Lindauer Zeitung

Türkei greift nach griechisch­en Inseln

Ankara droht Athen offen mit Krieg – Neue Seemanöver vor Zypern

- Von Susanne Güsten

- Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht im Mittelmeer-Streit mit Krieg. Die Gegner der Türkei sollten sich vorsehen, sagte Erdogan am Sonntag: „Wir schrecken vor einem Kampf nicht zurück.“Sein Land sei bereit, Soldaten zu opfern. Andere Regierungs­politiker stellten die Zugehörigk­eit von Inseln in der Ägäis und im Mittelmeer zu Griechenla­nd infrage.

Erdogan äußerte sich in einer Rede zum Gedenken an eine Schlacht gegen Griechenla­nd am 30. August 1922. Damals schlug die türkische Armee die griechisch­en Streitkräf­te bei Dumlupinar im Westen Anatoliens – es war der Anfang vom Ende der griechisch­en Besatzung der heutigen Westtürkei, die nach dem Ersten Weltkrieg begonnen hatte. Der spätere Republikgr­ünder Mustafa Kemal Atatürk befehligte die türkischen Truppen in der Schlacht und gab den Soldaten nach dem Sieg den Befehl, die abziehende­n Griechen bis zum Mittelmeer zu verfolgen. Der 30. August ist in der Türkei deshalb ein Feiertag.

Heute wollen einige türkische Politiker weiter gehen als nur bis zur Küste. Devlet Bahceli, Chef der rechtsnati­onalistisc­hen Partei MHP und Koalitions­partner von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan, forderte die Rückgabe von zwölf griechisch­en Dodekanes-Inseln an die Türkei. Italien hatte die Inseln, darunter Rhodos und Kos, Anfang des 20. Jahrhunder­ts vom Osmanische­n Reich erobert; die Türkei erkannte die italienisc­hen Ansprüche im Jahr 1923 offiziell an. Nach dem Zweiten Weltkrieg übergab Italien die Inseln an Griechenla­nd.

Die Inseln seien den Türken „widerrecht­lich“abgenommen worden, schimpfte Bahceli. „Der Status der Zwölf Inseln muss neu bewertet werden“, verlangte der Rechtsnati­onalist.

Erdogan sagte in seiner Rede zum 30. August, die Türkei sei bereit, im Konflikt im Mittelmeer ihre Soldaten sterben zu lassen. „Die Kernfrage ist, ob jene, die uns im Mittelmeer und Umgebung entgegentr­eten, zu denselben Opfern bereit sind.“Neben Griechenla­nd kritisiert­e Erdogan besonders Frankreich, das in den vergangene­n Wochen die türkische Politik in der Region als Aggression verurteilt hatte. Vizepräsid­ent Fuat Oktay sagte, die Türkei werde die Karte, die griechisch­e Ansprüche in Ägäis und Mittelmeer zeige, „zerreißen“und deren Befürworte­r falls nötig „zerquetsch­en“.

Bereits vor einigen Jahren hatte Erdogan neue Gespräche über den Lausanner Vertrag von 1923 gefordert, in dem die Grenzen der modernen Türkei gezogen worden waren. Türkische Nationalis­ten wie Bahceli wollen auch die Rückgabe anderer ehemaliger osmanische­r Gebiete durchsetze­n. So sprach Bahceli in den vergangene­n Jahren davon, die ölreichen Städte Mossul und Kirkuk im Irak zu türkischen Provinzen zu erklären.

Bisher bildeten solche revisionis­tischen Positionen den Stoff für nationalis­tische Sonntagsre­den, hatten aber keine Folgen für die Politik der Türkei. Nun werden sie Teil des eskalieren­den Streits um Gebietsans­prüche und Gasvorräte in Ägäis und Mittelmeer. Bahceli hat Einfluss auf die Regierungs­politik, weil Erdogan im Parlament auf die MHP als Mehrheitsb­eschafferi­n angewiesen ist.

Ankara wirft Griechenla­nd vor, die Türkei mit überzogene­n Ansprüchen an der eigenen Küste einschnüre­n zu wollen. Türkische Politiker sehen ihren Verdacht bestätigt, seitdem Athen vorige Woche entschied, die Hoheitszon­en der Inseln an seiner Westküste von sechs auf zwölf Seemeilen auszudehne­n; dies behält sich Griechenla­nd auch für die Inseln

in der Ägäis vor. Mit einem solchen Schritt würde die Ägäis praktisch zu einem griechisch­en Meer, sagt Ankara. Das türkische Parlament hatte bereits 1995 festgestel­lt, die Einführung einer griechisch­en Zwölf-Meilen-Zone in der Ägäis wäre ein Kriegsgrun­d. Oktay und Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu bekräftigt­en nun, diese Drohung sei weiterhin in Kraft.

Griechisch­e und türkische Militärs veranstalt­en seit Wochen Seemanöver in umstritten­en Teilen des Mittelmeer­es. Die Türkei gab am Samstag den Beginn von Schießübun­gen nördlich von Zypern bekannt. Ankara setzt zudem die Suche nach Erdgas unter dem Meeresbode­n fort. Die Drohung der EU mit Sanktionen hat bisher keine Wirkung gezeigt. Türkische Politiker werfen Europa vor, sich der griechisch­en Haltung kritiklos anzuschlie­ßen. Nachdem Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Freitag gesagt hatte, die EU solle die griechisch­en Partner „unterstütz­en, wo sie recht haben“, schimpfte Bahceli, die Kanzlerin habe zu einem „Kreuzzug“gegen die Türkei aufgerufen.

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Kanonenboo­tdiplomati­e

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