Wo der Marktpreis entsteht
Erst recht in Krisen erfüllen Börsen eine wichtige Rolle für das Funktionieren von Märkten
- Man schrieb das 14. Jahrhundert, als eine Familie namens van de Beurse im flandrischen Brügge eine Art Gasthof betrieb, in den Kaufleute auf ihrem Weg zur Messe einzukehren pflegten. Der Name der Herberge leitete sich aus den drei Lederbeuteln (lateinisch: bursa) ab, die das Familienwappen schmückten. Wenn also die Kaufleute zu Brügge Geschäfte anbahnen wollten, so gingen sie „zu den Beursen“– eine Redewendung, die sich derart eingebürgert hat, dass bald auch die Kaufleute in anderen Städten ihre regelmäßigen Treffen „bei den Börsen“abhielten. Aber auch andere Merkmale der damaligen Börsen gelten bis heute. Im Jahr 1531 wurde schließlich in Antwerpen das erste richtige Börsengebäude errichtet. Ein besonderes Merkmal war schon damals, dass die gehandelten Waren nicht mit an die Börse gebracht wurden. Dies wäre teuer und umständlich gewesen. Ideal zum Handeln geeignet waren zunächst Wechselbriefe, später kamen Schuldscheine hinzu. So gesehen war die Börse von Anfang an ein Marktplatz im virtuellen Sinne. Hamburg ist Deutschlands älteste Börse und die zweitälteste Europas. 1558 gegründet, war sie zunächst ein Versammlungsort für Kaufleute. 1792 erfolgte die Gründung der New York Stock Exchange. 1861 ins Leben gerufen, ist die
Börse Stuttgart ein noch verhältnismäßig junger Handelsplatz.
Auf die immens gestiegene Bedeutung der Börsengeschäfte für die Volkswirtschaft reagierte der Gesetzgeber in Deutschland bereits 1896 mit einem eigenen Börsengesetz. Es weist die Börsenaufsicht den Bundesländern zu und regelt darüber hinaus die Verfassung der Handelsplätze, die Kursfeststellung und die Zulassung von Wertpapieren oder von Handelsteilnehmern. Die Börse kann gut mit einem organisierten Marktplatz verglichen werden, wo Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Man unterscheidet zwischen Wertpapier-, Waren- und Terminbörsen. Stets werden vertretbare, sogenannte fungible Güter gehandelt, die austauschbar sind nach Zahl, Maß oder Gewicht. Diese Güter wie Wertpapiere, Währungen oder Rohstoffe sind im Gegensatz zum Wochenmarkt während der Börsensitzung aber nicht vor Ort.
Der Handel funktioniert nach einheitlichen, von der Börse vorgegebenen Geschäftsbedingungen und nach den sogenannten Börsenusancen. Die Kurs-, genauer gesagt die Preisfeststellung erfolgt nach festen Regeln. Voraussetzung für einen funktionierenden Börsenbetrieb ist, dass sich alle Handelsteilnehmer gegenseitig akzeptieren – das heißt, sie können sich ihre Geschäftspartner nicht aussuchen. Es herrscht vielmehr ein Kontrahierungszwang. Alle Teilnehmer treten miteinander in Konkurrenz um das beste Angebot auf der Kauf- und Verkaufsseite. Dadurch entstehen Marktpreise. Im Gegensatz dazu gibt es in außerbörslichen Systemen „Ladenpreise“, die einseitig festgestellt werden. Preise und Umsätze der Börsen werden veröffentlicht und sind somit allen Anlegern zugänglich.
In der Geschichte der Börsen gilt die sogenannte TulpenzwiebelHausse im Holland der 1630er-Jahre immer noch als Prototyp einer Spekulationsblase. Binnen drei Jahren stiegen damals die Preise für die besonders begehrte Zwiebel „Semper Augustus“(„Allzeit erhaben“) um das Fünfzigfache auf den Wert eines Stadthauses in Amsterdam, bevor die Preise an einem einzigen Tag um 95 Prozent zusammenbrachen. Auch während der Finanzmarktkrise 2008 oder in dem drastischen Kursverfall zu Beginn der Corona-Pandemie spiegelte die Börse die Erwartungen des Kapitalmarkts an die weitere wirtschaftliche Entwicklung wider. So sackte der Dax 2009 auf 3600 Punkte ab, um keine sechs Jahre später im Juni 2014 die 10 000er-Schwelle zu durchstoßen. Zu Beginn der Corona-Krise war das deutsche Börsenbarometer drastisch um rund 40 Prozent in die Knie gegangen, um hernach wieder in ähnliche Höhen zu steigen. Derzeit hält der Dax sich trotz Corona hartnäckig bei etwa 13 000 Punkten. Im Kern aber offenbaren die jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrisen einen entscheidenden Vorteil der Börsen, der sonst vielfach übersehen wird: Börsen beziffern den Preis für bestimmte Güter, womit sie zur Transparenz und Funktionsfähigkeit von Märkten beitragen. Und das alles begann bereits im Wirtshaus der Familie van de Beurse im Brügge des 14. Jahrhunderts.