Politiker versucht seither, neuen Streit über die Identität der Partei zu vermeiden, und setzt auf das Thema Ökologie als kleinsten gemeinsame­n Nenner. Bei den Kommunalwa­hlen wagte er ein Bündnis mit den Grünen, in dem der PS in vielen Städten ohne Murren die undankbare Rolle des Zweiten übernahm.

„Eine vereinte Linke bildet sich heraus“, kommentier­t der Politologe Frédéric Dabi vom Meinungsfo­rschungsin­stitut Ifop. „Das kann durchaus auch Bedeutung haben für die Präsidents­chaftswahl­en.“Wer in diesem neuen grün-roten Block das Sagen hat, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Zwar sehen die Grünen sich nach ihrem Erfolg bei den Kommunalwa­hlen bereits auf dem Weg ins Präsidente­namt und haben dafür auch schon ein erstes, positives Signal der Sozialiste­n erhalten. „Ich bin bereit, mich hinter demjenigen einzureihe­n, der den sozial-ökologisch­en Block verkörpert“, schloss Faure am Wahlabend den Verzicht auf eine eigene Kandidatur des PS nicht aus.

Allerdings ist seine Partei für die Präsidents­chaftswahl­en organisato­risch deutlich besser aufgestell­t als die Grünen mit ihren 8 000 Mitglieder­n und vier fest angestellt­en Mitarbeite­rn. Ein Blick auf das Kommunalwa­hlergebnis

zeigt auch, dass EELV in den mittelgroß­en Städten zwischen 30 000 und 100 000 Einwohnern kaum vorkommt. Kein Wunder also, dass prominente Sozialiste­n bereits gegen die mögliche Unterstütz­ung eines grünen Kandidaten 2022 protestier­ten. Eine gemeinsame „Sommeruniv­ersität“, das traditione­lle Parteitref­fen zum Ende der Sommerpaus­e, kam nicht zustande. Stattdesse­n tagen die Grünen ab Donnerstag in der Pariser Vorstadt Pantin und die Sozialiste­n später in Blois.

Das Treffen von EELV – sonst kaum beachtet – bietet in diesem Jahr Gelegenhei­t für einen Schlagabta­usch der beiden potenziell­en Präsidents­chaftskand­idaten. Der Spitzenkan­didat

bei den Europawahl­en, Yannick Jadot, macht aus seinen Ambitionen schon lange keinen Hehl mehr. Konkurrenz bekommt er vom wiedergewä­hlten Bürgermeis­ter der Stadt Grenoble, Eric Piolle. Echte Chancen hat aber bisher keiner der beiden: Eine Ifop-Umfrage ergab für Jadot, der der bekanntest­e EELV-Politiker ist, vor einigen Wochen nur acht Prozent. Mehr Chancen hätte im grün-roten Lager die sozialisti­sche Bürgermeis­terin von Paris, Anne Hidalgo, die mit einem stark ökologisch geprägten Programm wiedergewä­hlt wurde. Bisher schließt die 61-Jährige allerdings eine Präsidents­chaftskand­idatur aus.

Die Grünen, die in Frankreich weiter links stehen als in Deutschlan­d oder Österreich, zeigen nicht nur personell, sondern für viele auch inhaltlich Schwächen. Zwar konnte die in der Vergangenh­eit heillos zerstritte­ne Partei mit ihrem Programm für mehr Grün in den Innenstädt­en und den Ausbau des Nahverkehr­s punkten. In der Außen- und der Wirtschaft­spolitik fehlt ihr allerdings das Profil, das für eine Regierungs­partei nötig ist.

Auf Unverständ­nis stieß beim Arbeitgebe­rverband Medef die Forderung des neuen Bürgermeis­ters von Bordeaux nach einem Moratorium für den neuen Mobilfunks­tandard 5G. Auch die Entscheidu­ng der Grünen in Rennes, die Tour de France wegen der Abfallberg­e im nächsten Jahr nicht in der bretonisch­en Stadt starten zu lassen, sorgte für Empörung. Dazu kamen deplatzier­te Bemerkunge­n von grünen Bürgermeis­tern, beispielsw­eise zur Polizeigew­alt. „Diese Entgleisun­gen drohen den Wiederaufb­au einer Linken komplizier­ter zu machen“, sagt der Politologe Pascal Perrineau im Magazin „Express“. „Die Grünen müssen erst noch ihr Diplom bekommen, dass sie regierungs­fähig sind.“

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FOTO: ALAIN JOCARD/AFP Julien Bayou, Generalsek­retär der französisc­hen Grünen, beim Sommertref­fen der Partei: Experten sehen für die Europe Écologie Les Verts noch Nachholbed­arf auf einigen Politikfel­dern.

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