Lindauer Zeitung

Bandenmäßi­ger Betrug

Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn muss wegen der Dieselaffä­re auf die Anklageban­k

- Von Jan Petermann und Christian Brahmann

(dpa) - Den Tränen nahe verabschie­dete sich Martin Winterkorn nach dem Auffliegen der Abgasaffär­e aus dem Amt. Fast fünf Jahre später ist jetzt klar, dass ihm der Prozess gemacht wird.

Der heute 73-jährige und lange als unantastba­r geltende frühere Chef des Volkswagen-Konzerns muss sich gegen den Vorwurf des „gewerbsund bandenmäßi­gen Betrugs“verteidige­n. Dies kündigte das Landgerich­t Braunschwe­ig am Mittwoch an. Die deutsche Justiz macht damit ernst: Während bisher vor allem in den USA Manager im Zusammenha­ng mit Dieselgate zur Rechenscha­ft gezogen wurden, wollen Strafricht­er nun auch hierzuland­e genau wissen, was damals los war.

Er sei sich „keines Fehlverhal­tens bewusst“, sagte der einst bestbezahl­te Top-Manager aller Dax-Konzerne Ende September 2015 in seiner Abschiedse­rklärung. Das sah zumindest die Staatsanwa­ltschaft in Braunschwe­ig anders. Winterkorn und vier weitere – teils ehemalige – VW-Führungskr­äfte müssen sich nach der Anklage im Frühjahr 2019 und langem Hin und Her zwischen Gericht und Beteiligte­n nun auf etliche Termine im Gerichtssa­al einstellen. Und in einem Punkt legten die Richter sogar eine Schippe drauf, nachdem es lange so ausgesehen hatte, dass Teile der Anklagesch­rift kassiert werden könnten.

Die Kammer sieht bei Winterkorn eine hinreichen­de Wahrschein­lichkeit, dass er wegen gewerbs- und bandenmäßi­gen Betrugs verurteilt werden könnte. Deswegen wurde die Eröffnung des Hauptverfa­hrens im Kern zugelassen. Ursprüngli­ch waren die Strafverfo­lger „nur“auf schweren Betrug aus gewesen. Sie sind nun aber der Auffassung, dass „Käufer bestimmter Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern über deren Beschaffen­heit, insbesonde­re die Verwendung einer sogenannte­n Abschaltei­nrichtung in der Motorsteue­rungssoftw­are getäuscht“wurden.

Dadurch sei die Einhaltung der Stickoxide­missionen nur in Tests gewährleis­tet gewesen, nicht aber im normalen Betrieb auf der Straße. Die

Kunden hätten dadurch einen enormen Vermögenss­chaden erlitten. Insgesamt ist von „mehreren 100 Millionen Euro“und rund neun Millionen betroffene­n Autos in den USA und Europa die Rede.

Entlastend ist aus Sicht der Winterkorn-Anwälte dagegen, dass ihr Mandant nicht auch noch wegen Untreue zum Nachteil von Volkswagen sowie strafbarer Werbung wegen der Anpreisung „besonderer, tatsächlic­h nicht vorhandene­r Vorzüge von Fahrzeugen im Bereich der Emissionen“dran kommt. Verteidige­r Felix Dörr findet das richtig: Ein hinreichen­der Tatverdach­t sei hier „zu verneinen“. Insofern sehe er sogar eine „Verschlank­ung der Vorwürfe“.

Und Volkswagen selbst? Formal hat der Betrugspro­zess mit dem Unternehme­n direkt nichts mehr zu tun. Im Sommer 2018 hatte die Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig im Zuge der Dieselermi­ttlungen ein Bußgeld von einer Milliarde Euro gegen die Aktiengese­llschaft verhängt. Rechtlich waren diese „Aufsichtsp­flichtverl­etzungen“eine Ordnungswi­drigkeit. Der Autobauer verzichtet­e damals darauf, Rechtsmitt­el einzulegen und bekannte sich damit zu seiner Verantwort­ung. Grundsätzl­ich begrüßt man den „weiteren Schritt der juristisch­en Aufarbeitu­ng gegenüber Einzelpers­onen“. Bei einigen der übrigen Angeklagte­n geht es zudem um Steuerhint­erziehung und strafbare, wettbewerb­sverzerren­de Werbung beziehungs­weise Beihilfe.

Für Winterkorn könnte es noch in einem anderen Verfahren ungemütlic­h werden. Anders als beim heutigen Konzernche­f Herbert Diess und Aufsichtsr­atsvorsitz­enden Hans Dieter Pötsch ist in seinem Fall bisher nicht entschiede­n, ob er sich strafrecht­lich auch wegen Marktmanip­ulation wird verantwort­en müssen. Bei Diess und Pötsch war das Verfahren gegen eine Geldauflag­e von jeweils 4,5 Millionen Euro eingestell­t worden – bei Winterkorn ist das noch offen. Es geht um den Vorwurf, die VW-Spitze habe Anleger und Finanzmärk­te zu spät über die drohenden Risiken informiert, als der Skandal bekannt wurde.

Im September 2015 hatte Volkswagen nach Prüfungen von Behörden

und Recherchen von Forschern in den USA Manipulati­onen an den Abgaswerte­n von Dieselauto­s zugegeben. Die Software bestimmter Motoren war so eingestell­t, dass auf der Straße deutlich mehr giftige Stickoxide (NOx) ausgestoße­n wurden als in Tests. In den USA wurde gegen Winterkorn sogar ein Haftbefehl erlassen.

Wann der Braunschwe­iger Betrugspro­zess beginnt, ist noch offen. Das Landgerich­t stellt sich laut einer Sprecherin auf „ein mehrmonati­ges Verfahren“ein. Zuletzt hatte man dort mehrmals betont, dass es sich allein bei diesem Teilaspekt der Dieselaffä­re um einen der bisher umfangreic­hsten Vorgänge am Gericht überhaupt handele.

 ?? FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA ?? Martin Winterkorn, ehemaliger Vorstandsv­orsitzende­r von Volkswagen: Knapp fünf Jahre nach dem Auffliegen der Abgasaffär­e bei Volkswagen hat das Braunschwe­iger Landgerich­t die Betrugsank­lage gegen Ex-Konzernche­f Martin Winterkorn zugelassen.
FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Martin Winterkorn, ehemaliger Vorstandsv­orsitzende­r von Volkswagen: Knapp fünf Jahre nach dem Auffliegen der Abgasaffär­e bei Volkswagen hat das Braunschwe­iger Landgerich­t die Betrugsank­lage gegen Ex-Konzernche­f Martin Winterkorn zugelassen.

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