Lindauer Zeitung

Wenn Pilzsammle­r Leichen finden

In Nürnberg beginnt Prozess um Mordopfer, das im Wald lag – Solche Fälle sind nicht selten

- Von Irena Güttel

(dpa) - Krimifans kennen diese Szene: Ein Pilzsammle­r oder eine Spaziergän­gerin läuft durch den Wald. Mal ist es sonnig, mal wabert Nebel zwischen den Bäumen. Plötzlich entdeckt man zwischen den Blättern am Boden die Hand einer Leiche oder menschlich­e Knochen. Nächste Szene: Blaulicht, Absperrban­d, Ermittler in Schutzanzü­gen suchen nach Spuren.

Auch in der Realität beginnen auf diese Weise Kriminalfä­lle. Einige davon sind bundesweit in den Schlagzeil­en: zum Beispiel bei der kleinen Peggy in Bayern oder der Kindermord­serie des „Maskenmann­s“in Norddeutsc­hland. Man könnte meinen, dass regelmäßig jemand im Wald über eine Leiche stolpert. Doch stimmt das? Und was bedeutet ein solcher Fund für die Kriminalis­ten?

In Nürnberg beginnt am Dienstag, 8. September, der Prozess um den Mord an einem 27-Jährigen, dessen Leiche ein Pilzsammle­r vor etwas mehr als einem Jahr in einem Wald im Umland gefunden hatte. Noch am selben Tag nahmen die Ermittler einen Verdächtig­en und später auch seine Geliebte fest – und verhindert­en nach Auffassung der Staatsanwa­ltschaft dadurch einen weiteren Mord. Denn nach den Plänen des Liebespaar­s sollte laut Anklage eigentlich auch der Ehemann der 32-Jährigen sterben.

Zuständig für den Fall war das Polizeiprä­sidium Mittelfran­ken, in dessen Beritt einiges an Wald liegt. Immer wieder haben die Ermittler deshalb mit Toten im Forst zu tun. Darunter seien aber nur wenige Tötungsdel­ikte, sagt Sprecher Michael Petzold. Und wenn, dann seien die Opfer meist woanders getötet und später im Wald abgelegt worden. „Die wenigsten Morde passieren im Wald.“

Für die Kriminalis­ten ist eine Leiche im

Wald eine Herausford­erung. „Durch die Witterung – Regen, Sonne, Wind – gehen Spuren verloren“, sagt

Petzold. Außerdem liegen die menschlich­en

Überreste dort zum Teil Jahre, gelegentli­ch sogar Jahrzehnte, wie Professor Matthias Graw vom Institut für Rechtsmedi­zin in München erläutert. Tiere machen sich in der Zeit an dem Körper zu schaffen, was die Suche nach der Identität des Opfers, der Todesursac­he und der Todeszeit erschwert.

Trotzdem: „Für mich als Kriminalis­ten ist der Fund der Leiche ein Glücksfall, weil sich eine ganze Palette neuer Möglichkei­ten der Recherche und Fahndung ergibt“, sagt der Profiler Axel Petermann. „Je nach Zustand der Leiche kann geklärt werden, wie und wann die Person starb. Am Körper können Spuren des Täters gesichert, das Tatwerkzeu­g bestimmt und gegebenenf­alls der Tatablauf rekonstrui­ert werden.“

Petermann war viele Jahre Mordermitt­ler in Bremen. In Erinnerung sind ihm einige Vermissten­fälle geblieben, wo er und seine Kollegen von Tötungsdel­ikten ausgingen, aber vergeblich nach den Opfern suchten. Pilzsammle­r, Spaziergän­ger oder Jäger fanden diese dann zufällig in der Natur. So wie bei der Schülerin Adelina aus Bremen, die 2001 monatelang vermisst wurde.

Nach dem Fund der Leiche konnten die Ermittler klären, wie das Mädchen starb. Ihren Mörder fanden sie bis heute nicht. Aber zumindest bekam die Familie von Adelina Gewissheit. Ähnlich war es auch bei der neunjährig­en Peggy, die ebenfalls 2001 im bayerische­n Lichtenber­g auf dem Heimweg von der Schule verschwand. 15 Jahre später fanden Pilzsammle­r Teile ihres Skeletts in einem Wald. Die Ermittlung­en gegen einen Verdächtig­en laufen noch.

Im Fall der getöteten Maria Baumer, deren Skelett Pilzsammle­r im Herbst 2013 fanden, brachte das Jahre später noch den Durchbruch: Mit neuen technische­n Methoden wiesen Experten Medikament­en-Rückstände

Profiler Axel Petermann

an Kleidung und Haaren des Opfers nach. Zurzeit steht ihr früherer Verlobter in Regensburg vor Gericht. Und in Niedersach­sen kam die Polizei erst auf die Mordserie des inzwischen verurteilt­en Martin N. (Spitzname „Maskenmann“), nachdem Pilzsammle­r auf die Leiche des dritten Kindes, Dennis K., gestoßen waren. Auch im Fall der 2010 entführten und getöteten Bankiersga­ttin Maria Bögerl aus Heidenheim war es ein Spaziergän­ger, der den Leichnam am Waldrand fand.

Bleibt noch die Frage, wieso Kriminelle den Wald wählen, um Leichen, Tatwerkzeu­ge oder Diebesgut zu verstecken. „Wenn man eine Entscheidu­ng unter Zeitdruck treffen muss, macht man das meist aus dem Bauch heraus“, sagt Direktor Thomas Bliesener vom Kriminolog­ischen Forschungs­institut Niedersach­sen. Da sei der Wald naheliegen­d. „Als Ablageort ist er relativ bekannt – aus Krimis oder realen Fällen“, meint er.

Dass Krimiautor­en den Wald als Ort für ihre Handlung lieben, kann Axel Petermann gut verstehen. Er selbst schreibt Bücher und berät die Macher vom Bremer „Tatort“-Krimi. „Auf mich übt diese Situation auch einen großen Reiz aus“, sagt er. Man könne die unberührte Natur und die Stimmung der ahnungslos­en Spaziergän­ger oder Pilzsammle­r beschreibe­n und dann in totalem Kontrast zum Fund der Leiche setzen, sagt er. Das erzeuge Spannung und Grusel.

„Am Körper können Spuren des Täters gesichert, das Tatwerkzeu­g bestimmt und gegebenenf­alls der Tatablauf rekonstrui­ert werden.“

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FOTO: ANDREAS EBERLEIN/DPA In diesem Waldstück bei Lauf an der Pegnitz (Landkreis Nürnberger Land) hatte ein Pilzsammle­r im Juli 2019 eine Leiche gefunden.

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