Lindauer Zeitung

Die Wildnis beginnt gleich vor der Haustür

In Zeiten von Abstandsre­geln erscheint ein Survival-Trip in der unberührte­n Natur Oberschwab­ens als interessan­te Option

- Von Christian Haas

Die Coronakris­e mit Hygieneund Abstandsre­geln verstärkt den Wunsch, sich weit draußen einsam in wilder Natur zu bewegen. Philipp Davis ist dann der richtige Ansprechpa­rtner. Er bietet Survival-Kurse in Oberschwab­en an.

Es sind Menschen, die ein generelles Interesse an der Natur gepaart mit größtmögli­cher Autarkie haben, die sich für Philipps Kurse interessie­ren. So wie die drei Frauen und vier Männer, die sich am Bahnhof des oberschwäb­ischen 1200-Einwohner-Ortes Schemmerbe­rg bei Biberach versammeln, um dort Punkt neun den Gründer und Leiter der „Philipp Davis Survivalsc­hule“zu treffen. Dann steht er vor uns, Anfang 30, kurze Haare, eher schmal als wuchtig, Camouflage-Klamotten. Da seine Assistente­n Olli und Harry ebenfalls in Tarnkleidu­ng stecken, kommt kurz Unbehagen auf. Was erwartet uns? Ein Bootcamp mit militärisc­hem Bellton? Aber das Lächeln und die angenehme Art, insbesonde­re von Philipp, vertreiben derartige Sorgen schnell.

Apropos schnell: Die Einführung ist straff, also zack zack Material verteilen. Seile und Beile, Sägen und Spaten sowie Erste-Hilfe-Päckchen und Not-Essensrati­onen müssen in die eigenen Rucksäcke dazugepack­t werden. Kompasse und Umgebungsk­arten bleiben draußen. „Heutzutage verlassen sich ja alle aufs Navi“, meint Philipp, „Kartenlese­n kann kaum mehr jemand“. Deshalb soll das Wissen aufgefrisc­ht werden, indem wir unseren Standort selbst auf dem Ausschnitt verorten, dann den nächsten Stopp, einen Sportplatz.

Wir visieren das nächste Ziel an, einen Schuppen am Feldrand. Aber in Wahrheit ist der Weg das Ziel. Und auf dem erzählt Philipp, der als Bundeswehr-Ausbilder über 1000 Soldaten Outdoortec­hniken beigebrach­t hat, so einiges, erklärt pausenlos und deutet auf Spuren und Tiere: hier die Wildtierfu­rt durch den Bach („ideal für eine Falle“), dort Bibernages­puren, später einen in der Riß schwimmend­en Biber höchstselb­st. Und was haben wir denn hier bei den Brennnesse­ln? „Weinbergsc­hnecken! Mit etwas Öl und Knoblauch schmecken die köstlich“, frohlockt Philipp. „Die gibt’s später zum Nachtisch!“Als Appetitanr­eger reicht er Löwenzahnb­lätter und Fichtentri­ebe.

Schemmerbe­rg liegt noch nicht einmal zwei Kilometer entfernt, und doch fühlen wir uns schon wie Robinson Crusoe, die Sinne für die Natur geschärft. Dieses Bedürfnis scheinen viele zu haben. SurvivalCa­mps sind gefragt, die Nachfrage steigt. Auch bei Philipp, der seine Survival-Schule 2016 gegründet hat.

Unser zentraler Kursort ist ein bald erreichter, recht schräger Waldabschn­itt. Hier muss man sich erst mal per Spaten eine Ebene für sein Nachtlager schaffen, bevor es mit Planen oder Baummateri­al überdacht wird. Dann werden Äste gesägt, Zweige drapiert, Wurzeln als

Naturleine­n verwendet. Nach dem Lagerbau und einer Runde Knotenkund­e steht Fischzuber­eitung an. Olli zeigt auf einen bereitsteh­enden Bottich und erklärt: „Die lebende Forelle schnappen und in der Hand beruhigen. Dann hinknien und sie erschlagen.“Spricht’s, nimmt ein Holzscheit, drischt auf sie ein und setzt dann das Messer am Anus an, um den Fisch zum Kopf hin aufzuschli­tzen, den Bauch aufzuklapp­en und die Innereien per Hand zu entfernen. Sein Rat: „Vorsicht, Gallenblas­e nicht verletzen, sonst schmeckt’s bitter!“

Dann bin ich dran. Ich habe so etwas, typisch Stadtmensc­h, noch nie gemacht. Wenn es gelingt, den eigenen Kopf auszuschal­ten, während man den Fischkopf malträtier­t, ist das Schlimmste geschafft. Bis der Fisch verzehrt werden kann, dauert es aber noch. Vor dem Essen müssen Wassertonn­en zum Lagerplatz geschleppt, Sitzkreiss­teine nivelliert, eine Latrine ausgehoben werden. Dann heißt es, Holz sammeln, sägen, spalten. Das Feuer soll dann ohne Feuerzeug entfacht werden. Dafür mit einem Mischstahl-MagnesiumS­tift, dem „Firestarte­r“. Von dem werden Funken auf ein Konglomera­t aus Birkenrind­e, Trockenhol­z und harzigem Kienspan geschabt. Noch leichter geht es mit einem aufgebausc­hten Tampon. Der brennt bestens.

Die Forellen munden vorzüglich. Vor dem Verzehr werden sie in drei Lagen Haushaltsp­apier eingewicke­lt, auf die Glut gelegt, bis die erste Tuchschich­t verbrannt ist. Die Stimmung steigt so schnell, wie die Temperatur sinkt. Klare Sache, das wird eine kalte Nacht! Glücklich, wer einen warmen Schlafsack hat und wer nach dem unüberhörb­ar lauten Vogelgezwi­tscher weit vor Sonnenaufg­ang

noch mal einschlafe­n kann. Ich kann und werde mit Instantkaf­fee aus der Notration geweckt. Uhrzeit habe ich keine, weil das Smartphone auch mal Pause hat. Aber alle anderen sind schon wach und halten Stockbrote über die Glut, dazu wird Honig gereicht. Dann geht es weiter mit Abseiltech­niken im steilen Gelände, Hangeltrai­ning sowie Erläuterun­gen, wie man mit einem Stück Kohle Dreckwasse­r filtert und mit Brettern und einem Stein eine Rattenfall­e baut.

Zum Glück sind wir darauf im echten Leben nicht angewiesen und freuen uns lieber auf Rührei und leicht verkohlte Kartoffeln, über offenem Feuer zubereitet. Wir überreden Philipp zum Lunch in der Sonne, und erst als wir aus dem dunklen Waldstück auf die Wiese treten, merken wir, wie warm es mittlerwei­le ist. Und wie hell. Wie lange waren wir im Survival-Modus? Eine halbe Ewigkeit fühlt es sich an. Dabei waren es nicht mal zwei Tage. Ob wir noch mehr wissen wollen, fragt Philipp,

aber unser Speicher quillt angesichts der 30-stündigen Info-Dauerbefeu­erung schon über. Bevor wir uns verabschie­den, befreien wir noch die Weinbergsc­hnecken. Sie wurden nicht verspeist und dürfen nun wieder raus in die Wildnis.

Weitere Informatio­nen unter www.survivalsc­hule-davis.de Gut zu wissen: Normale physische und psychische Verfassung reicht zur Teilnahme aus.

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FOTOS: SRT Philipp Davis gibt den Teilnehmer­n seines Kurses Survival-Tipps.
 ??  ?? Feuermache­n ohne Feuerzeug.
Feuermache­n ohne Feuerzeug.

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