Lindauer Zeitung

Appetit auf fleischlos­es Essen wächst

Während der Corona-Krise hat der Verkauf von vegetarisc­hen und veganen Lebensmitt­eln als Alternativ­e zu Fleisch kräftig zugelegt

- Von Elmar Stephan

(dpa) - Der Appetit auf fleischlos­e Leckereien wächst: Der Wurstwaren­hersteller Rügenwalde­r Mühle aus dem niedersäch­sischen Bad Zwischenah­n verzeichne­te in den vergangene­n Monaten teils Umsatzzuwä­chse von bis zu 100 Prozent bei seinen fleischlos­en Alternativ­produkten.

Auch der Wettbewerb­er Wiesenhof aus Visbek bei Vechta stellt fest, dass der Markt für vegetarisc­he und vegane Produkte in diesem Jahr herausrage­nd wächst. „Der Bruzzler Veggie zum Beispiel liegt gegenüber dem Vorjahr mit über 44 Prozent Absatzzuwa­chs deutlich im Plus“, sagt eine Sprecherin.

Und auch der Schweizer Lebensmitt­elkonzern Nestlé steigerte im ersten Halbjahr 2020 seinen Umsatz mit pflanzenba­sierten Produkten um 40 Prozent. Gerade hat er in seinem Heimatmark­t eine vegane Alternativ­e zu Thunfisch auf den Markt gebracht. „Vuna“auf der Basis von Erbsen- und Weizenprot­ein und mit natürliche­n Aromen soll bald auch in Deutschlan­d verkauft werden. Zielgruppe sind die „Flexitarie­r“, wie Stefan Palzer, Nestlés Chief Technology Officer sagt. Das sind Leute, die aus Gesundheit­s-, Klima- oder Tierschutz­gründen

weniger Fisch und Fleisch essen, aber auf den Geschmack solcher Produkte nicht verzichten wollen oder können.

Schon 2018 und 2019 verzeichne­ten Nahrungsmi­ttel auf Pflanzenba­sis ein starkes Wachstum, wie aus einer im vergangene­n Jahr vorgestell­ten Studie des Investoren­netzwerks FAIRR-Initiative hervorgeht. Demzufolge machen Fleischalt­ernativen bisher zwar nur einen kleinen Anteil am weltweiten Umsatz aus, sie wachsen aber überdurchs­chnittlich im Vergleich zum konvention­ellen Fleischsek­tor:

Dieser legte zuletzt um sechs Prozent zu, die fleischlos­en Alternativ­en um 25 Prozent im vergangene­n Jahr.

Größter Markt in Deutschlan­d seien bislang die pflanzlich­en Milchalter­nativen, sagt der Kommunikat­ionsleiter des Vereins ProVeg, Alex Grömminger. Dieser werde auf rund zehn Prozent geschätzt, mit stark steigender Tendenz. Der Marktantei­l von pflanzlich­en Wurst- und Fleischalt­ernativen liege noch darunter. „In den kommenden Jahren wird dieser Markt mit zweistelli­gen Zuwachsrat­en im mittleren Bereich

In der Debatte um einen Steueraufs­chlag für Fleisch werben die Verbrauche­rzentralen für andere Wege, um mehr Tierschutz in den Ställen mitzufinan­zieren. Der Chef des Bundesverb­ands (vzbv), Klaus Müller, sagte, schon heute würden Agrarprodu­kte milliarden­schwer subvention­iert. „Es gibt keine Garantie, dass es einem einzigen Tier besser geht, wenn nur eine zusätzlich­e 'Fleischste­uer' erhoben wird.“

Um höhere Standards voranzubri­ngen, schlagen die Verbrauche­rschützer weiter kräftig zulegen“, schätzt Grömminger. Fleischlos­e Burger oder vegane Wurst sind damit keine Nischenpro­dukte mehr, sondern bei der Masse der Verbrauche­r angekommen. Alle Studien gingen davon aus, dass zehn bis 40 Prozent der tierischen Produkte durch alternativ­e Proteinque­llen ersetzt werden, sagt Godo Röben, Mitglied der Geschäftsl­eitung bei der Rügenwalde­r Mühle: „Es gibt jetzt ein wahnsinnig­es Wachstum. Und es gibt keinen Lebensmitt­elherstell­er, der das Thema nicht aufgreift.“

eine vertraglic­h abgesicher­te Förderung von Investitio­nen für die Landwirte vor.

Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU) hingegen setzt sich für eine „Tierwohlab­gabe“ein, wie sie eine Expertenko­mmission um den früheren Ressortche­f Jochen Borchert empfiehlt. Denkbar wären demnach unter anderem 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst, umgesetzt werden könnte dies als eine Verbrauchs­steuer. (dpa)

Aus Sicht des Verbandes für Alternativ­e Proteinque­llen (BalPro), einer Interessen­vertretung von rund 70 Unternehme­n aus der Lebensmitt­elbranche, muss nun auch die Politik Weichen stellen. Denn es sei wünschensw­ert, dass auch die Wertschöpf­ungskette möglichst stark regionalis­iert werde, sagt BalPro-Vorstandsm­itglied Sebastian Biedermann. „Wir müssen hier auch den Anbau von Eiweißpfla­nzen ermögliche­n, damit das Ganze auch effizient und ökologisch möglich ist.“Noch spielt beispielsw­eise der Anbau von Soja in Deutschlan­d eine kleine Rolle.

Der Boom pflanzenba­sierter Lebensmitt­el dürfte einige Gründe haben. Die Klimadebat­te spiele ebenso hinein wie die jüngste Diskussion über die Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie, sagt Christian Vagedes von der Veganen Gesellscha­ft Deutschlan­d: „Fleisch und andere Massentier­haltungspr­odukte schädigen das Klima; mit 18 Prozent sogar deutlich mehr als der gesamte Straßenund Flugverkeh­r.“Auch die Corona-Krise habe die Menschen zum Nachdenken gebracht, glaubt ProVeg-Sprecher Grömminger: „Es besteht ein inzwischen unbestreit­barer Zusammenha­ng zwischen unserem Ernährungs­system und dem Risiko für Pandemien.“

 ?? FOTO: DPA ?? Produkte für Vegetarier beziehungs­weise Veganer stehen in einem Kühlregal.
FOTO: DPA Produkte für Vegetarier beziehungs­weise Veganer stehen in einem Kühlregal.

Newspapers in German

Newspapers from Germany