Die Wildnis beginnt gleich vor der Haustür
In Zeiten von Abstandsregeln erscheint ein Survival-Trip in der unberührten Natur Oberschwabens als interessante Option
Die Coronakrise mit Hygieneund Abstandsregeln verstärkt den Wunsch, sich weit draußen einsam in wilder Natur zu bewegen. Philipp Davis ist dann der richtige Ansprechpartner. Er bietet Survival-Kurse in Oberschwaben an.
Es sind Menschen, die ein generelles Interesse an der Natur gepaart mit größtmöglicher Autarkie haben, die sich für Philipps Kurse interessieren. So wie die drei Frauen und vier Männer, die sich am Bahnhof des oberschwäbischen 1200-Einwohner-Ortes Schemmerberg bei Biberach versammeln, um dort Punkt neun den Gründer und Leiter der „Philipp Davis Survivalschule“zu treffen. Dann steht er vor uns, Anfang 30, kurze Haare, eher schmal als wuchtig, Camouflage-Klamotten. Da seine Assistenten Olli und Harry ebenfalls in Tarnkleidung stecken, kommt kurz Unbehagen auf. Was erwartet uns? Ein Bootcamp mit militärischem Bellton? Aber das Lächeln und die angenehme Art, insbesondere von Philipp, vertreiben derartige Sorgen schnell.
Apropos schnell: Die Einführung ist straff, also zack zack Material verteilen. Seile und Beile, Sägen und Spaten sowie Erste-Hilfe-Päckchen und Not-Essensrationen müssen in die eigenen Rucksäcke dazugepackt werden. Kompasse und Umgebungskarten bleiben draußen. „Heutzutage verlassen sich ja alle aufs Navi“, meint Philipp, „Kartenlesen kann kaum mehr jemand“. Deshalb soll das Wissen aufgefrischt werden, indem wir unseren Standort selbst auf dem Ausschnitt verorten, dann den nächsten Stopp, einen Sportplatz.
Wir visieren das nächste Ziel an, einen Schuppen am Feldrand. Aber in Wahrheit ist der Weg das Ziel. Und auf dem erzählt Philipp, der als Bundeswehr-Ausbilder über 1000 Soldaten Outdoortechniken beigebracht hat, so einiges, erklärt pausenlos und deutet auf Spuren und Tiere: hier die Wildtierfurt durch den Bach („ideal für eine Falle“), dort Bibernagespuren, später einen in der Riß schwimmenden Biber höchstselbst. Und was haben wir denn hier bei den Brennnesseln? „Weinbergschnecken! Mit etwas Öl und Knoblauch schmecken die köstlich“, frohlockt Philipp. „Die gibt’s später zum Nachtisch!“Als Appetitanreger reicht er Löwenzahnblätter und Fichtentriebe.
Schemmerberg liegt noch nicht einmal zwei Kilometer entfernt, und doch fühlen wir uns schon wie Robinson Crusoe, die Sinne für die Natur geschärft. Dieses Bedürfnis scheinen viele zu haben. SurvivalCamps sind gefragt, die Nachfrage steigt. Auch bei Philipp, der seine Survival-Schule 2016 gegründet hat.
Unser zentraler Kursort ist ein bald erreichter, recht schräger Waldabschnitt. Hier muss man sich erst mal per Spaten eine Ebene für sein Nachtlager schaffen, bevor es mit Planen oder Baummaterial überdacht wird. Dann werden Äste gesägt, Zweige drapiert, Wurzeln als
Naturleinen verwendet. Nach dem Lagerbau und einer Runde Knotenkunde steht Fischzubereitung an. Olli zeigt auf einen bereitstehenden Bottich und erklärt: „Die lebende Forelle schnappen und in der Hand beruhigen. Dann hinknien und sie erschlagen.“Spricht’s, nimmt ein Holzscheit, drischt auf sie ein und setzt dann das Messer am Anus an, um den Fisch zum Kopf hin aufzuschlitzen, den Bauch aufzuklappen und die Innereien per Hand zu entfernen. Sein Rat: „Vorsicht, Gallenblase nicht verletzen, sonst schmeckt’s bitter!“
Dann bin ich dran. Ich habe so etwas, typisch Stadtmensch, noch nie gemacht. Wenn es gelingt, den eigenen Kopf auszuschalten, während man den Fischkopf malträtiert, ist das Schlimmste geschafft. Bis der Fisch verzehrt werden kann, dauert es aber noch. Vor dem Essen müssen Wassertonnen zum Lagerplatz geschleppt, Sitzkreissteine nivelliert, eine Latrine ausgehoben werden. Dann heißt es, Holz sammeln, sägen, spalten. Das Feuer soll dann ohne Feuerzeug entfacht werden. Dafür mit einem Mischstahl-MagnesiumStift, dem „Firestarter“. Von dem werden Funken auf ein Konglomerat aus Birkenrinde, Trockenholz und harzigem Kienspan geschabt. Noch leichter geht es mit einem aufgebauschten Tampon. Der brennt bestens.
Die Forellen munden vorzüglich. Vor dem Verzehr werden sie in drei Lagen Haushaltspapier eingewickelt, auf die Glut gelegt, bis die erste Tuchschicht verbrannt ist. Die Stimmung steigt so schnell, wie die Temperatur sinkt. Klare Sache, das wird eine kalte Nacht! Glücklich, wer einen warmen Schlafsack hat und wer nach dem unüberhörbar lauten Vogelgezwitscher weit vor Sonnenaufgang
noch mal einschlafen kann. Ich kann und werde mit Instantkaffee aus der Notration geweckt. Uhrzeit habe ich keine, weil das Smartphone auch mal Pause hat. Aber alle anderen sind schon wach und halten Stockbrote über die Glut, dazu wird Honig gereicht. Dann geht es weiter mit Abseiltechniken im steilen Gelände, Hangeltraining sowie Erläuterungen, wie man mit einem Stück Kohle Dreckwasser filtert und mit Brettern und einem Stein eine Rattenfalle baut.
Zum Glück sind wir darauf im echten Leben nicht angewiesen und freuen uns lieber auf Rührei und leicht verkohlte Kartoffeln, über offenem Feuer zubereitet. Wir überreden Philipp zum Lunch in der Sonne, und erst als wir aus dem dunklen Waldstück auf die Wiese treten, merken wir, wie warm es mittlerweile ist. Und wie hell. Wie lange waren wir im Survival-Modus? Eine halbe Ewigkeit fühlt es sich an. Dabei waren es nicht mal zwei Tage. Ob wir noch mehr wissen wollen, fragt Philipp,
aber unser Speicher quillt angesichts der 30-stündigen Info-Dauerbefeuerung schon über. Bevor wir uns verabschieden, befreien wir noch die Weinbergschnecken. Sie wurden nicht verspeist und dürfen nun wieder raus in die Wildnis.
Weitere Informationen unter www.survivalschule-davis.de Gut zu wissen: Normale physische und psychische Verfassung reicht zur Teilnahme aus.