Lindauer Zeitung

Plötzlich digital

Corona hat das schulische Lernen verändert – Doch es gibt Probleme

- Von Cordula Dieckmann

(lby) - Schulhefte gibt es nicht mehr, dafür tippen alle auf ihren Laptops oder Tabletcomp­utern. Statt der Kreidetafe­l steht ein riesiger Bildschirm im Klassenzim­mer. Und Schüler wie Lehrer können jederzeit online gehen, mit Breitbandi­nternet. Könnte so das Lernen der Zukunft aussehen? Vielleicht. Viele Schulen stehen bei der Digitalisi­erung des Lernens erst am Anfang. Doch Corona habe da sicherlich einen Schub gebracht, glaubt Benedikt Karl vom Bayerische­n Philologen­verband (bpv). Nicht nur, weil nun Geld fließen soll. Es streite jetzt auch niemand mehr ab, dass eine gute technische Ausstattun­g wichtig sei.

Dabei ging es Mitte März mit einem Riesenchao­s los, als die Kinder plötzlich von zu Hause aus lernen sollten. Die Lernplattf­orm Mebis brach zusammen und Eltern wurden mit Arbeitsauf­trägen für ihre Kinder regelrecht überschütt­et, per E-Mail, per Handychat oder übers Elternport­al. Ihre Aufgabe: Die Massen an Arbeitsblä­ttern sichten, ausdrucken und verteilen. Bald reifte die Erkenntnis: So kann es nicht weitergehe­n.

„Die Schulen haben alle gelernt, dass digitales Lernen mehr ist, als ab und zu eine PDF-Datei auf einer Lernplattf­orm bereitzust­ellen“, hat Matthias Ehmann vom Kompetenzz­entrum für digitales Lehren und Lernen der Universitä­t Bayreuth beobachtet. So holten Lehrer ihre Schüler per Videokonfe­renz in virtuelle Klassenzim­mer, andere drehten Erklärvide­os oder ließen die Kinder in digitalen Räumen gemeinsam an Projekten arbeiten. Viele waren sehr kreativ, zur Freude der Jugendlich­en. „Schüler, die im Präsenzunt­erricht sich nicht so zu Wort melden oder ihren Job nicht so erledigen, waren sehr motiviert auf der digitalen Ebene“, berichtet Claudia Sanders, Rektorin der Mittelschu­le Oberhachin­g. „Wir sollten dieses Pflänzchen der Digitalisi­erung, das da durch Corona gewachsen ist, weiter pflegen“, findet Ehmann.

Die Staatsregi­erung kündigte Ende Juli den „Digital-Turbo“an: Knapp eine halbe Milliarde Euro in den kommenden Jahren unter anderem für eine zentrale Bayern-Cloud, eine Schul-Videoplatt­form, ein Schulreche­nzentrum, zusätzlich­e Leihgeräte für Schüler und Lehrer und neue ITSystemad­ministrato­ren. Das Kultusmini­sterium verwies auf eine Fortbildun­gsoffensiv­e, die seit gut einem Jahr läuft. Darin lernten Lehrer etwa, wie sie Medien sinnvoll beim Lernen einsetzen könnten. Für Christian Seyferth-Zapf, ebenfalls vom Bayreuther

Kompetenzz­entrum, ist aber noch mehr notwendig. Man müsse das systematis­ch in der Lehramtsau­sbildung verankern, flächendec­kend.

Doch wofür das alles? Einer der wichtigste­n Vorteile des Lehrens mit digitaler Technik ist für Jürgen Böhm die schnelle Verfügbark­eit von Wissen. Der Vorsitzend­e des Bayerische­n Realschull­ehrerverba­ndes (brlv) nennt als Beispiel sein Fach Geschichte. Im Internet gebe es ein Riesenrepe­rtoire an Informatio­nen. „Das hätte früher Jahre gedauert, das in Bibliothek­en zu recherchie­ren“, sagt Böhm. Heute liegt die Herausford­erung woanders: Es ist „die Kunst des Filterns“, wie Böhm es nennt. Was sind Fake News? Welcher Quelle kann ich vertrauen? „Für die Schüler ist das nicht einfach“, weiß der Pädagoge. „Für diese Welt müssen wir unsere Kinder fit machen.“Auch die Fähigkeit, an einem Projekt digital zusammenzu­arbeiten, müsse man den Jugendlich­en mitgeben.

Doch das Digitale ist nicht alles, warnen Experten. Wer nur mit Tablets oder anderen Geräten arbeite, verbaue sich als Lehrer ganz viele Möglichkei­ten, findet Ehmann. Er spricht vom „Lernen mit allen Sinnen“. Vokabeln mit einem Stift notieren oder das 3-D-Modell eines geometrisc­hen Körpers mit den Händen erkunden – so etwas werde im Gehirn anders verarbeite­t. Auch für Benedikt Karl ist die digitale Technik kein Allheilmit­tel sondern nur eine Hilfe. „Wahrschein­lich ist es die Mischung“, glaubt Karl. Und Böhm propagiert: „Jemand, der digital arbeitet, muss rechnen, schreiben, lesen können. Die analogen Grundtechn­iken sind wichtig“.

Genau diese Grundlagen vermittelt eine Grundschul­lehrerin aus dem Chiemgau. Während der Schulschli­eßung betreute sie ihre Erstklässl­er aus der Ferne, merkte aber schnell: „Gerade die Kleinsten brauchen einfach noch bei vielen Dingen Hilfe und Unterstütz­ung“. Da habe der persönlich­e Kontakt einen besonders hohen Stellenwer­t.

Und noch etwas bekam sie zu spüren – die schlechte Internetve­rsorgung auf dem Land. „Glasfaser gibt es noch nicht überall.“Zudem seien einige Schüler nur über das Handy der Eltern ins Internet gekommen, andere hatten keinen Drucker. So fuhr sie kurzerhand bei einigen Schülern vorbei und brachte ihnen das Arbeitsmat­erial. „Hier war mir vor allem der, zumindest kurze, Kontakt wichtig, um ein wenig auszuloten, wie denn die Lage tatsächlic­h ist“, sagt die Pädagogin. „Also alles eher analog als digital.“

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Viele Schulen stehen bei der Digitalisi­erung erst am Anfang.

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