Einfach fulminant
Die Junge Deutsche Philharmonie stellt in Wolfegg Beethovens siebte Symphonie als Gesamtkunstwerk mit Tanz, Malerei und Video vor
- Auch die Ludwigsburger Schlossfestspiele hatten in den letzten Monaten ihr Programm radikal umgestalten, zurückfahren, auf das kommende Jahr verlagern müssen.
Kurz vor dem allgemeinen Stillstand im März war noch das farbenfrohe Programmbuch erschienen, mit einem leidenschaftlichen Plädoyer des früheren Bundespräsidenten und Festivalschirmherrn Horst Köhler für Transformation und Veränderungsbereitschaft – nicht ahnend, was die Pandemie für Herausforderungen auch und gerade für die Kultur bringen würde, hatte er sein Grußwort verfasst. Das Programmbuch wurde von der Stiftung Buchkunst als eines der 25 schönsten deutschen Bücher ausgezeichnet: Ein schwacher Trost für den neuen Intendanten Jochen Sandig, der die Auszeichnung am 4. September entgegennehmen durfte. Im schönen Bankettsaal von Schloss Wolfegg lag es aus, man konnte das Feuerwerk der Farben und der (noch nicht?) realisierten Programme auf sich wirken lassen.
Zu den neuen Plänen des aus Esslingen stammenden Intendanten, der in Berlin das renommierte Radialsystem aufgebaut hat, hatte auch die Verpflichtung der Jungen Deutschen Philharmonie mit ihrer BeethovenPerformance „Alle Sinne für die Siebte“gehört. Sie konnte jetzt beim traditionellen Gastspiel der Schlossfestspiele
an ihrem Außenspielort in Wolfegg stattfinden, unter CoronaBedingungen angepasst für 142 Besucherinnen und Besucher mit großem Abstand im auf 800 Personen ausgelegten Rittersaal.
Nicht zur Musik Beethovens, sondern als vierteilige Einstimmung in
Stille hatten Musikerinnen und Musiker des Orchesters verschiedenste Darstellungsformen erarbeitet. Mit Ohrstöpseln ausgestattet, die alle Nebengeräusche ausblendeten und zugleich an Beethovens Taubheit erinnerten, konnte man Action Painting (angeleitet von Patriks Zvaigzne), ruhige Bewegung und schnellen Tanz (Bénédicte Billiet, Sophia Otto und Lucy Flournoy), Video (Binha Haase) und geheimnisvolles Licht-Design (Matthias Rieker) auf sich wirken lassen.
Auch Parallelen zu Beethovens Symphonie ließen sich herstellen: aus Pinselbewegungen auf drei Glaswänden entstanden im ersten Teil kalligraphische Rhythmen in Weiß, Gelb und Rot – wie musikalische Themen, die sich zu einem Symphoniesatz verweben. Die meditative Bewegung von acht Frauen (wie alle in schwarzer Konzertkleidung mit Maske) verwies auf den Trauermarschcharakter im zweiten Satz, der schnellere Tanz auf das atemlose Scherzo. Schnell geschnittene Videobilder von Demonstrationen, Megafonen, Trompeten, Händen (mit Seifenschaumresten) und der Kontrabassistin ließen allerlei Assoziationen zum Finale zu.
Schließlich formierte sich aus den Performern der verschiedenen Gruppen das Orchester mit seinem leidenschaftlich impulsiven Dirigenten Joolz Gale. Der britische Feuerkopf, der mit seinem Ensemble Mini bereits im vergangenen Jahr in Wolfegg begeisterte, brachte eine enorm dynamische und wirbelnde Interpretation der siebten Symphonie. Die Junge Deutsche Philharmonie ließ sich mitreißen von ihm und von Beethovens „Apotheose des Tanzes“: auswendig und im Stehen spielend, übertrugen sich die Energie und die Spielfreude der Musiker auf ebenso sicht- wie hörbare Weise. Bei aller brausenden Dynamik in den raschen Sätzen schuf Joolz Gale auch Inseln von kammermusikalischer Transparenz in den Streichergruppen oder im Dialog der Bläser. Fulminant!