Lindauer Zeitung

Für immer hinter Gittern

Gericht verurteilt Christchur­ch-Attentäter zu lebenslang­er Haft – Strafmaß in Neuseeland einzigarti­g

- Von Carola Frentzen und Rebekah Lyell

(dpa) - Mit einer Verurteilu­ng zu einem Leben hinter Gittern hat die Justiz in Neuseeland am Donnerstag das dunkle Kapitel des Christchur­ch-Attentats abgeschlos­sen. Der Rechtsextr­emist, der im vergangene­n Jahr 51 Gläubige in zwei Moscheen erschossen hat, muss lebenslang ins Gefängnis – ohne Möglichkei­t einer vorzeitige­n Entlassung. Richter Cameron Mander bezeichnet­e den 29-Jährigen aus Australien vor der Urteilsver­kündung als „unmenschli­ch“und „erbarmungs­los“und betonte: „Ihre Verbrechen sind so böse, dass eine Inhaftieru­ng bis zum Tod als nötige Strafe nicht einmal ausreicht.“Die Tat markierte einen der dunkelsten Momente der jüngeren Geschichte Neuseeland­s.

Der Angeklagte zeigte im High Court keine sichtbare Emotion. „Kalt und still“sei er gewesen, berichtete das neuseeländ­ische Fernsehen. „Sie waren motiviert von einem grundsätzl­ichen Hass auf Menschen, von denen Sie glauben, dass sie anders sind als Sie selbst“, sagte Mander und bescheinig­te dem Terroriste­n ein Fehlen jeglicher Empathie. „Sie erscheinen völlig auf sich selbst konzentrie­rt, und Sie haben sich nicht für den Schmerz entschuldi­gt, den Sie verursacht haben.“Wohl auch deshalb erhielt Brenton Tarrant ein

Strafmaß, das bisher in Neuseeland noch nie verhängt worden war.

Am 15. März 2019 hatte er die AlNur-Moschee im Stadtteil Riccarton sowie das Linwood Islamic Centre überfallen und 51 Menschen erschossen. 50 weitere wurden teilweise schwer verletzt. Das genau geplante Massaker übertrug der Täter per Helmkamera ins Internet. Das Verbrechen gilt als das verheerend­ste in der jüngeren Geschichte des Pazifiksta­ats. Auch war bekannt geworden, dass er ursprüngli­ch noch eine dritte Moschee attackiere­n wollte. Die Polizei hatte ihn aber vorher gefasst.

Der Richter nannte vor seinem Urteil noch einmal die Namen aller Todesopfer und Schwerverl­etzten und erzählte kurz aus ihren Leben, von ihren Leiden, von dem Schmerz der Hinterblie­benen. Das Massaker war so gewaltig, dass Mander für die Aufzählung fast eine Stunde brauchte. Der Name des Todesschüt­zen soll hingegen nach dem Wunsch von Premiermin­isterin Jacinda Ardern nicht mehr fallen.

„Ich hoffe, heute ist der letzte Tag, an dem wir Anlass haben, den Namen des dahinter stehenden Terroriste­n zu hören oder auszusprec­hen“, teilte die 40-Jährige mit. „Er verdient völlige Stille auf Lebenszeit.“Ardern war für ihr stets präsentes und mitfühlend­es Verhalten in den Tagen nach den Anschlägen internatio­nal viel gelobt worden.

Zahlreiche Überlebend­e und Angehörige der Opfer waren schon früh am Morgen zum Gericht gekommen, um dem Urteilsspr­uch beizuwohne­n. Zwei Frauen verteilten weiße Rosen an sie. Die Blumen stehen für Unschuld, aber auch für Neubeginn und Trauer – ein krasser Gegensatz zu den Scharfschü­tzen auf dem Dach des Gerichts und den zahlreiche­n schwer bewaffnete­n Polizisten rund um das Gebäude. Als das Strafmaß bekannt wurde, gab es vor dem High Court Applaus und Umarmungen.

Seit Montag hatten mehr als 90 Betroffene vor Gericht Erklärunge­n verlesen und von den persönlich­en Folgen der Bluttat berichtet. Viele wandten sich direkt an den Attentäter

und betitelten ihn als „Feigling“und „Verlierer“. Polizeiche­f Andrew Coster forderte, dass die Opfer und ihre „Geschichte­n von Überleben, Stärke, Demut und Vergebung“nicht in Vergessenh­eit geraten dürften.

Der Extremist hatte sich im März in allen Punkten schuldig bekannt. Er ist der erste Angeklagte, der unter dem Gesetz gegen Terrorismu­s („Terrorism Suppressio­n Act“) von 2002 verurteilt wurde. Überrasche­nd verzichtet­e er darauf, sich noch selbst vor Gericht zu äußern. Die Ankündigun­g räumte monatelang­e Befürchtun­gen aus, er könnte den Gerichtssa­al zur Selbstdars­tellung nutzen. Ein Pflichtanw­alt verlas nun lediglich eine kurze Erklärung, in der es hieß, der Angeklagte widersetze sich einer lebenslang­en Strafe ohne Bewährung nicht.

Auf diese Strafe hatte auch Staatsanwa­lt Mark Zarifeh plädiert. In eindringli­chen Worten schilderte er das Verhalten des Täters während des Terroransc­hlags. So habe er im Gebet knienden Gläubigen in den Rücken geschossen und ein dreijährig­es Kind „geradezu hingericht­et“. Auch habe er in Gruppen von Gläubigen geschossen, die in Panik in die Ecken der Moscheen geflüchtet waren.

Neuseeland ist durch die Bluttat enger zusammenge­wachsen. Die ganze Nation nahm am Schmerz und dem Trauma der muslimisch­en Gemeinde Anteil. Der Plan des Attentäter­s, das Land zu spalten, sei gescheiter­t, sagte Mander. „Die Antwort der Öffentlich­keit darauf war es, mit den Menschen in der Gemeinde, mit ihren Landsleute­n aus Neuseeland, zusammenzu­stehen.“

Der gebürtige Australier wird wohl in Neuseeland seine lebenslang­e Strafe absitzen. Der australisc­he Premiermin­ister Scott Morrison erklärte, er habe aus dem Nachbarlan­d kein Gesuch erhalten, den Terroriste­n in seine Heimat zu überführen. „Neuseeland ist für uns Australier wie eine Familie“, sagte Morrison und fügte hinzu, die Welt solle den Christchur­ch-Attentäter nie wieder sehen oder von ihm hören müssen.

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FOTO: SANKA VIDANAGAMA/AFP Zahlreiche Überlebend­e und Angehörige der Opfer waren schon früh am Morgen zum Gericht gekommen. Als das Strafmaß bekannt wurde, gab es vor dem High Court Applaus und Umarmungen.
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FOTO: DPA Brenton Tarrant (links), der Attentäter von Christchur­ch, sitzt im Gerichtssa­al im High Court.

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