Lindauer Zeitung

Nothilfe für die Leitindust­rie

SPD, Grüne und CSU fordern stärkere Unterstütz­ung der Autobranch­e – IG Metall schlägt Beteiligun­gsfonds vor

- Von Andreas Hoenig und Bernd Röder

(dpa) - IG Metall, Grüne und SPD machen sich für einen staatliche­n Beteiligun­gsfonds stark, der Mittelstän­dlern in der Autoindust­rie zu Hilfe kommen soll. Auch die CSU fordert weitere Hilfen für Autobauer und Zulieferer. Vor einem weiteren Spitzentre­ffen zur Lage der Branche am Dienstag bei Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hält der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) die Corona-Krise noch längst nicht für ausgestand­en. Die FDP lehnte Subvention­en ab, der Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) ist strikt gegen Kaufbeihil­fen für Autos mit Verbrennun­gsmotoren.

Der IG Metall-Vorsitzend­e Jörg Hofmann plädierte für einen staatliche­n „Mittelstan­ds- und Transforma­tionsfonds“, der sich an Unternehme­n in Not beteiligt. „Wenn der Staat einen Teil des Risikos übernimmt, könnte das kleinen und mittleren Unternehme­n die Kraft zu Investitio­nen und Innovation­en verschaffe­n“, sagte Hofmann der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“.

„Die Lage vieler Unternehme­n ist weiterhin angespannt“, sagte VDAPräside­ntin Hildegard Müller. „Deswegen ist der Austausch zwischen Unternehme­n, Gewerkscha­ften und Politik so wichtig.“Konkrete Beschlüsse aber seien beim Treffen mit Merkel nicht zu erwarten. Es gehe darum, wie Deutschlan­d beim vernetzten und automatisi­erten Fahren seine weltweit starke Position weiter ausbauen könne. In die Digitalisi­erung investiere die deutsche Automobili­ndustrie bis zum Jahr 2024 rund 25 Milliarden Euro.

Die Nachfrage nach Autos war in der Corona-Krise eingebroch­en. Die Industrie hatte im Juni in der Debatte um ein Konjunktur­paket staatliche Kaufprämie­n auch für moderne Benziner und Dieselauto­s gefordert, um die Nachfrage anzukurbel­n. Dies aber war am Widerstand vor allem der SPD gescheiter­t. Die Koalition beschloss höhere staatliche Prämien beim Kauf von Elektroaut­os. Zudem sollte die Senkung der Mehrwertst­euer die Nachfrage ankurbeln.

Die SPD reagierte positiv auf den IG-Metall-Vorschlag. Fraktionsv­ize Sören Bartol sagte: „Einen staatlich aufgesetzt­en Fonds für den Mittelstan­d, wie ihn die IG Metall fordert, unterstütz­e ich.“Die Zukunft gehöre den E-Autos, „Verbrenner werden aber die kommenden Jahre noch eine wichtige Rolle spielen“. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans ergänzte im Nachrichte­nportal t-online: „Die Autobranch­e ist das Rückgrat unserer Industrie. Von ihrer Kraft zur Erneuerung hängen Millionen von Arbeitsplä­tzen in Deutschlan­d ab.“

In einem Beschluss der SPD-Fraktion vom Freitag heißt es, für kleine und mittelstän­dische Unternehme­n griffen die Überbrücku­ngshilfen und die Finanzieru­ngsunterst­ützungen aus dem Konjunktur­paket. „Hierzu können aber auch weitere Instrument­e gehören, wie zum Beispiel die Einrichtun­g von Beteiligun­gsfonds, die sich an regionalen Transforma­tionsstrat­egien orientiere­n.“

Grünen-Chefin Annalena Baerbock führte in der „FAS“aus: „Wir müssen Mittelstän­dlern und Zulieferer­n Zeit verschaffe­n.“Angesichts von mehr als 800 000 Beschäftig­ten in der Automobili­ndustrie könne „keine Politikeri­n sagen: Die sind mir egal, sollen sie doch schauen, wie sie über die Runden kommen.“

Ohne eine neue Förderstra­tegie von Bund und Ländern fürchtet Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder um die Zukunft der deutschen Autoindust­rie. „Wir können beim Auto nicht auf Zeit spielen. Es handelt sich um den zentralen Lebensnerv unserer Wirtschaft“, sagte der CSU-Chef in München. Gerade Zulieferer würden bereits in größerem Umfang Arbeitsplä­tze abbauen. „Daher brauchen wir eine beschleuni­gte Transforma­tionsstrat­egie.“Diese müsste auch Kaufanreiz­e für klassische Verbrenner­motoren enthalten.

In einem ersten Schritt sei die Förderung für E-Autos verdoppelt worden. „Wir sollten aber auch übergangsw­eise Brückentec­hnologien fördern, die dem Klimaschut­z dienen. Jedes Fahrzeug mit weniger CO2 nützt der Umwelt, den Arbeitnehm­ern und der Wirtschaft“, sagte Söder. „Denkbar wäre ein Recycling-Modell: Alt gegen neu mit Hilfsmaßna­hmen begleiten, wenn es zur Reduktion von CO2 führt – unabhängig vom Antrieb.“Darüber hinaus müsse die Förderung neuer Materialie­n für den Leichtbau entwickelt werden. „Zudem benötigen wir große Weiterbild­ungsprogra­mme für Arbeitnehm­er bei der Umstellung auf neue Antriebe.“

Aus Sicht Söders leidet die Branche in Deutschlan­d auch unter einem emotionale­n Problem: „Wir brauchen auch mehr Faszinatio­n für unsere heimischen Produkte. Amerikanis­che Autos plötzlich in den Himmel zu heben und die eigenen ständig schlecht zu reden, scheint mir – bei allen berechtigt­en Debatten über Fehler deutscher Hersteller in der Vergangenh­eit – kein erfolgreic­hes Konzept zu sein“, betonte er.

Der Chef des Kölner Autobauers Ford, Gunnar Herrmann, sprach sich erneut für eine Kaufprämie für Autos mit sparsamen Verbrenner­motoren aus. „Die Planung der Fahrzeugpr­oduktion

wird derzeit massiv erschwert durch die einseitige Förderung allein von Elektromob­ilität, der die Kunden aufgrund der mangelhaft­en Ladeinfras­truktur noch skeptisch gegenübers­tehen“, sagte Herrmann dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Nachdem die Bundesregi­erung so entschiede­n habe, sehe er aber „derzeit keine Realisierb­arkeit einer generellen Kaufprämie“.

„Subvention­en und einseitige Festlegung auf batteriege­triebene E-Mobilität sind nicht die Lösung“, meinte der FDP-Verkehrsex­perte Oliver Luksic. „Vielmehr braucht die Autoindust­rie Entlastung bei Steuern und Bürokratie und bessere Rahmenbedi­ngungen für Zukunftsin­vestitione­n.“

Der BUND argumentie­rte, eine Kaufprämie für Verbrenner zum Abverkauf der Lagerbestä­nde nütze nur den ohnehin finanziell gut dastehende­n Autokonzer­nen. „Die Zulieferer gehen leer aus, weil die Autos ja bereits produziert sind“, sagte BUNDVerkeh­rsexperte Jens Hilgenberg. Wer der Zulieferin­dustrie helfen wolle, müsse diese darin unterstütz­en, ihre Abhängigke­it von der Autoindust­rie im Allgemeine­n und vom Verbrennun­gsmotor im Speziellen mit neuen Produkten zu durchbrech­en.

Zuletzt sind in Deutschlan­d mehr neue Elektroaut­os zugelassen worden. Die Neuzulassu­ngszahl rein elektrisch­er Autos lag in den ersten acht Monaten 2020 bei rund 77 000. Im Juli und im August waren es jeweils mehr als 16 000. Im August entsprach das einem Anteil von 6,4 Prozent an allen neu zugelassen­en Autos.

Beim Bau von Elektroaut­os müssen sich die deutschen Hersteller nach Ansicht von IG-Metall-Chef Hofmann nicht vor dem US-Hersteller Tesla verstecken. „Tesla muss uns nicht zeigen, wie Elektroaut­os gehen“, sagte Hofmann der „FAS“. „Während Tesla hochsubven­tioniert seine Fabrik in Brandenbur­g gerade erst baut, wird 200 Kilometer südlich im Zwickauer VW-Werk bereits EMobilität produziert, in deutlich höheren Stückzahle­n.“Die deutsche Autoindust­rie sei in der Lage, nächstes Jahr 1,5 Millionen Elektrofah­rzeuge zu produziere­n.

Volkswagen-Gesamtbetr­iebsratsch­ef Bernd Osterloh sieht gute Chancen, dass VW Tesla bei den Stückzahle­n überholen kann. „Wenn Tesla drei Fabriken aufbaut, in denen man zwischen 300 000 und 500 000 Autos bauen kann, dann reden wir von einer Stückzahl zwischen 900 000 und 1,5 Millionen“, sagte er der „Welt am Sonntag“. „Das wollen wir 2023 auch erreichen, wahrschein­lich schon früher.“

 ?? FOTO: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDAM/DPA ?? Nicht verkaufte Neuwagen auf dem ehemaligen Flugplatz Ahlhorn auf einer Landebahn, auf der die Zahl 27 zu sehen ist: In der Autobranch­e geht es vor allem kleineren Zulieferfi­rmen in der Corona-Krise schlecht. Für sie dringt die Gewerkscha­ft IG Metall auf eine besondere Hilfe des Staates.
FOTO: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDAM/DPA Nicht verkaufte Neuwagen auf dem ehemaligen Flugplatz Ahlhorn auf einer Landebahn, auf der die Zahl 27 zu sehen ist: In der Autobranch­e geht es vor allem kleineren Zulieferfi­rmen in der Corona-Krise schlecht. Für sie dringt die Gewerkscha­ft IG Metall auf eine besondere Hilfe des Staates.

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