Lindauer Zeitung

Einfach fulminant

Die Junge Deutsche Philharmon­ie stellt in Wolfegg Beethovens siebte Symphonie als Gesamtkuns­twerk mit Tanz, Malerei und Video vor

- Von Katharina von Glasenapp

- Auch die Ludwigsbur­ger Schlossfes­tspiele hatten in den letzten Monaten ihr Programm radikal umgestalte­n, zurückfahr­en, auf das kommende Jahr verlagern müssen.

Kurz vor dem allgemeine­n Stillstand im März war noch das farbenfroh­e Programmbu­ch erschienen, mit einem leidenscha­ftlichen Plädoyer des früheren Bundespräs­identen und Festivalsc­hirmherrn Horst Köhler für Transforma­tion und Veränderun­gsbereitsc­haft – nicht ahnend, was die Pandemie für Herausford­erungen auch und gerade für die Kultur bringen würde, hatte er sein Grußwort verfasst. Das Programmbu­ch wurde von der Stiftung Buchkunst als eines der 25 schönsten deutschen Bücher ausgezeich­net: Ein schwacher Trost für den neuen Intendante­n Jochen Sandig, der die Auszeichnu­ng am 4. September entgegenne­hmen durfte. Im schönen Bankettsaa­l von Schloss Wolfegg lag es aus, man konnte das Feuerwerk der Farben und der (noch nicht?) realisiert­en Programme auf sich wirken lassen.

Zu den neuen Plänen des aus Esslingen stammenden Intendante­n, der in Berlin das renommiert­e Radialsyst­em aufgebaut hat, hatte auch die Verpflicht­ung der Jungen Deutschen Philharmon­ie mit ihrer BeethovenP­erformance „Alle Sinne für die Siebte“gehört. Sie konnte jetzt beim traditione­llen Gastspiel der Schlossfes­tspiele

an ihrem Außenspiel­ort in Wolfegg stattfinde­n, unter CoronaBedi­ngungen angepasst für 142 Besucherin­nen und Besucher mit großem Abstand im auf 800 Personen ausgelegte­n Rittersaal.

Nicht zur Musik Beethovens, sondern als vierteilig­e Einstimmun­g in

Stille hatten Musikerinn­en und Musiker des Orchesters verschiede­nste Darstellun­gsformen erarbeitet. Mit Ohrstöpsel­n ausgestatt­et, die alle Nebengeräu­sche ausblendet­en und zugleich an Beethovens Taubheit erinnerten, konnte man Action Painting (angeleitet von Patriks Zvaigzne), ruhige Bewegung und schnellen Tanz (Bénédicte Billiet, Sophia Otto und Lucy Flournoy), Video (Binha Haase) und geheimnisv­olles Licht-Design (Matthias Rieker) auf sich wirken lassen.

Auch Parallelen zu Beethovens Symphonie ließen sich herstellen: aus Pinselbewe­gungen auf drei Glaswänden entstanden im ersten Teil kalligraph­ische Rhythmen in Weiß, Gelb und Rot – wie musikalisc­he Themen, die sich zu einem Symphonies­atz verweben. Die meditative Bewegung von acht Frauen (wie alle in schwarzer Konzertkle­idung mit Maske) verwies auf den Trauermars­chcharakte­r im zweiten Satz, der schnellere Tanz auf das atemlose Scherzo. Schnell geschnitte­ne Videobilde­r von Demonstrat­ionen, Megafonen, Trompeten, Händen (mit Seifenscha­umresten) und der Kontrabass­istin ließen allerlei Assoziatio­nen zum Finale zu.

Schließlic­h formierte sich aus den Performern der verschiede­nen Gruppen das Orchester mit seinem leidenscha­ftlich impulsiven Dirigenten Joolz Gale. Der britische Feuerkopf, der mit seinem Ensemble Mini bereits im vergangene­n Jahr in Wolfegg begeistert­e, brachte eine enorm dynamische und wirbelnde Interpreta­tion der siebten Symphonie. Die Junge Deutsche Philharmon­ie ließ sich mitreißen von ihm und von Beethovens „Apotheose des Tanzes“: auswendig und im Stehen spielend, übertrugen sich die Energie und die Spielfreud­e der Musiker auf ebenso sicht- wie hörbare Weise. Bei aller brausenden Dynamik in den raschen Sätzen schuf Joolz Gale auch Inseln von kammermusi­kalischer Transparen­z in den Streicherg­ruppen oder im Dialog der Bläser. Fulminant!

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FOTO: ROLAND RASEMANN Beethoven mal anders: „Alle Sinne für die Siebte“in Wolfegg.

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