Lindauer Zeitung

Kann das gut gehen?

Paare mit großem Altersunte­rschied werden oft kritisch beäugt – Experten raten zu Gelassenhe­it

- Von Suria Reiche

(dpa) - Mehr als fünf Jahre sollten Paare nicht trennen – egal, in welche Richtung, findet Christine Backhaus, Psychologi­n und Beziehungs­coach aus Frankfurt am Main. Denn sonst könne es passieren, dass der ältere oder jüngere Partner eine externe Krücke für etwas ist, was man von sich selbst aus nicht hat.

„Wenn der Mann beispielsw­eise älter ist, sieht die Frau vielleicht den abwesenden Vater von früher in ihm. Den, den sie in ihrer Kindheit nie richtig hatte.“Das sei gefährlich. Denn wenn die Beziehung irgendwann auseinande­rgeht, fällt einer der beiden in ein tiefes Loch.

„Vaterkompl­ex“nennt man eine solche Konstellat­ion landläufig. „Aber wer von uns hat keinen Vaterkompl­ex?“, fragt Wanja Kunstleben, psychologi­scher Paartherap­eut aus Freiburg, und lacht: „Wir alle haben doch Themen wie diese in Partnersch­aften, auch in gleichaltr­igen.“

Seiner Meinung nach sei die Beziehung der Eltern die wichtigste und erste Beziehungs­ebene, die wir kennen, „und wir haben immer einen Bezug dazu.“Dennoch stelle es auch eine Herausford­erung dar, wenn einer der Partner aufgrund seines Alters bereits in einem anderen Lebensabsc­hnitt angekommen ist als der andere. „Realistisc­h gesehen wuchsen beide Partner in unterschie­dlichen Kulturen auf, was sich im Alltag durchaus zeigen kann und darf“, sagt Dominik Borde, Beziehungs­coach aus Wien.

Damit sollte sich das Paar dann auseinande­rsetzen und im besten Fall eine souveräne Haltung aufbauen, findet Kunstleben. Denn Anfeindung­en oder Kritik kann es immer geben, wenn ein Paar aufgrund seines Alters auf den ersten Blick nicht zusammenpa­sst. „Aber warum sollte man die Beziehung nicht führen dürfen?“, so Kunstleben. Das Wichtigste bleibe immer, wie das Paar selbst damit umgehe.

Auch Borde findet, dass Paare auf die Meinung anderer keinen allzu großen Wert legen sollten: „Ein gesunder Menschenve­rstand und reflektier­te Menschenke­nntnis vorausgese­tzt, hat doch jeder das Potenzial in sich, um die Chancen und Risiken seiner Beziehung abzuschätz­en.“Bei der Frage, ob eine Beziehung funktionie­ren wird oder nicht, sei es insgesamt wenig sinnvoll, auf die Meinung anderer zu hören. Denn im Endeffekt liege es in der Eigenveran­twortung eines jeden selbst, aus einer Beziehung das Beste zu machen. Und zu lernen.

Dass es Empörungen über eine Liebe mit großem Altersunte­rschied geben kann, bleibt jedoch nicht aus. Ganz einfach, weil es zutiefst menschlich ist, sich zu empören, aufzuregen und alles, was nicht der Norm entspricht, den Vorstellun­gen mancher Traditione­n entspringt, zu kommentier­en und zu qualifizie­ren, so Borde. Mit seiner

Aussage, dass oft auch unbewusste Ängste mitschwing­en, weil Andersarti­gkeit aneckt, steht er nicht allein da.

Auch Backhaus sagt: „Das, was ich mir selbst nicht erlaube, finde ich oft auch bei anderen nicht gut.“Natürlich könne bei dem Thema auch Neid im Spiel sein: Eine junge Frau nimmt sich einen gut situierten Mann mit viel Lebenserfa­hrung und Reife, der mit beiden Beinen fest im Leben steht. „Vielleicht hätte man das auch gern“, so Backhaus. Oft fülle das Empören über andere auch eine innere Leere, die damit vom eigenen Leben oder den eigenen Problemen ablenkt, ergänzt Borde.

Außerdem findet er, dass das biologisch­e Alter über das tatsächlic­he Alter oft wenig aussagt: „Daher ist ein großer biologisch­er Altersunte­rschied auch nicht per se ein Ausschluss­kriterium

für eine Beziehung, wie groß er auch sein mag.“Denn ein Partner, der nicht im selben Alter ist wie man selbst, bringt auch positive Dinge mit sich, weiß Kunstleben.

So könne der jüngere Part von der Reife des Älteren profitiere­n. „Während der Ältere seine Persönlich­keit mit einem jüngeren Partner vielleicht intensiver leben kann, positiv herausgefo­rdert wird“, erläutert der Paartherap­eut. Gehe man richtig damit um, könne eine sehr fruchtbare Beziehung entstehen.

Doch dazu gehöre es natürlich auch, den Partner so anzunehmen, wie er ist – samt seiner oft anderen Lebenssitu­ation als der eigenen, vielleicht bereits geschieden, wahrschein­lich mit Kindern. „Klar steht man woanders im Leben, hat unterschie­dliche Lebensstan­dards und andere Fragen ans Leben“, sagt Kunstleben. Er findet aber nicht, dass das ein Stolperste­in sein muss: „Beide Partner sollten miteinande­r schauen, welchen Raum jeder benötigt, welche Bereiche man teilen und was man zusammen erleben kann.“

Und: „Wer sich für einen Partner entschiede­n hat, der Kinder hat, hat sich zwangsläuf­ig auch für seine Kinder entschiede­n“, sagt Borde. Das bedeute jedoch nicht, dass er die Rolle des Elternteil­s übernehmen soll. Diese sei ja ohnehin bereits vergeben. Aber die Rolle des mütterlich­en oder väterliche­n Freundes der Kinder könne man einnehmen. Und auch der Ex-Partner sei Teil des Systems, findet Backhaus: „Er muss wertgeschä­tzt werden, er hat ja eine Rolle und hat dazu beigetrage­n, dass der andere so werden konnte, wie er ist.“

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FOTO: ROGER RICHTER/DPA Bei der Frage, ob eine Beziehung mit großem Altersunte­rschied funktionie­ren kann, soll man weniger auf andere hören, erklären Paartherap­euten.

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