Angebliche Diebstähle, vorgetäuschte Schäden
Versicherungen befürchten wegen der Corona-Krise mehr Betrugsfälle, sowohl im privaten als auch im gewerblichen Bereich
- Das Internet und die Corona-Krise bringen offenkundig auch bisher Unbescholtene auf die schiefe Bahn. Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) beobachtet einen Anstieg der Betrugsfälle bei Schadensmeldungen. „Zehn Prozent der Menschen haben schon einen Betrug begangen oder davon Kenntnis“, sagt Rüdiger Hackhausen, der beim GDV die Kriminalitätsbekämpfung leitet. Den jährlichen Schaden beziffert der Verband auf rund fünf Milliarden Euro.
Einen Trend sieht Hackhausen zum Beispiel bei angeblichen Diebstählen in Boutiquen, bei denen Saisonware wie etwa Sommerbekleidung gestohlen worden sein soll. Die Ware habe offenbar nicht verkauft werden können, vermutet der GDV. Das hält der Verband für eine Folge der Corona-Krise, die einige Händler in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht hat.
Auch bei Privatleuten zeichne sich ein Trend ab. Beliebt sind hier Schäden an elektronischen Geräten wie Fernsehern, die auf Kredit gekauft worden sind. Mit einer Zunahme bei den privaten Insolvenzen infolge einer steigenden Arbeitslosigkeit rechnet Strafrechtsanwalt Abdou Gabbar mit steigenden Fallzahlen. „Die Gruppe der Gelegenheitsbetrüger wird zunehmen“, vermutet der Jurist.
Das Internet wiederum spielt vor allem bei jüngeren Versicherten als Tipp- und Tricklieferant eine Rolle. Potenzielle Täter versorgen sich im Netz zum Beispiel mit Informationen über eine unverdächtige Formulierung von Schadensfällen oder mit Fotos, die diesen glaubhaft machen sollen. Letztere werden auch mit Bildbearbeitungsprogrammen so manipuliert, dass sie den Prüfer der Versicherung überzeugen. Die Kontrolleure haben sich darauf jedoch technisch längst eingestellt und erkennen Fake-Fotos. Am häufigsten wird in den Sparten getrickst, in denen Betrug vergleichsweise einfach ist. Das sind Fälle für die Haftpflichtund Hausratversicherung. „Wenn ein neues iPhone präsentiert wird, sind plötzlich viele alte iPhones vom Tisch gefallen“, veranschaulicht Hackhausen eine gängige Praxis. Drei typische Muster gibt es. So werden gar nicht versicherte Schäden durch Freunde bei deren Versicherung angemeldet. Auch wird die Höhe des Schadens übertrieben oder ein gar nicht existenter Schaden gemeldet.
Eine repräsentative Umfrage des GDV ergab zwar, dass die große Mehrheit der Versicherten ehrlich sind. Doch immerhin zehn Prozent halten Betrugsversuche für ein Kavaliersdelikt. Nur jeder zweite hält die Aufdeckung der Tat für unwahrscheinlich. Hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen. So hat jeder Fünfte im Alter bis 29 Jahre Verständnis für übertriebene Angaben, um mehr Geld zu erhalten. Bei den über 50-Jährigen sind es nur noch acht Prozent. „Die Naivität ist in der jüngeren Zielgruppe stärker ausgeprägt“, sagt Studienleiter Markus Schmidt vom Meinungsforschungsinstitut Infas quo.
Wie viele Fälle es konkret gibt und wie viele Täter die Versicherungen überführen, behalten die einzelnen Unternehmen lieber für sich. Kommt es zur Anzeige, müssen die Betrüger sich auf Strafen bis hin zum Gefängnis einstellen. Ersttäter kommen laut Gabbar in der Regel noch mit einer Geldstrafe davon. Bei Wiederholungstätern und hohen Schäden sind die Richter schon deutlich strenger. Beträgt der Schaden über eine Million Euro ist keine Bewährungsstrafe mehr vorgesehen. Das bedeutet für den Angeklagten die Aussicht auf mehr als zwei Jahre Haft.
Bei den Betrügern hat der Strafrechtler drei Typen ausgemacht. Gelegenheitstäter erliegen dem Reiz des Geldes, wenn sie in eine wirtschaftliche Notlage geraten. Dazu gehören etwa Unternehmer, die kurz vor der Insolvenz stehen. Zweite Tätergruppe sind die Profis. „Die sehen Betrug als Job an“, sagt Gabbar. Die Berufskriminellen wüssten genau, was sie tun, und hätten es allein auf das Geld abgesehen. Schließlich gibt es noch notorische Betrüger, die sich völlig uneinsichtig zeigen und häufig an einer Persönlichkeitsstörung leiden.