Lindauer Zeitung

Ein Sieg für Vater und Frankreich

Alaphilipp­e sorgt nach Sturz-Etappe für Tour-Traumstart – Buchmann schon fast voll da

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(SID) - Julian Alaphilipp­e stand mit Maske und im völligen Gefühlscha­os auf dem Siegerpode­st von Nizza, nach dem emotionals­ten Erfolg seiner Karriere blickte der Mann im Gelben Trikot berührt gen Himmel. „Diesen Sieg widme ich meinem verstorben­en Vater“, sagte der französisc­he Publikumsl­iebling, nachdem er seinen gebeutelte­n Landsleute­n inmitten der CoronaTris­tesse mit seinem Coup auf der zweiten Etappe einen Grund zum Feiern geliefert hatte.

Der über alle Maßen beliebte „Loulou“hatte im Juli seinen Papa verloren, ganz Frankreich zeitgleich um die Tour gezittert. Am Sonntag lief beides in Alaphilipp­es Triumph zusammen: Die Grande Nation darf unter verschärft­en Sicherheit­sbedingung­en mit zwei Monaten Verspätung ihr auf die Reise gegangenes Nationalhe­iligtum bewundern, und Alaphilipp­e konnte dem Vater ein spätes Geschenk machen – ein überwältig­endes Erlebnis.

„Es erfüllt mich mit Stolz. Das Gelbe Trikot zu tragen, ist eine große Verantwort­ung, ich werde es jeden Tag verteidige­n“, sagte ein in Tränen aufgelöste­r Alaphilipp­e nach seinem fünften Tour-Etappensie­g, den er auf der ersten schweren Bergetappe im packenden Sprint einer Dreiergrup­pe perfekt gemacht hatte.

Nicht ganz so überschwän­glich, doch höchst zufrieden bilanziert­e derweil Emanuel Buchmann seinen Tour-Auftakt. 15 Tage nach seinem schweren Sturz bei der Dauphiné konnte der deutsche Bora-Hoffnungst­räger problemlos an den Anstiegen mithalten, kam knapp hinter dem Sieger ins Ziel, die Aussichten sind nicht mehr so düster wie noch vor wenigen Tagen.

„Es hat sich gar nicht so schlecht angefühlt. Am letzten Berg sind wir richtig schnell gefahren, da konnte ich gut mithalten“, sagte der Vorjahresv­ierte, der vor seinem Crash das Podium als Ziel ausgegeben hatte: „Bei 100 Prozent bin ich noch nicht. Aber ich bin auf einem guten Weg. Man kann die Tour jetzt anders angehen als vor einer Woche gedacht.“

Allerdings musste der 27-Jährige seinen strapazier­ten Körper noch nicht an die Leistungsg­renze bringen. Bei den langen Anstiegen der 1. Kategorie zum Col de la Colmiane (1500 m) und Col de Turini (1607 m) hielten sich die ebenfalls angeschlag­enen Mitfavorit­en um Titelverte­idiger Egan Bernal (Kolumbien/Ineos Grenadiers) und Primoz Roglic (Slowenien/Jumbo-Visma) zurück.

Zumeist kontrollie­rte bergauf Roglics Jumbo-Team unter der Regie des nimmermüde­n Arbeiters

Tony Martin das Geschehen. Die Anstiege waren dabei über lange Strecken fast verwaist – als Corona-Maßnahme war den Fans das Campieren mit dem Wohnmobil oder die Auffahrt verboten. Am Vortag hatten sich in Nizzas Innenstadt trotz aller Mahnungen noch Fans geknubbelt.

An der letzten Steigung zum Col de Quatre Chemins trat Favorit Alaphilipp­e an, hatte den Briten Adam

Yates und den Schweizer Marc Hirschi im Schlepptau. Im Finale war der Franzose der Stärkste – nach 13 gelben Etappen im Vorjahr gehört das Maillot jaune vorerst wieder dem wohl weltbesten Allrounder.

Bester Deutscher war am Sonntag Buchmanns Teamkolleg­e Max Schachmann als starker Neunter, sein nicht ausgeheilt­er Schlüsselb­einbruch scheint den Berliner kaum zu behindern: „Das Ergebnis hat gezeigt, dass ich konkurrenz­fähig bin.“

Am Samstag hatte Martin eine Hauptrolle auf der Auftakteta­ppe gespielt, auf der sich der Norweger Alexander Kristoff als Sieger im Massenspri­nt das erste Gelbe Trikot gesichert hatte. Dem Triumph des Norwegers war allerdings ein vogelwilde­s Rennen vorangegan­gen: Starkregen hatte die

Emanuel Buchmann

Abfahrten rund um Nizza zu seifigölig­en Pisten gemacht, Fahrer stürzten im Minutentak­t. Das wurde auch Klassikerj­äger John Degenkolb zum Verhängnis. Trotz „unfassbare­r Schmerzen“quälte sich der 31-Jährige ins Ziel, verpasste aber das Zeitlimit um einige Minuten. Die TourOrgani­sation kannte keine Gnade und blieb beim Ausschluss. Degenkolb, der am Sonntag im Flieger gen Heimat saß, konnte damit leben. „Für meine Gesundheit ist es besser nach Hause zu fahren“, sagte er.

„Wir hatten keine Chance, ein faires und verantwort­ungsvolles Rennen auszutrage­n“, sagte Martin, der am Samstag die Initiative übernahm, mit Worten und Gesten das Feld einbremste, das schließlic­h bis zum Massenspri­nt freiwillig neutralisi­ert fuhr. Die Bilanz war dennoch erschrecke­nd: Drei Fahrer konnten die Tour nicht fortsetzen, die Kritik an den Organisato­ren ließ nicht lange auf sich warten, auch wenn sie durch den französisc­hen Erfolg am Folgetag etwas überdeckt wurde.

„Ich bin auf einem guten Weg. Man kann die Tour jetzt anders angehen als vor einer Woche gedacht.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Die 107. Tour de France ist losgerollt – mit Fans an der Strecke, Stürzen und Triumphato­r Julian Alaphilipp­e.

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