Sommerserie
Wie ich Sie kenne, haben Sie den verordneten Rückzug und die Stille in der ersten Zeit der CoronaPandemie gar nicht als so bedrückend empfunden. Wie war das Frühjahr in Ihrem dörflichen Domizil?
Für mich war es wirklich eine Offenbarung. Ich war endlich mal ohne Besuch. Ich habe ja sonst immer ein offenes Haus, dauernd kommt jemand. Jetzt war ich ganz für mich, und ich habe gearbeitet und gearbeitet, mein Atelier hier ins ungenutzte Bistro verlegt. Wenn es irgendwie ging, habe ich im Garten gezeichnet, in die Blüten geguckt und war berauscht von der Bläue des Himmels, der seit meiner frühen Kindheit nicht mehr so blau war. Als der Autoverkehr wieder losging, hat er sich gleich wieder leise verschleiert.
Malen Sie immer noch die überdimensionalen, blutroten Mohnblüten, die Ihnen nach der Katastrophe von Tschernobyl von 1986 als die schönsten Symbole der Vergänglichkeit erschienen? Welche Motive sind Ihnen noch wichtig?
Zwei Jahre lang hatte ich mir mal Mohn-Verbot erteilt, weil große Mohnblüten überall erschienen waren, auch in der Werbung. Das hat mich geärgert, und ich dachte: Nie wieder Mohn. Dann habe ich hier in Diepoldshofen das alte Gasthaus Adler nutzen können, und ich komme in den Riesensaal rein und denke nur: Mohn, Mohn! Seither male ich wieder meine Blüten, sehr frei und zur Entspannung. Auch male ich Bäume, Blütenbäume. Und ich habe Schafe als Motiv entdeckt. Es interessiert mich, wie die Tiere einzeln und als Gruppe auftreten.
Nach der Trennung von ihrem Mann, dem Galeristen Ewald Schrade, haben Sie 1999 in Illereichen das Europäische Frauenforum gegründet. Diese Institution war auch so etwas wie ein Schutzund Entfaltungsraum für das weibliche Talent. Ist das heute immer noch nötig?
Das glaube ich wohl. Aber es wird leider nicht mehr bemerkt und nicht mehr genutzt. Ich habe das Angebot ganz massiv reduzieren müssen, es sind nur noch Literatur- und Schreibkurse im Programm, kein Tanz, kein Theater und keine Malerei.
Ausgefallene Messen, ruinierte Geschäfte – auch der Kunsthandel hat unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu leiden. Wie sieht es bei Ihnen denn mit der Galerie-Arbeit aus?
Durch die Corona-Geschichte habe ich beschlossen, hier auf dem Land keine Galerie im üblichen Sinn mehr zu machen, sondern jetzt mein Alterswerk zu schaffen und meine eigenen Arbeiten zu zeigen. Wenn ich etwas Neues habe, hänge ich es oben im Haus auf, und dann habe ich im Frühsommer eine Ausstellung gehabt bei meinem Sohn Tobias Schrade im Ulmer Fischerviertel, die war so erfolgreich wie ganz selten in meinem Leben.
Das Museum Biberach zeigt noch bis zum Herbst eine Ausstellung über oberschwäbische Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Auch Sie sind mit drei großen Bildern dabei. Fühlen Sie sich, wie der Titel heißt, „Ins Licht gerückt“?
Im Katalog habe ich einen Beitrag über Künstlerinnen aus meinem Leben geschrieben. Es waren traurige Geschichten von Diskriminierung. Es wird ja immer die Frage gestellt: Gibt es eine weibliche Kunst? Das können wir so überhaupt noch nicht beantworten. Frauenkunst existiert bis auf ein paar Ausnahmen ja praktisch erst seit dem letzten Jahrhundert. Es gibt vielleicht eine weibliche Vorliebe für gewisse Materialien wie Textiles oder Pflanzen zum Beispiel.
Sie sind ein Mensch, der sich nicht nur um die eigene Kunst gekümmert hat, sondern auch um die Förderung junger Leute, dazu um Häuser, Gärten, Küche, Kinder und Tiere. Wie haben Sie bloß immer dieses Multitasking geschafft?
Der Kunstbetrieb wird nach wie vor von Männern dominiert. In unserer Serie „Ateliergespräch“stellen wir bewusst Künstlerinnen vor. Sie alle leben und arbeiten in der Region von der Alb bis zum Bodensee.
Die Lebenskünstlerin Dorothea Schrade, 1943 in Reutlingen geboren, studierte in den 1960er-Jahren an der Stuttgarter Akademie bei Christoph Schellenberger und privat bei der Malerin Gudrun Trieb. 1973 eröffnete sie mit ihrem Mann Ewald Schrade die Kißlegger Schlosshofgalerie. 1985 verwandelte das Ehepaar Schrade das Barockschloss Mochental in eine moderne Galerie. Nach der Trennung sanierte sie die Alte Schule von Illereichen und gründete dort 1999 das Europäische Frauenforum. Seit 2005 residiert die Malerin im historischen Pfarrhaus von Diepoldshofen bei Leutkirch, richtete im ehemaligen Gasthaus des Dorfes ein Atelierhaus ein und schrieb jetzt ein Buch über ihr Leben: „O Fortuna, du Luder“. (bikö)
Das frage ich mich auch. Ich reduziere, aber habe ja immer noch Hunde, Katzen, Hühner, kümmere mich um Vögel, wollte jetzt ein Biotop anlegen. Ich finde, dass die ökologisch arbeitenden Bauern die eigentlichen Künstler sind. Überhaupt glaube ich, dass Menschen, die sich gegen den Strom stellen, Künstler sind, ob sie nun malen oder nicht. Künstlerisches Leben bedeutet, dass man anders sieht als die Mehrheit und andere Dinge anpackt, auch, dass man bereit ist, sich dafür verspotten zu lassen. Man muss alle Lebensbereiche einbeziehen in die Kunst. Die Expressionisten und die Künstler des Bauhaus’ haben das ähnlich gesehen, nur die Frauen haben sie doch wieder ausgeschlossen.