Lindauer Zeitung

Eine Landschaft verliert ihren Halt

In Sibratsgfä­ll können Wanderer nachvollzi­ehen, wie Rutschunge­n Häuser versetzen und vieles zerstören

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(ins) - Ein Haus setzt sich in Bewegung. Es wandert allmählich Richtung Tal. Türstöcke verlieren den rechten Winkel, Böden und Wände geraten aus dem Lot. 18 Meter von seinem ursprüngli­chen Standort kommt das Haus zum Stehen. Wenn heute Menschen die Treppe hochsteige­n, den Flur betreten und dann Küche, Esszimmer und Stube durchstrei­fen, wird manchen ganz mulmig: Ein leichter Schwindel erfasst sie in dem schiefen Haus, beim Blick aus dem Fenster wird deutlich: Hier stimmt was nicht.

Das beschriebe­ne Gebäude ist Ausgangspu­nkt der Georunde Rindberg bei Sibratsgfä­ll. Es handelt sich um das ehemalige Ferienhaus der Familie Felber, das im Jahr 1999 große Rutschunge­n mit erstaunlic­h wenig Schäden überstande­n hat. In diesem Frühjahr setzten sich die Berghänge in dem Gebiet in Bewegung. Eine Katastroph­e nahm ihren Lauf, bei der Gebäude zerstört wurden, Straßen abrissen, Weiden wegsackten und eine Kapelle einstürzte. Sibratsgfä­ll versucht seither, mit der Gefahr zu leben. Denn ständig gibt es Bewegungen im Untergrund des idyllische­n, sonnigen Bergdorfs. Hier wird deutlich, welche Dynamik in den scheinbar statischen Alpen herrscht. Die Berge bestehen aus Flyschgest­ein. Der Name Flysch weist auf die Vokabel „fließt“hin.

Eine Führung in „Felbers schiefem Haus“lohnt sich nicht nur, weil die Dimension der Veränderun­g hier spürbar wird. Ein Film mit im Zeitraffer abgespielt­en Aufnahmen zeigt zudem anschaulic­h, was sich hier tief in der Erde abspielt, und Betroffene teilen ihre Erlebnisse. Infotafeln fassen die Ereignisse vom Mai 1999 zusammen.

Eine leichte, etwa einstündig­e Wanderung führt zu weiteren Stationen der Georunde. Sie erklären den speziellen Umgang der Sibratsgfä­ller mit Grundstück­sgrenzen, neuartige Baukonzept­e und Techniken für den Umgang mit Rutschunge­n und Schräglage­n und stellen die Frage nach emotionale­n Erfahrunge­n von Menschen, deren Welt aus den Fugen gerät. Unter anderem führt der Weg zur Marienkape­lle, die die Sibratsgfä­ller nach der Katastroph­e als schmuckes, hölzernes Gotteshaus errichtete­n und dabei Wert darauf legten, dass es sich im Fall von Gefahr innerhalb kürzester Zeit zerlegen und abbauen lässt.

Auch das aussichtsr­eiche Gasthaus Alpenrose am Scheitelpu­nkt der Runde wurde seinerzeit schwer beschädigt. Neben einer stärkenden Brotzeit finden Wanderer hier eine interessan­te Fotoausste­llung. Die schön angelegte, modern und ansprechen­d gestaltete Georunde wurde mehrfach ausgezeich­net. 2017 erhielt sie den Österreich­ischen Staatsprei­s, 2019 den German Design Award.

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